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Unruhe im KaiserRequiem – Drei auf einen Streich

Sängerinnen und Tänzerinnen auf einem Knäuel.

Premiere in der Volksoper. Eine Oper? Ein Ballett? Eine Totenmesse? Kein Musical, keine Operette, aber sonst vieles, zu vieles, auf einmal. Ein Gemisch sämtlicher Bühnenkünste. In seiner holprigen Künstlichkeit weist schon der Titel des Abends, in dieser Form, eine Uraufführung, KaiserRequiem, auf das zusammengepuzzelte Pasticcio hin. Der Gesang von Viktor Ullmanns Oper Der Kaiser von Atlantis wird ebenso mit Tanz garniert, wie die von Mozart komponierten Teile des Requiems in d-Moll. Ergänzt wird das Konglomerat zudem durch gesprochene Teile.

Der Chor der Volksoper Wien in Bewegung.Gegen die beiden ineinander verwobenen Werke ist kein Einspruch zu erheben, sie sind sakrosankt, unantastbar. Die satirische Oper Der Kaiser von Atlantis oder die Tod-Verweigerung vom Komponisten Viktor Ullmann (1890–1944) wie andere Werke im Ghetto Theresienstadt komponiert worden. 1942 war er in das Sammellager im heutigen Tschechien deportiert worden. Im Oktober 1944 wurde er mit vielen Kollegen nach Auschwitz deportiert und kurz nach seiner Ankunft in der Gaskammer ermordet. Auch der Librettist, Peter Kien, ist von Theresienstadt nach Auschwitz verlegt worden und dort mit 25 Jahren gestorben. In Theresienstadt ist das „Spiel in einem Akt“ (Originalbezeichnung) bis zur Generalprobe gelungen. Die Uraufführung hat im Dezember 1975 in Amsterdam stattgefunden, Dirigent war Dennis Russel Davis. In Theresienstadt ist das Werkt erstmals 51 Jahre nach den ersten Proben, am 23. Mai 1995 gespielt. (Daten aus Wikipedia).  Die vier  Szenen (in der aktuellen Aufführung sind es sechs, die durch Mozarts Requiem getrennt werden) wurden ab Mitte der 1990er Jahre in Graz, Klagenfurt, Salzburg und Linz (2010) aufgeführt und auch Wien verschiedenen Orten, oft szenisch, zuletzt 2017 in der Kammeroper (Theater an der Wien), doch noch nie in den beiden Opernhäusern der Bundestheater. (siehe Schott-Music).Und deshalb hakt dieses KaiserRequiem für mich. Seiyoung Kim /Harlekin, der für das Leben steht, Daniel Schmutzhard (Kaiser Overall, der Krieg gegen alle befiehlt.
Beide Kunstwerke werden zerhackt und aufgemotzt, als seien sie für sich allein nicht ausreichend. Damit werden beide Werke desavouiert. Allerdings, der Kurzzeit-Musikdirektor der Volksoper und seit heuer Generalmusikdirektor der Hamburgischen Staatsoper und Chefdirigent der Philharmonischen Staatsorchesters Hamburg und zugleich Musikdirektor am Teatro Massimo in Palermo, Omer Meir Wellber, hat gute Arbeit geleistet. Ihm war dieses Zusammenfügen zweier Werke ein Anliegen und als szenische Aufführung hat er die Idee auch bereits 2022 in Palermo verwirklicht. Martin Winter ist der tanzende Tod, Begleiter des Sängers Josef Wagner. Allerdings als halbszenische Aufführung ohne den großen Aufwand an Bühnenbild und Choreografie. „Für mich war Palermo wie eine Probe für Wien“, im Interview für das Programmbuch. Nahtlos klicken die beiden Kompositionen, Meier Wellber hat auch die musikalische Fassung des Mozart-Requiems hergestellt und gemeinsam mit dem Regisseur und Choreografen, Andreas Heise, Textpassagen eingefügt. So ist KaiserRequiem zu einem  homogener Abend verschmolzen, doch ist das Ballett mehr als überflüssig. Die Tänzerinnen des Wiener Staatsballetts in der Volksoper bemühen sich redlich und zeigen eindrucksvollen Akrobatik (eckiges, turnerisches Bewegungsvokabular für die Opernszenen; tänzerisches für die Requiemteile), doch die Choreografie ist auf Stadttheaterniveau. Jede Note wird mit einer Geste belegt, selbst wenn die Tänzerinnen stillstehen, wackeln sie mit dem Kopf. und auch das ein mehrfach gesehens Bild: Männr schleifen Frauen über den Boden. Das Tanz-Ensemble in Aktion.Auch der Chro muss „tanzen“, halt die Arme zum Himmel strecken, die Hände zum Gebet formen. Hie und da werden Frauen über die Bühne geschleift. Ich sehe keine eigenständige Geste, keine Passage, die ein Gefühl, sei es Trauer oder Staunen, in mir weckt. Die Solistinnen hampeln hinter den Sängerinnen her, die Konzentration geht verloren, weil auf der Bühne dauernde Unruhe herrscht. Das ist die Handschrift des scheidenden Ballettdirektors, der auch lieber en gros als en détail arbeitet. Und, dass auch Männer auf Spitze tanzen, ist weder eine Neuigkeit noch besonders aussagekräftig. Der Gag dient bestenfalls der Illusstration der Szene, in der der Kaiser Overall mit seiner Garde auftritt.  Kevin Hena, der tanzende Begleiter des Harlekin, Tessa Magda, Mitglied des Begleitvolks.
Das Bühnenbild Sascha Thomsen, der auch für die Kostüme in Grau mit grünen Streifen, Schuhen oder Handschuhen (trotz des Elends lebt die Hoffnung !) zeichnet, strahlt Ruhe und Beengung aus. Die beiden im spitzen Winkel zueinanderstehenden hohen Mauern könnten einen Gefängnishof umschließen. Die Kassetten in der Breitseite lassen sich als Fenster öffnen und geben den Blick auf helle Kabinette, in den Personen tanzen, sitzen oder stehen. Da denke ich an einen Turnsaal, eine Familie beim Abendessen oder Gäste einer Trauerfeier. Wenn man den Blick nicht auf die Bühne senkt, wo Akkordarbeiter Heise Tänzerinnen und Choristinnen als Perpetuum mobile eingesetzt hat, kann man in den hellen Fenstern etwas Ruhe und Konzentration finden. Doe Fenstr sind offen, die Kabinette bewohnt. Vorne in grüner Gala der reuige Kaiser Overall (Daniel Schmutzhard).
Vor der Musik Ullmanns muss sich niemand fürchten,. Ullmann hat mehrere Lehrmeister gehabt und sich beim Komponieren an die Instrumente gehalten, die im Lager vorhanden waren. Stilistisch ist die Komposition schwer einzuordnen, mit Banjo und Saxophon klingt die „Kapelle“ (Ullmann) jazzig, dann wieder ganz geradezu idyllisch. Ullmann eben. Er selbst spricht von „Polytonalität“. Dirigent Meier Wellber spricht von einer  „Orchesterbesetzung, die in ihrer äußerst charakteristischen Färbung zugleich aber eine sehr genaue, ganz und gar nicht nur an die Möglichkeiten vor Ort angepasste Klangvorstellung des Komponisten zeigt.“ Man darf Ullmanns Parabel vom Kaiser Overall, der den Krieg jeder gegen jeden befehlt, was den Tod in den Streik treibt, von der Entstehungsgeschichte entkoppeln. Die Aktualität des Textes und die Intensität der Musik sind gerade jetzt, jetzt erst recht, treffend, wichtig und notwendig. Ohne die flache Choreografie wäre KaiserRequiem doppelt wertvoll.

 KaiserRequiem
 Der Kaiser von Atlantis oder Die Tod-Verweigerung, Musik Viktor Ullmann; Dichtung: Peter Klien, Viktor Ullmann & Felix Braune.
Requiem d-Moll KV 620, Musik: Wolfgang Amadeus Mozart; musikalische Fassung: Omer Meir Wellber.
Musikalische Leitung: Omer Meier Wellber, Regie & Choreografie: Andreas Heise;  Bühne & Kostüme: Sascha Thomsen; Licht. Johannes Schadl; Soundinstallation & szenische Assistenz: Kian Jazdi; Choreinstudierung: Roger Díaz-Cbajamarca.
Tanz: Gabriele Alme, Kevin Hena, Keisuke Nejime, Aleksandar Orlič, Marta Schlumarini, Mila Schmidt, Martin Winter und das Volksopernensemble des Wiener Stabsballetts.
Chor der Volksoper Wien; Orchester der Volksoper Wien, Premiere: 25. 1. 2025; Folgevorstellungen ab 27. Jänner 2025.
Fotos: © Wiener Staatsballett / Ashley Taylor