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Rollen, Rutsche, Auf Händen Gehen im Souterrain

Maartje Pasman, Alina Bertha in „Extinct Choreography“

Im Untergeschoß des noch unfertigen KulturQuartier im Stadtentwicklungsgebiet von Wien, genannt Seestadt, zeigt der Choreograf Georg Blaschke „gelöschte Bewegungen.“ „Extinct Choreography“ ist eine Tanzperformance für drei Tänzerinnen und einen Tänzer, die auf dem rohen Betonboden Bewegungsformen früher Menschen und Tieren finden und ausprobieren.
Die lange Reise zu einer eindrucksvollen und kurzweiligen Performance in die Seestadrt zahlt sich aus.

Gelöschte Bewegungsformen werden ausprobiert. Alina Bertha biegt sich im Vordergrund,  Andras Meszerics ist als Schatten zu sehen. Georg Blaschke verbindet in seinen Choreografien gerne bildende Kunst mit dem bewegten Körper. Weil der Aufführungsort diesmal unter der Erde liegt – die hohen Fenster in der noch ziemlich rohen Betonhöhle ließen, gingen Menschen vorbei an der Adresse Am- Ostrom-Park 11, nur die Beine sehen –, hat er in  seine Recherchearbeit auch Höhlenzeichnungen einbezigen. Die Stammesgeschichte des Menschen ist unvorstellbar lang und beginnt quasi mit der Abspaltung einer noch auf allen vieren gehenden Spezies vom Schimpansen. Daran erinnern auch die Tänzerinnen Alina Bertha, Julia Müllner und Maartje Pasman gemeinsam mit dem Tänzer Andras Meszerics. Er bewegt sich zu Beginn als Urzeit-Jäger, trägt eine Wurfwaffe an einem um den Oberkörper geklemmten Gestellt, jagt auch hinter den Frauen her, die ihrerseits mit Stoffbahnen und Seilen beschäftigt sind. Wie Tiere gehen sie auf allen vieren, versuchen auch auf den Händen zu gehen und die Wand hoch zu klettern, schwingen auf dem Seil und rutschen in der zu einer Hängematte geformten langen Stoffbahn über den harten Betonboden. Die Gruppe ist in dauernder Bewegung, TKörperknäuel in Bewegung (Pasman, Meszerics)änzerinnen und der Tänzer rollen, rutschen, kriechen, schlagen Räder, sind in einer Höhle oder im Wald, auch in einem Bergwerk könnten sie arbeiten, die elektronische Musik (Sound Design und Komposition: Sebastian Bauer) hämmert und klirrt.
Zwei in einem Sack. Doppelbild mit Maartje Pasman und Julia Müllner.Wenn das blaue Dämmerlicht (für richtige Scheinwerfer fehlt im Kulturquartier noch die Starkstromleitung) zum roten Feuerschein wird, dann könnte es die Hölle sein. Die heutige? Die urzeitliche? Oder doch nur ein Einfall von Bartek Kubiak, dem Lichtdesigner, um Abwechslung ins Geschehen zu bringen. Anfangs tanzt / arbeitet / bewegt sich jede(r) für sich, im Lauf der akrobatischen Bewegungen entstehen Doppelbilder, wenn zwei gemeinsam den Raum erforschen, später vereinen sich all vier zu einem Bild. Maartje Pasman seilt sich von der Gruppe ab und erklimmt die Hohe auf dem Seil. Nur der Schlussapplaus kann sie wieder auf festen Boden holen.
In seiner Choreografie setzt Blaschke statische Bilder in Bewegungen um, wie er es auch schon mit den von Hieronymus Bosch gemalten Körpern und Objekten oder, gemeinsam mit Jan Machacek, Francis Bacon gemacht hat. In der von ihm getanzten Choreografie „ani male“ betont er die Evolutionsgeschichte des Körpers. Blaschke zeigt seine Choreografien als Solo oder für Tänzer:innen in unterschiedlicher Anzahl in speziell ausgewählten Räumen, oder andersrum gesagt: Er passt seine Choreografie genau dem gewählten oder möglichen Aufführungsraum an. Diesmal also mit Bezug auf den Raum unter der Erde und die Ausgrabungen, die, wie überall im Wiener Raum, auch in Aspern gemacht worden sind. Wie vor kurzem Elizabeth Ward und Alexandra Bachzetsis im Tanzquartier oder das Duo Daniela Georgieva & Hugo Le Brigand im brut, zeigen auch Georg Blaschke und die Tänzer:innen, dass die Bewegung der Körper im Raum, der Tanz, Lockdown und auch seltsame Strömungen der Selbstverwirklichung auf der Bühne überlebt und mit jeder Totmeldung lebendiger wird. Das Engagement, die Kraft und Ausdauer des großartigen Tanzensembles tragen einen nicht geringen Teil dazu bei.

Georg Blaschke: „Extinct Choreography“, Tanz-Performance
Künstlerische Leitung, Choreografie: Georg Blaschke
Performance, Choreografie: Alina Bertha, Andras Meszerics, Julia Müllner, Maartje Pasman
Kostüme, Raum: Hanna Hollmann; Sound-Design, Komposition: Sebastian Bauer; Licht-Design: Bartek Kubiak; Theorie: Lisa Moravec; Produktion M.A.P. Vienna, Raffaela Gras.
Premiere: 9. Dezember 2022, Folgevorstellung: 10. bis 12.12. 2022, KulturQuartier Seestadt, Am-Ostrom-Park 11, Endstation U2 Seestadt.
Fotos: © Laurent Ziegler