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Zum Ende der Intendanz von Bettina Kogler

Bettina Kogler: Ende einer Dienstzeit

Ein Hauch von Trennungsschmerz schwebt über den Studios des Tanzquartiers. Bettina Kogler, keine große Freundin öffentlicher Auftritte und langer Reden, muss ihre letzte Pressekonferenz als künstlerische Leiterin des Zentrums für zeitgenössische Choreografie und Performance, genannt Tanzquartier, halten. Ein Rückblick ist nach acht Jahren Intendanz angebracht und natürlich die Vorschau auf die bis Juni noch kommenden Ereignisse samt dem effektvollen Abschluss. Garantiert ein veritabler Knüller.  

Choreografin Florentina Holzinger in der Kulisse ihrer jüngsten Arbeit, „Sancta“.  © Annette HauschildSuperstar Florentina Holzinger, eben mit ihrem jüngsten Spektakel, „Sancta“, zum Berliner Theatertreffen eingeladen, wird sich auf ihre Weise mit dem ziemlich verrückt spielenden Klima und auch mit dem experimentierfreudigen Naturwissenschaftler Victor Frankenstein samt dem von ihm geschaffenen Monster (alle beide aus der Feder der Schriftstellerin Mary Shelley, geborene Godwin, 1797–1851, stammend) befassen. Die aufwändige Performance  – Holzinger bäckt keine kleinen Weckerl – nennt sie Year without Summer. Der Titel ist jedoch nicht zukunftsträchtig, sondern erinnert an die Vergangenheit, nämlich an das Jahr 1816, das als „Jahr ohne Sommer“ in die Geschichte eingegangen ist. Ein Jahr zuvor war der Vulkan Tambora auf der Insel Sumbawa in Indonesien ausgebrochen, was einschneidende Wirkungen auf das Weltklima hatte. In diesem Elendsjahr weilte die 19-jährige Mary Goodwin mit ihrem zukünftigen Ehemann am Genfer See. Sie war Teil einer gemischten Gesellschaft, die Lord Byron in seiner Villa Diodati besucht hatte. Weil man wegen des dauernden Schlechtwetters kaum vor die Tür gehen konnte und sich langweilte, lMary Shelley: „Frankenstein oder der moderne Prometheus“. Deutsche Erstausgabe, Max Altmann, Leipzig 1912. © lizenzfrei / wikipediaas man gemeinsam, die damals hoch im Kurs stehenden romantischen Schauergeschichten und die literaturbegeisterte Runde beschloss, selbst Gruseliges zu erfinden. Mary lieferte das Monster, das vom Lesevolk den Namen seines Schöpfers erhielt: Frankenstein.Sie erzählte gerne, die Idee zur Geschichte sei ihr nach „einem unheimlichen Halbtraum“ zugefallen. Sie hätte von einer wiederbelebten Leiche, einem künstlichen Menschenwesen geräumt, berichctete sie und gab der schaurigen Geschichte den Untertitel Der moderne Prometheus. Damit bezieht sich Shelley auf den antiken Mythos wo erzählt wird, dass der aufmüpfige Titan Prometheus gegen den Willen der Götter aus Lehm den ersten Menschen und auch das Feuer geschaffen hat.
Darauf bezieht sich die Choreografin und Regisseurin Florentina Holzinger: „Sie entwirft eine neue apokalyptische Vision des künstlichen Lebens: In dem Vorhaben die Natur zu bezwingen, wird der Körper zum Experimentierfeld, der sich immer radikaleren Witterungsverhältnissen unterworfen sieht. Year without Summer erzählt von der Verbesserung der Natur bis zur Perversion und ist ein Versuch, die Verheißung des ewigen Lebens gegen den sicheren Tod auszuspielen. Uraufführung: 21. Mai 2025, Volksbühne, Berlin“ (Pressetext). Miet Warlop zeigt im Juni ihre neue Perforamnce, „Deelirium“. © brakkegrond,nl
Year without Summer ist eine Gemeinschaftsproduktion von Tanzquartier und Volkstheater und vom 19. Bis 21.6. im Volkstheater zu sehen.
Als Koproduktion mit den Wiener Festwochen wird an drei Abenden (14.–16.6.) in der großen Halle E ein weiteres Gustostück gezeigt: Die belgische Multimedia-Künstlerin Miet Warlop führt ihr Publikum ins Delirium. Die Vorschau verspricht einen „tänzerischen Wirbelwind von fünf Tänzer*innen und 1500 Metern Stoff, in dem Ängste, Sehnsüchte und Geheimnisse Raum bekommen“.
Sprung aus der nahen Zukunft in die unmittelbare Vergangenheit.  Lea Sonderegger fotografierte den Eingang zu den Tanzquartier Studios und Büros im Sonnenschsein. Nach dem Ausblick ein Rückblick zusammengefasst in Zahlen: „Von Juli 2017 bis Ende Dezember 2024 wurden insgesamt 377 Produktionen im Tanzquartier Wien gezeigt. 152 Uraufführungen und 99 österreichische Erstaufführungen standen auf dem Programm. Die Gesamtauslastung lag in dieser Zeit bei durchschnittlich 91,46 %. Die diversen Angebote des Hauses wurden von insgesamt 239.933 Besucher*innen in Anspruch genommen.“ Mit Ende der Spielzeit, wenn die endgültige Erfolgsbilanz feststeht, werden sich die Zahlen noch ein wenig erhöhen.
Der Programmkalender für die Abschiedssaison von Bettina Kogler ist prall gefüllt und auf tqw.at zu studieren. Empfehlen möchte ich überdies das online erscheinende Tanzquartier Magazin, in dem jede gezeigte Produktion von Autorinnen mit unterschiedlichem Hintergrund beleuchtet wird. Die gesammelten Texte werden laufend auf tqw.at und zusätzlich einmal im Jahr in gedruckter Form veröffentlicht. Die Printversion ist kostenlos und liegt in den TQW Studios zur freien Entnahme auf. Das Magazin 2024 ist bereits gedruckt.Im Herbst 2024 hat Veronica Kaup-Hasler die neue Leitung des Tanzquartier Wien vorgestellt: die künstlerische Intendanz Rio Rutzinger und Isabel Lewis (im Videostill) sowie die künftige Geschäftsführerin, Gerda Saiko. © Stadt Wien/Lukas Fuchs Seit August 2024 ist Bettina Kogler auch künstlerische Leiterin von BIT Teatergarasjen in Bergen, Norwegen. Diezweifache Intendanz endet im Juni wenn Kogler sich gänzlich der Arbeit in der norwegischen „Theatergarage“ widmen wird. Die neue Intendanz übernimmt ein Duo: Rio Rutzinger, der mehr als 30 Jahre künstlerischer Leiter der Workshopsparte bei ImPulsTanz war, wird das Tanzquartier mit der Theoretikerin, und praktizierenden Künstlerin Isabel Lewis im Duo leiten.  .

Pressegespräch mit der scheidenden künstlerischen Leiterin des Tanzquartiers, Bettina Kogler. 21.1.2025, Tanzquartier Studios.
Vorstellung der finalen Highlights, Choreografien von Florentina Holzinger und Miet Warlop. Rückblicke und Ausblicke.