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JÉRÔME BEL: „Isadora Duncan“, ImPulsTanz

Elisabeth Schwartz tanzt ein Solo von Isadora Duncan. © Veronique Ellena

Mit seiner Lecture-Performance beschreitet der französische Choreograf Jérôme Bel neue Wege, er widmet sich dem Tanz, ganz speziell dem der Begründerin des Bühnentanzes ohne Spitzenschuh und Tutu, der Amerikanerin in Paris, Isadora Duncan. Die der legendären Tänzerin von Bel im Rahmen vin ImPulsTanz im MuTh gewidmete Stunde ist durch Elisabeth Schwartz, Duncan-Tänzerin der 3. Generation, nicht nur lehrreich, sondern auch überaus vergnüglich geworden. Selbst für jene, für die Isadora Duncan mehr als eine Legende ist.

Cover der Autobiographie von Isadora Duncan: "Mein Leben".1928. Die deutsche Übersetzung, Neuauflage 2015, ist im Buchhandel erhältlich. © wikimedia Als einnehmender, lockerer Unterhalter ist mir Jérôme Bel nicht in Erinnerung. Im Gegenteil, in Frankreich wird er als Spitze der Non-danse-Bewegung gefeiert, im deutschen Sprachraum als Konzepttänzer, was immer das war. Der Trend ist ohnehin eingeschlafen. Jetzt geht der preisgekrönte Choreograf, der wie Duncan der Präsentation des Bühnenkörpers neue Impulse gegeben hat, auf die 60 zu, ist voll Humor gelassen und charmant geworden. 1997 war er zum ersten Mal im ImPulsTanz Festival zu Gast. Gegen Mitternacht hat er im Casino die Körper seiner Compagnie pur auf die Bühne gestellt. Vermutlich habe ich damals nichts verstanden, auch den Humor, der im Programmheft betont wird nicht erkannt. 2015 war dann die Uraufführung von Gala, einem phänomenalen Gruppenstück mit professonellen Tänzer:innen, Amateur:innen und behinderten Tänzer:innen, das von New York bis Wien (Tanzquartier, Oktober 2016) mit einem örtlichen Team auf der Bühne funktioniert und Begeisterungsstürme hervorgerufen hat.
Längst kommt Jérôme Bel auch bei der nächsten Generation gut an, wird bejubelt, wie die von ihm als lebendes Beispiel für Isadora Duncans Bewegungsmaterial auftretende Tänzerin Elisabeth Schwartz. Bel sagt, sie sei 70 Jahre alt, man glaubt es kaum. Wenn sie in der griechischen Toga wie die Duncan die Arme schwingt und zur Musik Frédéric Chopins die Elemente des Solos „Prélude“ zeigt, ist sie ein junges Mädchen. Elisabeth Schwartz tanzt in griechischem Gewand zu Frédéric Chopin. © Camille BlakeDie Duncan, geboren 1877, ist keine 70 geworden, 1927 ist sie einen grausigen Tod gestorben. Dieser, ihr Tod und der Tod generell, gehört zu Duncans Leben und zu ihrem Tanz. Ihr Unfall-Tod gehört ebenso zu den Anekdoten, an denen auch Jérôme Bel nicht vorbeikommt, wie die nicht weniger traurige Geschichte vom Tod der beiden Kinder, Deirdre und Patrick. Auch deren Väter tragen berühmte Namen: Deirdre ist die Tochter des Bühnenbildners, Regisseurs und Theatertheoretikers Gordon Crag; Patricks Vater ist als Gründer des Universums der auch in österreichischen Haushalten mit dem Fuß getretenen Singer-Nähmaschine bekannt. Isadora Duncan mit ihren Kindern Patrick und Deirdre. © gemeinfreiEin langes Leben war den beiden Kindern nicht beschieden. Patrick war erst drei, Deirdre 7 Jahre alt, als sie von einem Auto-Ausflug mit dem Kindermädchen, Annie McKeesack, nach Paris zurückkehren. Der Motor stirbt ab, der Chauffeur steigt aus, um diesen mit der Kurbel wieder zu starten, doch er vergisst, die Handbremse anzuziehen. Das Auto rollt ungebremst in die Seine. Annie McKessack und die beiden Kinder ertrinken. Zwei Jahre kann Duncan nicht auftreten.
Viel hat sie nach der Trauerphase nicht mehr zustande gebracht. 1921 ist sie in Russland dem Dem Werk des Komponisen Alexander Skrjabins begegnet und hat sich voem Klavierwerk inspirieren lassen. Innerhalb des Triptychons „Russische Impressionen“ entstand auch das Solo „Die Mutter“, zu Skrjabins Étüde für Klavier op.2 Nr. 1, eine der wenigen Choreografien, die von Isadora Duncan erhalten ist und immer wieder nachgetanzt wird. Mit der Trauer einer Mutter in dieser raffinierten, intensiven Choreografie hat sich auch der französische Filmemacher Damien Manivel befasst. Tanz im Wasser: Anna Duncan, ene Ziehtochter Isadoras. © gemenfreiIn seinem leisen Film „Les enfants d’Isadora“ („Isadoras Kinder“) lässt er drei Tänzerinnen unterschiedlichen Alters weniger die Choreografie Duncans nachempfinden,  als die Gefühle, die sie  in ihrem Solo ausdrücken will. Die Schüler und die alte Tänzerin skizzieren nur einige Bewegungen, im Zentrum tanzt die junge Frau, die zur Musik Skrjabins ihre eigene Choreografie erfindet. Ein Film, der auch einiges über das, was Isadora Duncan angetrieben hat, aussagt.
Jérôme Bel enthält sich jeglichen Urteils, er skizziert ein getanztes Porträt der von ihm erst 2018 entdeckten Tänzerin, über die ein Unwetter hereinbrach, als sie es wagte, mit nackten Füßen und ohne das unerlässliche Korsett afzutreten.
Einschub: Eine wahre Schande übrigens, dass Wäschefirmen immer wieder versuchen, Fischbeine uDas Publikum lernt wie Isadora zu tanzen, und die Show ist gar nicht peinlich. © ARTE.tv 2019 / Viedeoausschnittnd Drahtverstärkungen für Frauenunterwäsche salonfähig zu machen. Weil es aber doch den Salon nicht mehr gibt, sollten auch die Fischbeine oder Plastikstäbchen, die die Brüste heben und die Taille einschnüren sollen, nur noch im Museum zu sehen sein. Wenn keine Frau auf solche künstlich erzeugten Trends hereinfällt, wird es ie auch nicht mehr geben. Das Angebot liegt, wie sie oft, am Verhalten der Konsumentinnen.
Pardon, der Ausritt musste jetzt sein.
Isadora Duncan orientierte sich zu Beginn an der Bemalung antiker Vasen. © Donation Gilberte Cournand (Mediatheque du CND Centre national de la danse)Zurück zu Jérôme Bel und Elisabeth Schwartz, die auch ohne Korsett eine schöne Frau und wunderbare Tänzerin ist. Eher durch Zufall hat sie in Amerika bei Julia Levien begonnen, das Bewegungsvokabular Isadora Duncans zu studieren und später ihre Gruppe L’Onde / die Welle gegründet. In ganz Europa, außer in Wien, ist sie damit aufgetreten. Julia Levien (1911–2006) hat ihre Kenntnisse der Intensionen und des Repertoires der Duncan aus erster Hand erfahren: Die Adoptivtöchter Duncans, Anna und Irma, haben ihr ab 1920 beigebracht, was es zu lernen und zu wissen gab. Auf diese Weise wird durch Tänzerin Elisabeth Schwartz der erhaltene Teil aus Duncans choreografischen Repertoire lebendig erhalten. Und auch Elisabeth Schwarz ist als Lehrerin und Ballettmeisterin tätig, es wird eine 4. Generation von Duncan-Tänzerinnen geben, auch wenn diese sich in ihrem Körper anders fühlt und mit ihren Bewegungen anders ausdrücken wird als Isadora Duncan mehr als hundert Jahre davor.
Zu Jérôme Bel gibt es Beachtenswertes zu berichten. Aus ökologischen Überlegungen will er mit seiner Truppe nicht mehr von Termin zu Termin fliegen. Wenn nicht mit der Bahn gereist werden kann, dann bleibt die Compagnie eben zu Hause, verzichtet auf Auftritte und Honorar. Geld stinkt ihm mitunter wie die verpestete Luft. Der Tänzer und Choreograf Jérôme Bel verzichtet auf Reisen mit dem Flugzeug. © Arte.TV / VideoausschnittSein Einsatz für eine bessere Welt beginnt schon mit dem Verzicht auf ein gedrucktes Programm. „Ihr werdet sehen, was ich euch zeige.“ Gut so, die Vorstellung ist transparent und leicht verständlich und zehn Willige, das sind lauter Frauen, daher darf ein Elfter, ein junger Mann, ausnahmsweise dazu stoßen, können auf der Bühne mit Schwartz und Bel die Elemente des Duncan-Solos „Die Mutter“ einstudieren und ihre eigenen Empfindungen damit ausdrücken. Das junge Publikum zeigt Lust, das Angebot angzunehmen, wirft die Sandalen in eine Ecke, imitiert ernsthaft die fließenden, vor allem auf die Arme konzerntrierten Bewegungen der barfüssigen Isadora. Das gefällt und ist gar nicht peinlich. Nicht jeder Einladung an das Publikum gelingt dieses Durchbrechen der vierten Wand. Doch Jérôme Bel und Elisabeth Schwartz boten einen lockeren Vortrag mit Demonstsationselementen, dabei ist alles möglich, auch der Tanz des Publikums.
Leider nur einmalig! Die Mundpropaganda des begeisterten Publikums hätte den Konzertsaal im MuTh ein zweites Mal gefüllt. Nicht alle Vorstellungen im Rahmen des ImPulsTanz Festivals schenken beides: Unterhaltung und Erkenntnis.

Jérôme Bel / Elisabeth Schwartz „Isadora Duncan“, ein getanztes Porträt. 28. Juli 2021, ImPulsTanz im MuTh.
Workshop über Isadora Duncan mit Elisabeth Schwartz und Jérôme Bel. 31.7., 1.8. 2021, Arsenal.