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Michael Turinsky und die Asche Gramscis

Michael Turinsky arbeitet als Agitator in „Work Body“.

In seiner aktuellen Soloarbeit Work Body im Wiener Tanzquartier liefert der österreichische Choreograf und Tänzer Michael Turinsky einen profunden Kommentar über ideologisches Begehren zwischen der Suche nach einem allumfassenden Gemeinschaftskörper und dem Ringen um Autonomie des modernen Subjekts.

Eine Latzhose aus Jeansstoff, ein nackter, durchtrainierter Oberkörper, schwarze Handschuhe über den Bandagen-gTänzer und Choeograf Michael Turinsky an der Arbeit. estählten Armen, harte Montageschuhe – und ein Hammer, seitlich, einer Waffe im immer bereiten Colt gleich, an der Hüfte schwingend: Michael Turinskys Bühnenfigur in seinem neuen Solo Work Body  gleicht in seiner humoresken Überhöhung auch dem schmerzvollsten Klischee des Pin-up-Girls-bestückten Automechaniker-Werkstatt-Spints einer 70er-Jahre-Street-Crime-Serien-Folge. Hier wird gearbeitet, hart, Bier getrunken und gejohlt.
So könnte es beginnen – und tut es auch, wäre Turinskys Figur nicht allein schon durch die außergewöhnliche Körperlichkeit des österreichischen Choreografen und Performers gebrochen. Turinsky tanzt diesmal nicht, er arbeitet auf der Bühne, ziemlich hart. Turinsky greift in seiner jüngsten Performance Fragen von Arbeit und Identität, zugrunde idealisiertem Gedankengut und zerbrochenen Träumen einer proletarisch-maskulinen Weltgemeinschaft auf und stellt diese persönlichen biografischen Erfahrungen als von Geburt an mit Zerebralparese lebender Künstler gegenüber. Dabei strukturiert er seine mehrschichtige Choreografie entlang der biografischen Begegnung zweier ikonischer Figuren der italienischen kommunistischen Arbeiterbewegung, des marxistischen Philosophen und Mitbegründers der Kommunistischen Partei Italiens, Antonio Gramsci, und des 1949 aufgrund seiner „verderblichen Einflüsse“ aus der KPI ausgeschlossenen Dichters und Filmemachers Pier Paolo Pasolini. Auch die grellen Spots folgen dem hart arbeitenden Performer. In fünf deutlich voneinander abgegrenzten Abschnitten skizziert Turinsky Aufstieg und Fall einer Bewegung, deren „Trümmer“ Pasolini in seinem langen Abgesang über der „Asche Gramscis“ beweinte. Pasolinis Gedichte waren vorerst einzeln zwischen 1951 und 1956 in verschiedenen Zeitschriften und auf Plakaten erschienen, ehe sie der Dichter 1957 im Band Le ceneri di Gramsci (Die Asche von Gramsci) in einen elfteiligen Zyklus zusammenfasste.
Turinsky, der zwei Passagen daraus auch in seiner eigenen Übersetzung im Abendprogramm wiedergibt, stellt im ersten Teil den tätigen Arbeiter in den Mittelpunkt. Als Paletten-Fahrer schleppt er selbst Podiumsteil um Podiumsteil durch den Bühnenraum, den er, ganz einer unter vielen, konsequent während der gesamten Aufführung mit dem Publikum teilt. Als parolengrölender werktätiger Agitator erinnert der Tänzer an den intalienischen Politiker Antonio Gramsci. (Michael Turinsky)Selbst die zahllosen grellen Spots an der Decke folgen, Reihe um Reihe, einer Lichtarmee gleich, der harten Arbeit des Performers. Nach getaner Arbeit darf auch gerne mal Bier aus Dosen, die im obligaten (wenn auch polierten) Schubkarren auf alle warten, genossen werden, ehe es, mit frenetischem Gejohle und Geklatsche, in die obligate Ausrufung von Kollektiv und Dank geht. Spätestens hier wird klar:Diese Arbeiter-Heroe hat seine Anhängerschaft fest im Griff, wie es eben ist, wenn Ideale noch hochgehalten werden und Idole noch oben stehen. Auch Turinskys werktätiger Agitator steht nun, das Mikrofon dauerschwingend, fest auf dem selbstgebauten Bühnenschiff, hält das Ruder der Macht in der Hand, grölt Rhetorik – „Stolz“, „Erfolg“ und „Leistung“ – und ist noch ganz von jener „Fröhlichkeit“ des „proletarischen Lebens“ in dessen „ursprünglicher Kraft“ erfüllt, aus deren Ende Gramscis Asche weht. Der Performer baut seinen Arbeitssplatz auf der Bühne selbst.
Der Bruch ist hart, damals wie immer. Und so baut Turinsky im folgenden Teil des Abends einen Sternenwall um seine kleine Podiumswelt, ein Universum, das nur noch angerufen, nicht aber mehr bewohnt werden wird. Dunkel wird es in diesem Teil, und auch der bis dahin wummernde, in weiter Ferne an Hammerschläge erinnernde grandiose Beat dieses Abends  zieht sich zurück, als wäre auch ihm die Kraft der Jahre, „da der Irrtum noch Leben war“, genommen. Ein letztes, langes Lied, und die Stimme Pasolinis, eher Turinskys großer choreografischer Abgesang einsetzt:Der Tänzer liegt am Boden und dreht und rollt und windet sich, dieses Mal im Pas de deux mit dem aus seiner Halterung befreiten Hammer, über den Bühnenraum unterhalb des Podestes, dessen Höhen er, geschichtsbewusst wie sein schreibendes Alter Ego, schon lange verlassen hatte. Das Sternendach: nichts mehr als ein Rüschenvorhang, mühsam angeklettet an die Ränder eines verblassenden Geschichtsbewusstseins. Auch die Massen im Raum haben mitgeklatscht, wie immer, und noch vor Minuten. „Aber wozu dient das Licht?“ Turinsky hat das Rednerpodest verlassen, liegt gant unten und kann keine Frage beantworten. (Michael Turinsky) . Mit diesem Bild, der „trostlosen Lage der Enterbten“, zu enden, schiene konsequent. Und doch wäre es zu einfach. Was bleibt, schreibt Pasolini, als jener Enterbter, ist der Besitz von Geschichte. Und so nimmt Michael Turinsky den Elektrobohrer. Und er bohrt. Das Leben unter den weiß getünchten Wänden, ob es gerade erblüht oder erstirbt – die Antwort bleibt an diesem eindrucksvollen Abend ebenso offen wie die Frage am Ende des zitierten Textes: „Aber wozu dient das Licht?“

Michael Turinsky: Work Body, Tanzquartier Wien, 24. und 25.1.2025
 Idee, Choreografie, Text, Performance: Michael Turinsky;
Musik, Lyrics, Performance: Tian Rotteveel; Raum, Kostüm: Jenny Schleif; Lichtdesign: Max Rux; dramaturgische Beratung; Chris Standfest; künstlerische Mitarbeit: Liv Schellander; Eine Koproduktion von Verein für philosophische Praxis, Tanzquartier Wien und Theater Rampe
Fotos: © Michael Loizenbauer