Machtgier und Korruption fallen in die Grube
Die Grube, in die diverse Lokalpolitiker und -innen fallen, haben sie sich selbst gegraben, als sie meinten, mit einem überraschend aufgetauchten antiken Theater Ruhm und Reichtum zu gewinnen. Das Traumtheater / Il teatro dei sogni nennt der italienische Erfolgsautor Andrea de Carlo seinen jüngsten Roman, eine beinharte und überaus unterhaltsame Satire auf italienische Verhältnisse. Doch man müsste nur die Namen der Orte und der handelnden Personen austauschen und schon ist die Lombardeii nach Österreich verlegt.
Eine Talkshow Reporterin, jedem Gerücht und jedem Geruch, sei er auch noch so übel, auf der Spur, droht im Café an einem Kipferl zu ersticken. Das p.t. Publikum kümmert sich nicht um die Japsende, doch endlich klopft ihr ein Herr mehr oder weniger im Vorbeigehen auf den Rücken, das Bröckerl springt heraus, Veronica ist gerettet. Guiscardo Guidarini möchte weiter gehen, doch Veronica gibt ihn nicht frei, ein Video mit dem Lebensretter muss ins Netz. Unter unaufhörlichem Geplapper bringt sie Guidarini auch dazu, zu erzählen, wer er ist und was er macht. Schon wittert sie eine Geschichte, vielleicht einen Skandal, und bald weiß nicht nur der kleine Ort Cosmarate di Sopra e di Sotto, sondern auch die Gemeinde Suverso was Guidarini im Park seines Anwesens ausgräbt: Eine Kostbarkeit, ein antikes Theater. In Norditalien? Unmöglich, sagen Fachleute und geben dennoch, ohne auch nur einen Stein gesehen zu haben, ihre Expertise dazu ab. Ein erbitterter Kampf, der schon einmal zum wüsten Gerangel Mann gegen Mann ausartet, beginnt zwischen Provinzpolitikern und subalternen Parteichefs und bald darauf auch zwischen den renommierten, einander permanent bekriegenden Archäologen, die vor die Fernsehkameras gezerrt werden. Reporterin Veronica ist auf der Jagd. Die Talkshow Tutto qui!, deren Chefredakteurin gut 500 km entfernt in Rom sitzt, hat ihr Leitthema gefunden. Täglich gibt es neue Statements und Interviews, das Telefon bei Guidarini läutet ständig. Doch der Privat-Archäologe hält sich, so gut es geht, fern von dem unwürdigen Wettbewerb. Vielleicht lacht er sich auch ins Fäustchen, doch er ist der Gute und bleibt vom Autor relativ ungeschoren. Da dem Marchese Ruhm und Geld egal sind, kann er sich auch erlauben, mit Annalisa Sarmani, der für Kultur und Tourismus verantwortlichen Gemeinderätin in der Region, ein wenig zu flirten. Dass er mit ihr spielt, schadet in der Männergesellschaft nur der Sarmani, der Frau, die sowieso keiner der Wichtigmacher ernst nimmt. Sie ist die Einzige, die die Ausgrabung bereits gesehen hat, doch sie kann ihren Trimuph nicht ausspielen. Der Marchese bleibt unbehelligt, man braucht ihn ja. Und er, der ernsthaft um die Umwelt besorgt ist, verlangt einen hohen Preis: Die scheußlichen Bauten, wie die riesige Spielhalle, müssten verschwinden, Cosmarate di Sopra, wo sein Palazzo steht, soll grün und lebenswert werden. Bürgermeister Bozzolato verspricht nachzudenken. Veronica ist im Dauerstress, für ihr Schönheitsbad im Eiswasser hat sie keine Zeit mehr. Gehorsam folgt sie den Anweisungen aus Rom: „Nicht zuhören, bis du die Antworten bekommst, die du haben willst; täglich neue, aufregende Neuigkeiten bringen, Intimsphäre gibt es nicht.“, eine Talkshow hat eigene Gesetze, immer neue Zuschauer müssen gewonnen werden. In der politischen Arena sind die Intriganten, die Kampfhähne in ihrem Element, Frauen wird wie immer nur eine Nebenrolle zugewiesen. Schon werden Sponsoren für das Traumtheater gesucht und Events der Arena, die bis zum Showdown im in der zircensischen Arena keiner gesehen hat, geplant. Die Wünsche und Hoffnungen werden immer absurder. Die Chinesen werden von der Parteizentrale in Mailand als Financiers geholt und versprechen ein Vergnügungszentrum für die gesamte Region. Die Blase wird immer bunter und steigt immer höher in den Himmel der Träume. Profitgier, Karrieregeilheit, Korruption und Machismo feiern fröhliche Urständ.
Seit seinem ersten Roman, Treno di panna / Creamtrain (Diogenes, 1985), den der Autor selbst verfilmt hat, ist De Carlo als genauer Beobachter der Gesellschaft und der Menschen bekannt. Diesmal hat er seine Erkenntnisse in eine beinharte Satire verpackt, indem er die Agierenden in Politik, Medien und Wissenschaft der Lächerlichkeit preisgibt. Sie haben es verdient, Ausnahmen sind schnell gezählt. So darf dieser Blick auf die Niederungen der Politik, hinter die Kulissen der Wissenschaft und auf die Auswüchse in den Medien durchaus genossen werden. Der Autor muss nichts erfinden, nur ein wenig übertreiben. Und auch wenn De Carlo seine durchaus auch spannende Geschichte im Parterre der politischen Architektur ansiedelt, so fällt es nicht schwer, sie auf die Hochhäuser mit Dachterrasse umzulegen und Italien als Welt im Kleinen zu sehen. Andrea De Carlo, auch mit 71 kein alter Griesgram, sondern ein begnadeter Erzähler, hat seinen Verehrerinnen ein leichtes Sommervergnügen mit tiefen Wurzeln in der Realität geschenkt.
Andrea De Carlo: Das Traumtheater, Il teatro dei sogni, aus dem Italienischen von Petra Kaiser. 462 Seiten. Diogenes, 2023. € 25,70. E-Book € 21,99.