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Das Schreibgen als sechsfacher Familienfluch

Armin Strohmeyr, Autor von Biografien und Porträts. © privat

Der Germanist Armin Strohmeyr spürt mit Leidenschaft und Akribie Lebenslinien nach und formt daraus leicht zu lesende Porträts, vornehmlich von bekannten oder interessanten Frauen. Angetan hat es ihm aber auch die Münchener Familie Mann. Die Geschwister Klaus und Erika Mann sind bereits mehrfach durchleuchtet worden und nun sind alle sechs dran, die drei männlichen und drei weiblichen Kinder von Thomas Mann, dem in Lübeck aufgewachsenen Nobelpreisträger. Ein Zitat ziert den Titel der Geschichte der Geschwister Mann. Was Erika, Klaus, Golo, Monika, Elisabeth und Michael verband und was sie trennte, „Wir sind unser sechs“.

Familie Mann 1909 vor ihrem Haus in Bad Tölz. Mutter Katia hält Golo (eigentlich Angelus Gottfried Thomas) im Arm,  davor sitzen Erika und Klaus. gemeinfreiStrohmeyr, 1966 in Augsburg geboren, kann sich nicht so wirklich entscheiden, was er denn unter sein Publikum bringen will. eine trockene historische Dokumentation? Eine Anekdotensammlung? Einen historischen Roman? Das Bild eines ganzen Jahrhunderts? Alles, alles will Strohmeyr zeigen und natürlich auch, dass akribisch recherchiert und sechs fundierte Biografien vorgelegt hat. Hunderte von Briefen und Tagebuchnotizen, sämtliche Werke gelesen und auch in Zeitungen und Chroniken geblättert hat. Die Zitate, Verweise, Wiederholungen und auch die Klarstellungen in eckigen Klammern mitten im Zitat erschweren das Lesen ungemein. So werden etwa die Namen, Ausdrücke und Abkürzungen, die den Familienjargon geprägt haben, auch bei der fünften Erwähnung noch entschlüsselt. Der Autor (das Lektorat?) könnte der Leserin ruhig vertrauen, dass sie sich merkt, wie die Kinder von den Eltern und untereinander genannt wurden und wie die Kinder ihre Eltern tituliert haben. Der Piper-Verlag hat das Taschenbuch zwar mit 13 Schwarz-Weiß-Abbildungen aufgestockt, aber es bleibt ein Buch, das man kaum mehr als einmal lesen kann, weil es sich von selbst auflöst.Die Eltern Mann mit Erika und Klaus.  Fotografiert 1929 von E.Wasow. © gemeinfrei
Doch die Familie Mann ist vielfältig und komplex, wie der Vater, haben auch die Kinder, bis auf den Jüngsten, Michael, der Musiker in Amerika geworden ist, geschrieben. Sogar die Mutter, Katharina Hedwig, „Katia“, Mann, geborene Pringsheim, har der „Familienfluch“ getroffen, sie hat die Zeit in ihren Tagebüchern festgehalten. Daraus wurden Meine ungeschriebenen Memoiren. Die autobiografische Darstellung hat genau besehen Ehemann Thomas zum Zentrum und beruht auf mündlichen Berichten Katia Manns, die von Elisabeth Plessen und Michael Mann zusammengestellt und durch biographische Aussagen von Erika und Golo Mann ergänzt worden sind (S. Fischer, 1974, 8. Auflage 2000, Fischer Taschenbuch).  Die Geschichte der Familie umfasst ein ganzes Jahrhundert, inklusive zweier Kriege, Exil, neue Staatsbürgerschaften, die einen kehrten nach Deutschland zurück wie Thomas Mann selbst, andere haben eine neue Heimat gefunden. Für einige galt der der alte Spruch vom Blut, das dicker als Wasser ist, andere zogen das Wasser und damit die Distanz zur Familie vor. Armin Strohmeyr: Dichterkinder, Piper,
Autor Strohmeyr hat sich schon sehr früh für die Familie Mann interessiert und seine Doktorarbeit über Klaus Mann geschrieben: Der androgyne Geschwisterkomplex im Werk Klaus Manns. Die Basisrecherche war getan, kurze Zeit danach ist das Buch über Klaus und Erika Mann (die beiden ältesten Kinder), Wir traten wie Zwillinge auf, erschienen. 2000 bei Rowohlt Berlin und als überarbeitete Neuauflage 2004 bei Reclam, Leipzig. Auch 2000 ist von dtv der Porträt-Band Klaus Mann herausgebracht worden. Seit 2020 kann Dichterkinder. Liebe, Verrat und Drama – der Kreis um Klaus und Erika Mann als Piper-Taschenbuch erstanden werden. Das vorläufig letzte Buch über die Manns ist der aktuelle Band über alle sechs Kinder.
So richtig ins kollektive Gedächtnis geprägt wurde die Familie Mann, allen voran Thomas, der Nobelpreisträger, durch das Fernsehen. Neben einigen kleineren Dokumentationen vom Bayerischen Rundfunk begeisterte das dreiteilige Doku-Drama Die Manns –Ein Jahrhundertroman die Kritiker:innen und das Publikum. „Ein Glanzstück, ein Höhepunkt der deutschen Filmkunst“, jubelte der deutsche Kritikerpapst Marcel Reich-Ranicki nachdem die drei Teile 2001 vom Sender ARTE gezeigt worden sind. Nüchtern notierte Filmdienst.de: „Das kaleidoskopartig ebenso spannend wie differenziert entwickelte Familienporträt setzt sich aus Spielszenen, Berichten von Zeitzeugen und Erinnerungen zusammen und umfasst ein halbes Jahrhundert deutscher Geschichte, die am exponierten Einzelschicksal verdeutlicht wird.“Erika Mann (1905–1969) um 1938. © gemeinfrei
Der erste Roman eines Autors mit dem Namen Mann ist noch 1901, dem Erscheinungsjahr der Buddenbrooks, dem Debüt Thomas Manns, erschienen. 1894 tauchte in den Schaufenstern der Buchhandlungen der Roman In einer Familie, der Debütroman von Heinrich Mann auf. Heinrich, geboren 1871 in Lübeck, gestorben 1950 in Kalifornien, war des Nobelpreisträgers älterer Bruder. Wegen ihrer unterschiedlichen politischen Ansichten, doch sicher auch, weil Thomas den Ruhm Heinrichs immer tiefer in den Schatten gerückt hat, waren die Brüder Jahrzehnte lang nicht besonders innig. Eher nebenbei erwähnt auch Autor Strohmeyr Heinrich, dessen Romane Der Untertan oder Professor Unrat (verfilmt als Der blaue Engel kaum etwas an Aktualität verloren haben und weiterhin von den Verlagen gepflegt werden.
Selbst Genies wie Thomas Mann sind vor Eifersucht nicht gefeit, vor allem, wenn es um ihr Talent geht. So beäugte der Vater seinen scheibenden Nachwuchs öfter mit scheelen Augen, sparte nicht an Kritik und ging sparsam mit seinem Lob um.
Für Thomas Mann stand Thomas Mann im Lebensmittelpunkt und seine Kinder wurden keineswegs gleichermaßen mit Zuneigung bedacht. In seinen Tagebuchaufzeichnungen bekannte er freimütig, dass er „von den Sechsen drei, die beiden Ältesten (Klaus und Erika) und Elisabethchen, mit seltsamer Entschiedenheit bevorzuge", (zitiert aus Wikipedia). Mann Golo , © das erste, ARDDie sogenannten ungeliebten Kinder waren demnach Golo, Monica und Michael. Monica ging es am schlechtesten, die Geschwister kamen auch nicht mit ihr zurecht. „Zerwürfnis mit Moni … Drang auf ihre Entfernung“, notierte Vater Thomas Anfang der 1940er-Jahre. Doch auch Monika ist Schriftstellerin geworden. Aus der Reihe getanzt sind lediglich die beiden Jüngsten. Zwar hat Elisabeth auch geschrieben, doch keine fiktionale Literatur, sondern Sachbücher. Sie ist eine Seerechtsexpertin und Ökologin und Sachbuchautorin gewesen. Michael ist Musiker geworden, hat die amerikanische Staatsbürgerschaft angenommen und in Kalifornien gelebt, er hat bestenfalls Noten geschrieben.Franz von Lenbach:  Porträt Katia Pringsheim, 9 Jahre alt. 1904 hat sie nach langem Zögern den 7 Jahre älteren Schriftsteller Thomas Mann geheiratetOrientierungshilfe: Für den BR hat Ernst Eisenbichler in Zusammenarbeit mit der Redaktion „Land und Leute“ eine Hintergrundseite gestaltet: Jede(r) Mann im Porträt. Die Geschwister chronologisch gereiht. Erika (1905–1969), Klaus (1906–1949); Golo (1909–1994), Monika (1910–1992); Elisabeth (1918–2002), Michael (1919–1977). Ausführliche Biografien finden sich für jedes der Kinder und für die Eltern auf wikipedia.de, Strohmeyr konzentriert sich vor allem auf die Kinder, deren Talente vom berühmten Vater nicht wirklich geschätzt worden sind, und ihre Beziehung zueinander. Weder Katia noch Thomas Mann hatten als Elternpaar pädagogisches Talent. Wer nicht ihrem Bild entsprochen hatte, wurde aus dem Familienverband ausgeschlossen. Wir sind unser sechs, Taschenbuchcover. © Piper. Monika, wie ihr Bruder Golo, ein typisch ungeliebtes mittleres Kind, wurde schon als Kind fortgeschickt und später immer wieder aus dem Eltrenhaus hinauskomplementiert. Sie wurde auch von den Geschwistern zum „Problemfall“ gestempelt, weil sie nicht ins Schema eines Mann-Kindes gepasst hat. Strohmeyr zeichnet aus, dass er keine Urteile fällt, sondern einfach wiedergibt, was er mühevoll an Tatsachen zusammengetragen hat. Ob Flüchtigkeitsfehler auf seinem Mist gewachsen sind oder auf dem des Lektorats, bleibt offen. Wenn aber Autoren wie Joseph Roth oder Franz Werfel zu den „ins Exil geflüchteten Größen Deutschlands“ gerechnet werden, schmerzt das. Roth und Werfel, geboren in Österreich-Ungarn, waren „ins Exil geflüchtete Größen Österreichs“.

Armin Strohmeyr: Wir sind unser sechs. ­ Die Geschichte der Geschwister Mann. Untertitel: Was Erika, Klaus, Golo, Monika, Elisabeth und Michael verband und was sie trennte. 368 Seiten. Piper 2023. € 14,40