Selbstgespräche in der digitalen Welt
Ein leerer Raum, hinten an der Wand das Bild einer Blumenwiese, Streuwiese, Natur pur. Verloren steht eine zarte Person, die Tänzerin, auf der Bühne. Bewegt die Arme, die Hände, die Finger, spielt Luftklavier und unterhält sich. Mit einer Luftperson, mit sich selbst. Inge Gappmaier zeigt im brut protect.there is no wind in geometrical world, eine Choreografie, die sie seit fünf Jahren beschäftigt.
Ein theatraler Treppenwitz: Die Uraufführung von Gappmaiers Werk, protect.there is no wind in geometrical world, das sich mit dem Verhältnis des realen Körpers, Tanzkörpers zu seinem virtuellen Gegenüber befasst, kann nur als Video gezeigt werden. Es ist Jänner 2021, Blütezeit der Covid-19-Pandemie. Kein Kontakt zum Publikum, weil die Sitzreihen im Theater leer bleiben müssen. Inge Gappmaier muss die Einsamkeit in der flachen, virtuellen Welt nicht darstellen, sie spürt sie. Sie weiß nicht, ob sich diesen Tanz in einer Welt, in der kein Wind weht, also die Natur ausgesperrt ist, irgendjemand ansieht.
Ist auch egal, der reale Körper ist ohnehin beschwerlich, beschränkt, schmerzhaft. Ich bastle mir ein Profil, tauche ein in die Welt, die fälschlich sozial genannt wird und nur aus Luft besteht. Dort werde ich verstanden, ich sehe in den Spiegel, der meine Sätze wiederholt, reine Empathie.
Jetzt aber, Jänner 2025, sind die Sitzreihen gefüllt, Inge Gappmaier hat ein Gegenüber, das mit der Tänzerin mitschwingt, zum Nachdenken angeregt wird und am Ende Applaus spenden wird. Die Bühnenfigur ist allein mit sich selbst, die Tänzerin und Choreografin nicht, sie hat ein Publikum.
Die Blumen auf der Streuwiese sind verblüht, der Bühnenraum liegt im Dämmerlicht, Blackouts unterbrechen den Fluss der so schönen tänzerischen Bewegungen. Die Tänzerin auf der leeren Bühne, versinkt in Schwärze, wird dann wieder von weißem Licht geblendet. Ist nicht allein, aber einsam. Sie erhält Antworten aus dem Nichts dieser kalten, gefühllosen geometrischen Welt. Den pas de deux tanzt sie mit ihrem Schattenbild, die Umarmung ist selbstbezogen, Eliza spiegelt nur, sie umarmt nicht, die Einsame muss sich selbst wärmen.
Hoppala jetzt fragt der Korrektor: „Wer ist Eliza, die ist noch nicht erwähnt worden.“ Verzeihung, wird nachgeholt, da doch Eliza Inge Gappmaiers Muse ist. Also nicht so ganz, denn Eliza (Doolittle), richtig geschrieben, wie ihr Papa, der Informatiker Joseph Weizenbaum (1923–2008), es wollte: ELIZA, ist ein erster Chatbot, eine Maschine, die das wiedergibt, was man ihr eingetrichtert hat. Gappmaier ist beides, die Tänzerin und ihr Spiegel.Mit unterschiedlicher Stimmfärbung und differenzierten Bewegungen, kommuniziert, tanzt sie mit sich selbst. ELIZAs Verhalten ist von einer Therapiestunde abgeschaut. Vor allem in der personenzentrierten Methode von Carl Rogers (1902–1987) ist das „Spiegeln“ die Grundlage einer erfolgreichen Therapie. „Mir geht es schlecht“, sagt die Klientin. „Du fühlt dich nicht wohl, du bist traurig, dir geht es schlecht“, antwortet die Therapeutin. Oder eben ELIZA, ein Algorithmus.
Die Einsamkeit des Körpers in der geometrischen Welt weht kalt von der Bühne in die ersten Reihen. Wer ahmt wen nach? Die Tänzerin, ihre auf Video gebannten Bewegungen oder die flache Figur, die in einer öden Landschaft die sanften Arm- und Handbewegungen ausführt, die lebendige und dreidimensionale TänzerIn auf der Bühne?
In der virtuellen Welt, mit der VR-Brille vor Augen, ist alles möglich. Der reale Körper kommt da nicht mehr mit. Auch der preisgekrönte Akrobat kann nicht auf dem Kopf durch die Straßen gehen und um sich aus dem Knäuel verschlungener Gliedmaßen zu befreien, bedarf es der Entfesselungskunst eines Houdini.
So bleibt am Ende der Begegnung mit der virtuellen Welt, mit sozialen Medien und Chat-Pots nur eine Leere, vielleicht gefüllt mit stinkendem Nebel. Ganz klein, in sich selbst eingerollt sitzt die Tänzerin auf der finsteren, leeren Bühne. Einsamkeit und Verletzlichkeit sind, gemildert durch die Schönheit der Bewegungen, greifbar. Doch auch Selbstbespiegelung, Eitelkeit und Zufriedenheit mit der eigenen Leistung sind sichtbar. Am Ende ist Inge Gappmaier von ihrem Tanzkörper (der Bühnenfigur) nicht mehr zu trennen.
Es dauert eine Weile, bis das Publikum aus der eigenen Versunkenheit emportaucht, die schwirrenden Gedanken wegwischt und sich mit gebührendem Applaus bedankt.
Varukt | Inge Gappmaier: protect.there is no wind in geometrical world
Künstlerische Leitung & Tanz Inge Gappmaier
Technische Leitung, Lichtdesign & Dramaturgie Robert Läßig
Sounddesign Inge Gappmaier, Zsolt Bodoki-Halmen; Dramaturgie Lisa-Marie Radtke, Stefanie Sommer; Filmversion, Kamera &Farbkorrektur Lukas Schöffel Schnitt Maria Lisa Pichler
Eingespielte Textpassagen aus dem Film Weizenbaum. Rebet at Work (2006) mit freundlicher Genehmigung von Il Mare Film.
Musik: Burns von George FitzGerald; von Robots Don’t Sleep
Fotos: © Natali Glisić