Hungry Sharks: Destination FCKD
Eine Überraschung. Hungry Sharks, die unter ihrem künstlerischen Leiter und Choreografen Valentin Alfery mit Hopping und Popping, als im Bereich des urbanen Tanztheaters, Erfolg gehabt haben, nähern sich dem zeitgenössischen Tanz. In Destination FCKD bewegen sich sechs junge zeitgenössische Tänzerinnen als NPC, Non-Playable-Characters. Ein anstrengender Spaß für die Darstellerinnen, eine spaßige Performance für das Publikum im brut.
Zuerst der Titel, der nicht ganz stubenrein ist, doch von der Generation Z, den digital Natives gleich verstanden wird. Die Gen Z lesen f**ked / fucked, auf Deutsch, auch nicht besonders nobel: i. A. oder alles vermasselt, alles hin, Augustin. In der digitalen Welt der Gamer (Computer-Spielerinnen) hat sich auch der Begriff Glitch / Glitches für Pixel- und andere Fehler eingebürgert.
Alles klar? Wir, die Zuschauerinnen im brut befinden sich inmitten eines Computerspiels, oder auf einem fremden Planeten, oder in einer Fantasiewelt. Coline Hemery, Ailsa Li, Caterina Politi, Jana Dünner, Flóra Virag, Francesca De Girolamo sind die NPC / NSC. Die wiederum, diese Charaktere / Rollen / Figuren, die von den Spielern nicht gelenkt werden können, müssen nicht unbedingt Menschen sein. In der aufwendigen Recherchearbeit hat das Destination-Team der Hungry Sharks mehr als 200 NPC zusammengetragen, von der Sexarbeiterin über eine nicht für Mikrowelle geeignete Tupperware, bis zu abstrakten Begriffen von Zuständen und Gefühlen. Außerdem dürfen in unserem Spiel, also in dem Spiel, das dem Publikum gezeigt wird, die Figuren morphen, sie können sich fließend verändern und als eine andere, neue Figur auf der Bühne agieren. Die Grundfunktionen all dieser NPC (tut mir leid, doch die englische Abkürzung ist gebräuchlicher, wir sind schließlich in der Gamer Welt) sind wiederholende Aufgaben, ein stark begrenztes Vokabular und vordefinierte Verhaltensschleifen. Das Replaying – stop, reversions, glitches – ist ein Prinzip der Bewegungsfindung aus der Streetdance- und Clubszene. Ohne ihre Bewegungseinheiten so zu benennen, sind all diese Möglichkeiten vielen Tänzerinnen vertraut. Wiederholungen, Stillstand, Umkehrungen und Schleifen gibt es auch im zeitgenössischen Ballett.
In Destination FCKD wird das Replaying als choreografische Improvisationsstruktur eingesetzt. Alfery und die Tänzerinnen sehen „NPC-ing als analoge Antwort auf menschliche Simulationen in digitalen Welten.“
Die Tänzerinnen, menschenähnliche Wesen, Tiere, die kriechen oder zwitschernd zu fliegen versuchen. Sie sind Rollschuhfahrerinnen ohne Rollschuhe und Fische ohne Wasser und auch eine weinende Wolke . Und mitunter bricht der Mensch durch, der sie gezeichnet hat, dann zeigen sie Gefühle, werden aggressiv und prallen aufeinander. Das haben ihre Schöpferinnen sicher nicht vorgesehen. Es muss ein Glitch sein.
Der Superglitch ist im letzten Drittel zu sehen, wenn das Stroboskop eingeschaltet wird und seine Lichtblitze versendet. Es scheint ein Chaos ausgebrochen zu sein, die Tänzerinnen hüpfen wie die Gummibälle durcheinander. Ich denke, das ist ein großartiges Finale. Doch das Blitzgewitter wird abrupt beendet. Die NPC erlauben sich noch ein wenig keck zu improvisieren, haben sich quasi selbständig gemacht. Doch dann kehren sie zu ihrer angestammten Aufgabe zurück, zwitschern piepsen, schleudern kurze Sätze oder einzelne Wörter in den Raum, doch für mich hat die Vorstellung jetzt an Dynamik verloren, Neues sehe ich nicht. Reprise und Coda / Wiederaufnahme, Wiederholung und Schwanzerl, zwei Begriffe aus der musikalischen Formenlehre, die für Komponisten des 19. Jahrhunderts nahezu unverzichtbar waren. Aber eine Choreografie funktioniert nicht wie der Sonatenhauptsatz und Reprisen sind meist überflüssig. Alfery endet seine intensive Choreografie für gut trainierte Tänzerinnen nicht mit einem Knall, sondern mit einem Fade out. Sei’s drum. Ich darf mir währenddessen notieren: Licht und Musik nicht vergessen.
Stimmt, Musik und Licht tragen wesentlich zum Erfolg der Vorstellung bei. Mit einer Komposition von Manuel Riegler und dem Live Sound von Fabian Lanzmaier, werden die Tänzerinnen effektvoll unterstützt, Geräusche, die die Figuren hervorrufen, werden verstärkt oder sind begleitend, als selbständige Elemente zu hören. Für das Licht ist die erfahrene Lichttechnikerin und -designerin Sveta Schwin verantwortlich. Sie begleitetet nicht nur Aufführungen von Festivals wie den Wiener Festwochen, ImPulsTanz oder wien modern und arbeitet auch in dreien Szene. Das Licht, mit dem sie diesmal die Bühne erhellt oder verdunkelt, ist so unauffällig wie effizient. Ohne kindische Effekte scheint das wechselnde, bunte Licht, eins mit den Bewegungen der sechs Figuren zu sein. Eines ist klar: NPC live auf der Bühne, sind viel sympathischer als auf dem flachen Bildschirm.
Hungry Sharks Company: Destination FCKD, 15. bis 19. November 2024, brut nordwest. (Gesehen am 16.11.) Uraufführung 9.10.2024, tanzhouse Festival. Folgevorstellung 18. Jänner, 2025, Festspielhaus St. Pölten.
Idee und künstlerische Leitung Valentin Alfery; Produktionsleitung und Artistic Advice Dušana Baltić
Performer*innen Coline Hemery, Ailsa Li, Caterina Politi, Jana Dünner, Flóra Virag, Francesca De Girolamo
Komposition Manuel Riegler; Live Sound Fabian Lanzmaier; Lichtdesign Sveta Schwin; Kostüm Caterina Politi; Dramaturgie Marco Payer
Kreative Bewegungsrecherche Michael Sellner, Alexander Tesch, Ailsa Li, Chloé Wanner, Zoé De Reynier, Valentin Alfery, Caterina Politi, Jana Dünner, Flóra Virag, Coline Hemery, Spela Remec, Chris Fargeot.
Fotos:: © Bernhard Müller, Kilian Kovacs
Eine Koproduktion von Hungry Sharks Company, brut Wien und SZENE Salzburg.