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Alix Eynaudi: Verschwinden in Schönheit

Tod in der Landschaft. Foto von Alix Eynaudi.

Ein Film als Ouvertüre, ein Flügel, elektroakustisch präpariert, die Pianistin, zugleich Komponistin, zwei Tänzerinnen, ein Tänzer, Licht und Dunkelheit, fluoreszierende Zeichen an der Wand, die Landschaft auf dem Boden  – Zutaten, aus denen die Künstlerin Alix Eynaudi ihre musikalische Performance zusammensetzt. Death by Landscape, a concert nennt sie die wundersame Aufführung im brut nordwest.  
Eine Verführung.

Den Titel hat sie bei der kanadischen Autorin Margaret Atwood entlehnt. In der Kurzgeschichte Death by LandscapeDas tanzende Trio: Hugo le Brigand, Cécile Tonizzo, Alix Eynaudi. erzählt Atwood (Der Report der Magd, verfilmt als Die Geschichte der Dienerin) von der verschwundenen Teenagerin Lucy, die ihre Freundin Lois nicht vergessen kann und Jahre später meint, dass Lucy in dem Gemälde einer Landschaft in ihrem Wohnzimmer lebt. Wenn sie das Bild, jedes Bild ansieht, sieht sie Lucy.
Im Programmheft zitiert Eynaudi auch den vietnamesisch-US-amerikanischen Lyriker und Romanautor Ocean Vuong und sein Gedicht Song on the Subway, das als Teil des hybriden Romans On Earth We’re Briefly Gorgeous (Auf Erden sind wir kurz grandios, Hanser 2019) zu finden ist. Der U-Bahn-Song ist ein Liebesgedicht und endet mit den Zeilen: Ein Trio, eine Skulptur, eine Geschichte: Alix Eynaudi, Cécile Tonizzo, Hugo le Brigand.

I want do sleep there
until my flesh
become music.

# Romantik, Hiersein, Wegsein, Verschwinden, Stille, Dunkelheit, Vergessen und Erinnern.
Nicht nur das Lichtdesign von Yasemin Duru spielt eine wichtige Rolle, auch die Musik ist immer wieder präsent, selbst dann, wenn die modifizierten Druckkammerlautsprecher und das Klavier schweigen. Alix Eynaudi allein im Dunkeln Zwei Gestalten sind in der landschaft verschwunden. Die Komposition haben Paul Kotal & Han-Gyeol Lie (sie bearbeitet den präparierten Flügel) Mother Goose benannt und erinnern damit an den Komponisten Maurice Ravel, der Teile der Märchensammlung Geschichten von meiner Mutter, der Gans die Charles Perrault 1897 veröffentlichte, für Klavier vertont hat. Nicht nur Ravel klingt an, auch ein Nocturne (Nachtstück) von Chopin, das von Donnergrollen begleitet wird und auch die Komposition Mégalithes, die der 1998 verstorbenen französischen Komponisten Gérard Grisey 1969 für 15 Blechbläser geschaffen hat. Zu Gewitterstürmen und sandten Balladen, zu elektronischen Klängen und zur Stille tanzen Cécile Tonizzo, Hugo Le Brigand und die Choreografin selbst. Eine flüchtige Beziehung? Eine dauernde Liebe? Nichts bleib, wie es ist. (Eynaudi, le Brigand)
Anfangs als gleichschenkeliges Dreieck, doch das bleibt nicht so. Sie fallen übereinander und ineinander, werden zu einer unheimlichen Skulptur, immer wieder verschwindet eine der drei Figuren, dann wird aus dem Trio ein Duo, bis das dritte Gestalt wieder auftaucht, sich einmischt, mitspielen will. Es sind Linien zu sehen, als wären die drei einander völlig fremd, bis sie wieder übereinander, ineinander kriechen und zu einem Wesen werden. Eine Liebesgeschichte, vielleicht drei Liebesgeschichten. Oder Geschichten über das Verschwinden und die Löcher in der Zeit. Covid.19 hat diese Löcher in die reale Zeit gebohrt, viele Menschen in ihrer gewohnten Landschaft verschwinden lassen. „Der Zustand der Dinge kehrt niemals zu dem zurück, was er einmal war. Und genau da beginnen Trauer und Zukunft“, schreibt Alix Eynaudi ins Programmheft. Cécile Tonizzo verwandelt sich in einen Fisch.
Die Kostüme der Tänzerinnen hat An Breugelmans aus Samt und Seide gezaubert, sie verwandeln die Körper der Tänzerinnen in ein Gemälde, unheimlich und beängstigend oft wie von Hieronymus Bosch, wunderschön und tröstlich wie von Sandro Botticelli. Die Genres, die Zeiten, die Epochen und Stile fließen ineinander, wie Eynaudis Arbeitsweise. Diese beschreibt sie so:

Alix tanzt, arbeitet und schreibt zwischen Handwerk und Chaos in einer Art fröhlichem Durcheinander, wobei sie den Tanz als Lernraum nutzt. Sie arbeitet nicht allein; jedes Ereignis, jede Recherche, jede Einladung ist eine Möglichkeit, um Zeit mit Kompliz*innen zu verbringen, ein Geflecht von Freundschaften, das unter der Haut funkelt, ein Aufrühren einer wundersamen Unterstützung. Die Choreografin und Tänzerin Alix Eynaudi privat. ©  Ghedini

Das Ergebnis ist jedes Mal ein Erlebnis, immer neu, immer anders, aber immer hinreißend, schön und spannend und all diese von ihr genannten Kompliz*innen und Mitarbeiter*innen sind wahre Meister*innen, ob sie tanzen oder komponieren, nähen oder malen. Im Eröffnungsfilm von Ujjwal Kanishka Utkarsh wird ein alter Autobus zerlegt. Es wird gehämmert und geklopft, ein junger Mann reißt die Sitzbänke heraus, entfernt die blechernen Bodenplatten, das rote Plastik von der Decke. Zurück bleibt ein Gerippe. The lasts stop nennt der in Wien lebende Filmemacher aus Indien, sein kurzes Werk. Der Anfang ist das Ende.

Alix Eynaudi & Guests: Death by Landscape, a concert, Uraufführung 6.11., brut nordwest. Weitere Vorstellungen: 7., 8., 9. November 2024.
Konzept & Choreografie Alix Eynaudi
Von und mit Cécile Tonizzo, Hugo Le Brigand, Han-Gyeol Lie, a grand piano, Alix Eynaudi
Musik Paul Kotal & Han-Gyeol Lie; Original Film purna virama (the last stop) von Ujjwal Kanishka Utkarsh; Kostümdesign An Breugelmans; Lichtdesign Yasemin Duru, Lichttechnik Martin Kreinbühel, Zeichnungen auf dem Vorhang Cécile Tonizzo, Kompliz*innen Anne Faucheret, Lukas Kötz, Mark Lorimer. Produktion mollusca productions
Fotokredit Alix Eynaudi & Guests Death by Landscape, a concert, © Christine Mies.