Drei Frauen wehren sich gegen die Enge des Dorfes
Drei Frauen spielen eine Rolle in Elisabeth R. Hagers drittem Roman. Tapfere Außenseiterinnen, die in einem Tiroler Dorf ihr Leben selbst bestimmen wollen. Wären da nicht der beißende Humor und ineressant erzählte gescichte der Autorin, die auch Klangkünstlerin ist und in Berlin beim Deutschlandfunk arbeitet, könnte der Roman, in dem die Natur eine bedeutende Rolle spielt, als moderner Heimatroman durchgehen.
Hager ist selbst in Tirol geboren, kennt die Landschaft und die Gesellschaft, in der die Männer das Sagen haben. Marie, die Hauptperson ist aus der Enge in die Hauptstadt geflohen, doch die Liebe zu Youni, der als unbegleiteter Minderjähriger aus Ex-Jugoslawien ins Tiroler Dorf gekommen ist und auch nach vielen Jahren von der Gemeinschaft nicht akzeptiert wird, zieht sie zurück und sie übernimmt das Geschäft des verstorbenen Onkels, der ein angesehener Tierpräparator war.
Marie war noch ein Säugling als ihr Eltern bei einem Autounfall umgekommen sind, Onkel und Tante nahmen sie auf und sie erlernte die Kunst der Taxidermie. Die Zeiten haben sich geändert, die Geschäfte laufen schlecht. Mit Tante Hella, die ein Leben lang unter der Herrschaft ihres ständig betrunkenen und gewalttätigen Ehemannes gelitten hat. Wenn er nüchtern war, war er ein netter, freundlicher Mensch und tüchtiger Präparator. Marie.
Unerwartet schneit eine Schulkollegin herein, die „Butz“, ein Riesenweib mit Puppengesicht und trauriger Vorgeschichte. Eigentlich haben Marie und Tante Hella keine Zeit für einen Besuch, denn endlich ist ein fetter Auftrag hereingekommen. Die Tochter des Dorfkaisers hat kürzlich ihren geliebtes Schoßhündchen verloren, als Geburtstagsgeschenk soll der Chihuahua von Marie präpariert und als Krönung des Festes als Geschenk überreicht werden.
Obwohl so eine Tierpräparation, wird sie den Regeln nach gemacht, Tage dauert, lässt sich Marie, angeheuert von Tante Hella, durch das überhöhte Honorar korrumpieren und nimmt sich vor, aus dem Hündchen im Schnellverfahren ein Ausstellungsstück zu machen. Die Butz kommt dazwischen, hält die Arbeit auf, mischt sich ein und vollendet zur rechten Zeit das gelungene Werk. Schon in der Einleitung haben die Leserinnen erfahren, dass die Freude am recht lebendig aussehenden Bubi von einer krachenden Überraschung gestört wird.
Elisabeth Hager erzählt von einem einzigen Tag, in den durch Rückblicke drei ganze Frauenleben eingefangen sind. Dass die sowohl spannende wie tieftraurige, zugleich heitere, sogar komische Erzählung in Tirol spielt, hat wohl nur mit der Ortskenntnis der Autorin, die 1981 in St. Johann geboren ist, zu tun. Die Ablehnung von Außenseitern und Fremder, die Männergesellschaft im Alkoholdunst mit ihren läppischen Frauenwitzchen, die Spaltung zwischen Ausgebeuteten und Ausbeutern sind wohl allerorten gleich zu finden, nur in einer Dorfgemeinschaft deutlicher sichtbar.
Von den Lebensentwürfen der drei Frauen, vom kurzen Leben des Zuwanderers Youni, dem kein anderer Verdienst bleibt als der Drogenhandel und die Liebesgeschichte zwischen ihm und Marie, die durch seinen plötzlichen und rätselhaften Tod abrupt beendet wird, von schmerzvollen Erfahrungen und neuen Hoffnungen erzählt Hager mit Leichtigkeit und Humor. Die Natur spielt eine ebenso große Rolle wie das Präparieren eines Tierkörpers, das sich als roter Faden durch den Roman zieht. Man könnte diese Mumie auch als Metapher ansehen, für eine verkrustete Gesellschaft, in der Gleichberechtigung und Toleranz Fremdwörter sind. Da nützt nur Eines, man muss den Berg zum Tanzen bringen. So unwahrscheinlich ist das nicht, spiegelt sich der Berg im aufgewühlten See, dann schaut es tatsächlich aus, als würde er tanzen. Ein lesenswerter Roman, dicht und locker zugleich. Durch Heinrich Stenfest war zu erfahren, dass der Berg betrunken sein kann, jetzt zeigt Elisabeth R. Hager, dass er auch tanzen kann. Dennoch haben beide Romane nichts, gar nichts mit dem Klimawandel zu tun.
Elisabeth R. Hager: „Der tanzende Berg“, Klett-Cotta, 2022. 256 Seiten. € 22,70. E-Book € 17,99.