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Tanz und Kampf mit dem Spiegelbild

"Chasing a Ghost", ein Reigen von Duetten.

Gedoppelter Körper, gedoppelte Flügel, Pianisten und Klänge, Doppelbilder auf dem Bildschirm. Alexandra Bachzetsis ist auf der Jagd nach dem Unheimlichen. „Chasing a Ghost“ nennt die Schweizer Künstlerin ihr 2019 im Art Institute of Chicago uraufgeführtes Werk. Pandemiebedingt musste die für April 2020 geplante Aufführung im Tanzquartier in den Dezember 2022 verlegt werden. Zwei Tänzerinnen und drei Tänzer, jede mit jedem im Duett, jeder von jeder ein Spiegelbild.

Zwei Gesichter im Live-Video übereinandergelegt. Die Realität verschwimmt. Bachzetsis, die den getanzten Reigen mit Johanna Willig-Rosenstein beginnt, generiert Bilder der Verdopplung, der Überlagerung, der Verschmelzung der Körper. Wer ist die / der Echte? Dem Eigenen Spiegelbild zu begegnen ist unheimlich, lässt an der Identität zweifeln. Doch Partner und Partnerin sind austauschbar im ununterbrochenen Reigen der Begierde und auch des Kampfes. In einer eindrucksvollen Kung-Fu-Szene wechseln auch die Machtverhältnisse, am Ende jedoch trampelt die Tänzerin auf dem Partner, steigt über ihn hinweg. Das ist abwechslungsreich und unterhaltsam, geheimnisvoll, wenn sich im Live-Video die Bilder überlagern und verschieben. Unheimlich sind die im Tanzen, Stehen, Liegen, Verschlingen abschnurrenden Duette eher nicht. Die Figuren bauen keine Beziehung auf, mimen eher ihre erotischen Verwicklungen, manchmal sehen diese Dubletten aus wie ihre eigenen Avatare, sind nur Puppen, die einen Auftrag erfüllen. Bild und Spiegelbild haben sich voneinander gelöst, zeigen jedoch synchron die gleichen Bewegungen.
Angetrieben wird der Bilderreigen – Bachzetsis ist Tänzerin und Choreografin, aber auch international renommierte bildende Künstlerin – vom rhythmischen Sound des verdoppelten Klaviers. Simon Bucher und Mischa Cheung hämmern und trommeln kraftvoll auf zwei Bösendorfer Flügeln die passende Begleitmusik. Immer schneller spult sich dieses gespiegelte Doppelspiel ab, schneller Tanz wechselt mit Standbildern von der Live-Kamera, die selbst stillsteht, die Tänzer:innen arrangieren sich in unterschiedlichen Positionen davor. Mitunter sieht man nur die Gesichter, dann wieder die bewegten Körper im Liebesspiel, zärtlich oder aggressiv, und wenn es gar zu intim wird, sind nur kopflose Leiber im Bild, da wird es dann schon unheimlich. Die Kostüme und Accessoires stammen aus dem erotischen Bilderbuch für liebeshungrige Damen: Rasch wechseln die Partner im Reigen der Doppelgänger. Seidenstrümpfe, Pelze, reizende Unterwäsche, Schühchen mit bedrohlich spitzen Absätzen, die Männer verführen mit Sakkos auf nackter Haut. Der Reigen wird immer toller, allmählich fliegen die Oberteile weg, dann auch die Strümpfe und Hosen. Damit verliert sich auch der Eindruck der Spiegelung und Verdopplung. Nackt ist jede / jeder ein Individuum.
Eine perfekte Arbeit, von großartigen Tänzer:innen und den Performern am Piano gezeigt. Dass mir die 60 Minuten besonders kurz erschienen sind, spricht für das kluge Timing. Wer das Geheimnis der Krautfleckerl von Tante Jolesch kennt, hat den Applaus immer auf seiner  / ihrer Seite.

Alexandra Bachzetsis: „Chasing a Ghost“, 9., 10. Dezember 2022, Tanzquartier
Konzept, Choreografie: Alexandra Bachzetsis Kollaboration, Konzept, Bühne: Sotiris Vasiliou; Vorschauf „2020: Obscene“ von und mit Alexandra Bachzetsis.
Kreation, Performance: Alexandra Bachzetsis, Johanna Willig-Rosenstein, Owen Ridley-DeMonick, Gabriel Schenker, Sotiris Vasiliou;
Musikarrangement, Performance: Simon Bucher, Mischa Cheung; Soundkonzept: Lies Vanborm;
Kostümdesign, Fashiondesign: Léa Dickely, Hung La / Kwaidan Edition; Kostümdesign, konzeptionelle Beratung, Recherche: Christian Hersche; Kostümdesign, Styling: Priska Morger, Eva Bühler;
Fotografie: Mathilde Agius
Alexandra Bachzetsis ist schon am 20. Jänner wieder im Tanzquartier zu sehen. Mit drei Tänzern wird sie in ihrem jüngsten Stück, „2020: Obscene“, tanzen. Wiederholung am 21.1. 2023.