Eva-Maria Schaller: „Recalling Her Dance”, Online
Der Tänzerin Hanna Berger (1910–1962) und ihrer Kunst widmet Eva-Maria Schaller ihren Online-Abend im Tanzquartier, „Recalling her Dance. A choreographic encounter with Hanna Berger“. Schaller setzt sich tänzerisch mit der Biografie Bergers und in dem damit eng verbundenen Werk auseinander. Vier Choreografien – die kurzen Solos „Krieger“, „Aufruf“ und „Mimose“ ein zarter Tanz, der für Schaller den Übergang zum Hauptstück, „Die Unbekannte aus der Seine“ bildet – geben in der Online Produktion einen Eindruck von Bergers Ausdruckskraft und Engagement.
Das Licht erlischt, die Tänzerin wechselt in aller Ruhe ihr Kostüm, bereitet sich auf den Tanz auf den Wellen der Musik vor. Sie hat ihr bestes Kleid angezogen, gebauschte Ärmel, weiter Rock, dunkle Seide. Langsam dreht und wiegt sich Eva Schaller, schwingt die Arme, ist ganz bei sich selbst. Mir scheint, sie schwebt schon im Wasser, obwohl sie sich wieder vom Ufer entfernt. Eva Schaller tanzt „Die Unbekannte aus der Seine“, das berühmte Solo von Hanna Berger. Davor aber zeigt die zerbrechliche Tänzerin Stärke, sie ist der „Krieger“ und mobilisiert in „Aufruf“ die Arbeiterschaft.
„Krieger“ ist 1937 entstanden und in Berlin im Rahmen von Bergers erstem Soloabend aufgeführt worden. Wen die Tänzerin in diesem kurzen Solo bekriegen wollte, war sofort klar, und die erklärte Gegnerin des Nationalsozialismus musste stante pede aus Deutschland zurück in ihre Heimat Österreich fliehen. „Aufruf“, entstanden 1943/44 ist ein kurzer gestischer Tanz, der Bergers politische Überzeugung als Kommunistin und Widerstandskämpferin zum Ausdruck bringt. In Wien war Hanna Berger als Kommunistin nicht willkommen, so arbeitete sie ab den 1950er Jahren gerne in der DDR. Bleiben wollte sie auch dort nicht, für ihre künstlerische Persönlichkeit war es in der Diktatur zu eng.
Seit die Tänzerin Esther Koller Bergers anlässlich ihres Wien-Debüts Im Dezember 1937 in der Urania aufgeführtes Solo, „Die Unbekannte aus der Seine“, übernommen hat, war dieses tänzerische Porträt eines Mädchens, das den Ertrinkungstod wählt, immer wieder zu sehen. Hanna Berger wollte der Flüchtigkeit des Tanzes ein lebendiges Archiv entgegensetzen und hat einige ihrer Stücke an Schülerinnen weitergegeben. So hat Ottilie Mitterhuber „Die Unbekannte aus der Seine“ zum traumhaft schönen, impressionistischen Musikstück „Reflets dans l’eau“ von Claude Debussy bei der Matinee am 5. Jänner 1958 in der Wiener Urania offiziell erhalten. Mitterhuber hat das Solo an Esther Koller weitergegeben, die es 2018 mit Eva Schaller einstudiert hat.
Schaller ist in „Krieger“ und „Aufruf“ eine präsente, kräftige Tänzerin mit starker Ausdruckskraft und deutlicher Gestik. Die empfindsame „Mimose“ ist tatsächlich notwendig, um zu dem biegsamen, verträumten Mädchen überzuleiten, das zwischen Leben und Tod tanzt. Ich denke, Hanna Berger wäre sehr zufrieden, ja beglückt über die Interpretation der jungen Tänzerin, die ihre Kunst in der dritten Generation lebendig erhält. Was Berger zu ihrem Solo notiert hat, ist so plastisch, dass es auch für Schaller Gültigkeit hat.
„Die Unbekannte aus der Seine / L’Inconnue de la Seine“:
Das Irren am Ufer – das Locken des Wassers – das Zögern – die Angst (eine Angst vor dem Weiterleben, größer als vor dem Tod) – der Entschluss – das-In-das-Wasser-gehen – Von den Wellen getragen werden – das Erstarren.“ (Hanna Berger, Libretto)
Die Schauspielerin Veronika Glatzner begleitet den Tanz mit Auszügen aus Notizen Hanna Bergers, biografischen Daten und anderen Texten. Wenn die Musik sich nicht gnadenlos über die Stimme legt, versteht man auch, was gesagt wird. Die Texte können auch in einem herunterladbaren Folder nachgelesen werden. Die perfekte Lichtregie und die optische Nähe der Tänzerin auf dem Bildschirm lassen kurz vergessen, dass das Live-Erlebnis auch der besten Aufzeichnung vorzuziehen ist. Eva-Maria Schaller hat für ihre tänzerische Kunst und die liebevolle und auch mühevolle Recherchearbeit einen kräftigen Applaus verdient. Mögen ihr vier Tage lang die Ohren geklungen haben. Am 1. Juli wird sie mit ihrer Arbeit für Hanna Berger auf der Bühne während des ImPulsTanz Festivals zu erleben sein.
Eva-Maria Schaller: „„Recalling her Dance a choreographic encounter with Hanna Berger“. Konzept, Choreografie, Tanz: Eva-Maria Schaller.
Musik: Matthias Kranebitter, Claude Debussy. Stimme: Veronika Glatzner. Raumgestaltung: Elena Peytchinska; Lichtdesign: Jan Wagner; Kostüm: Christiane Gruber | awareness & consciousness; Begleitung: Susanne Brandt, Sigrid Reisenberger, Martina Rösler. Produktion: Julia Haas. 29. Mai bis 1. Juni 2021, online auf tqw.at
Tanzwissenschaftliche Unterstützung: Andrea Amort.
Tipp
Andrea Amort: „Hanna Berger. Spuren einer Tänzerin im Widerstand“ Hrsg. vom Deutschen Tanzarchiv Köln, Brandstätter 2010. 183 Seiten, zahlr. Abb.€ 29,80.
Über Eva-Maria Schaller:
„What we hold inside"
„Vestris"