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Eva-Maria Schaller: „Recalling her Dance”

"Aufruf": Eva-Maria Schaller nach Hanna Berger. © Christpher Mavric

A choreographic encounter with Hanna Berger” nennt die Tänzerin Eva-Maria Schaller ihr Solo „Recalling her Dance“ im Untertitel. Hanna Berger war nicht nur Tänzerin, Choreografin und Tanzpädagogin, sondern auch erklärte Gegnerin der Nationalsozialisten. Diese Haltung wirkte sich auch in ihren Solos aus. Drei davon hat Schaller zu einer persönlichen Begegnung mit Berger gestaltet. Nach der Online-Premiere von „Recalling her Dance“ im Juni 2021 war die intensive Performance einmalig im Rahmen von ImPulsTanz im MuTh zu sehen.

Eva-Maria Schaller nach Hanna Berger: Die Unbekannte aus der Seine". © Christpher MavricZu keiner Zeit ist so deutlich festzustellen, wie sehr die Geschichte des Tanzes ein Teil der gesamten Chronik des Kulturraumes ist. Tanz spiegelt die politische und soziale Entwicklung wider, Tanz reagiert darauf. Die Wiener Tänzerin Hanna Berger (1910–1962) gibt mit ihrem Werk ein eindrucksvolles Beispiel. Die Tanzhistorikerin Andrea Amort hat das 2010 in ihrem Buch „Hanna Berger. Spuren einer Tänzerin im Widerstand“ (Brandstätter) beweisen können. Die Totenmaske einer Unbekannten, abgenommen von einem Unbekannten, beflügelte zu Beginn des 20. Jhs. Dichter und Denker. © gemeinfrei 2018 hat Esther Koller Hanna Bergers 1942 uraufgeführtes Solo „Die Unbekannte aus der Seine“ an Eva-Maria Schaller weitergegeben. Koller selbst hat das Solo mit Bergers Schülerin Ottilie Mitterhuber einstudiert, der es Berger persönlich übertragen hat. So ist eine Kette entstanden, die der Flüchtigkeit des Tanzes widersteht und das Werk lebendig hält. Heute würde man Video-Aufzeichnungen in Archiven sammeln und ins Netz stellen, doch diese Bilder sind erstarrt, verändern sich nicht wie die Körper der Tänzerinnen, was gestreamt oder auf der Videowand gezeigt wird, ist tote Materie. Nicht nur die von jungen Tänzerinnen so weit wie möglich nahe am Original getanzten Choreografien, die lange Zeit vor ihrer Geburt entstanden sind, sagen mehr aus als alle Aufzeichnungen, sondern auch jene historischen Solos, die sich Tänzerinnen einverleiben, um diese auf ihre Art wiederzubeleben.
Unheimlich, wie sich die Bilder gleichen. Eva-Maria Schaller imitiert die Totenmaske einer Unbekannten. © Franzi KreisEva-Maria Schaller ist in einem früheren Werk viel weiter zurückgegangen als in die Wiener Tanzmoderne, nämlich bis ins 18. Jahrhundert, als der Tänzer Auguste Vestris (1760–1842) als „Tanzgott“ gefeiert worden ist. Andere junge Tänzerinnen haben sich eines Werks aus der Wiener Moderne angenommen. Etwa Farah Deen, die Rosalia Chladeks Solo „Luzifer“ auf ihre Weise als teuflische Influencerin interpretiert hat. Chladek hat ihre Choreografie den Tänzer Harmen Tromp gelehrt und dieser hat den Teufel mit Deen einstudiert. Dass solche Ketten von Generation zu Generation weitergereichter nicht aufgezeichneter Tanzstücke nicht nur die Wiener Tanzmoderne betreffen, hat Jérôme Bel im Rahmen von ImPulsTanz im MuTh anhand der von zweien ihrer Adoptivtöchter weitergereichten Solos „Die Mutter“ von Isadora Duncan mit der Tänzerin Elisabeth Schwartz auf der Bühne demonstriert.Probe für "Die Unbekannte aus der Seine". © Christopher MvricDie Initialzündung für den Soloabend „Recalling her Dance“ war für Eva-Maria Schaller die Einstudierung von „Die Unbekannte aus der Seine“ mit Esther Koller. Mit Unterstützung von Amort hat sich Schaller näher mit Hanna Berger und deren Werk befasst. Filmfragmente, Tagebuchnotizen und Aufzeichnungen von Schülerinnen haben ihr geholfen, drei Solos mit eigenen tänzerischen Kommentaren zu einem Abend zu vereinen. Die kurzen Solos „Aufruf!“ und „Krieger“ erklären sich von selbst, sind einprägsam und sogar animierend mit kraftvoll transportierten Aussagen. Die Schauspielerin und Regisseurin Veronika Glatzner sitzt am Bühnenrand und ergänzt die Bewegungen der Tönzerin mit Auszügen aus Hanna Bergers Notizen und ihrer Biografie. Aus dem Off erklingt Schallers Stimme die ihre Aufführung kurz kommentiert.
"Die Unbekannte aus der Seine" Eva-Maria Schaller nach Hanna Berger. © Franzi KreisZum Abschluss setzt Schaller die traurige Geschichte von der Toten, die um 1900 aus der Seine geborgen worden ist, auf ihre Weise um. Vermutlich ist die Erzählung von der schönen Ertrunkenen eher gut erfunden denn wahr, was weder zahlreiche Dichter:innen noch Choreografinnen gestört hat. Schaller hat sich dieses Solo längst einverleibt, was das Publikum geschätzt und mit tatsächlich nicht enden wollendem Applaus bedankt hat.

„Recalling her Dance. A choreographic encounter with Hanna Berger”
Konzept, Choreografie, Tanz: Eva-Maria Schaller. Musik: Matthias Kranebitter, Claude Debussy. Klavier: Elnaz Behkam. Stimme: Veronika Glatzner. Lichtdesign: Jan Wagner; Raumgestaltung: Elena Peytchinska; Kostüm: Christiane Gruber / awareness&consciousness. Tanzwissenschaftliche Unterstützung: Andrea Amort. 31. Juli 2021, MuTh Uraufführung im Rahmen von ImPulsTanz.