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Das Ende eines euphorischen Sommers

Autorin Elin Cullhed mit der Originalausgabe von "Euphorie".

Die amerikanische Lyrikerin und Schriftstellerin Sylvia Plath (1932­–1963) hat vor allem Kolleginnen und Kollegen befeuert, sich mit ihrem Leben und ihren Gedichten auseinanderzusetzen. Ihre Ehe mit dem britischen Dichter Ted Hughes und das schwierige Leben mit ihm waren eher dem Boulevard vorbehalten. Ihre Gedichte gelten als „Confessional Poetry“, und eine Art bekennende Prosa schreibt auch die schwedische Autorin Elin Cullhed mit ihrem Roman „Euphorie“. Notwendig ist dieser Roman nicht.

Lyrikerin Sylvia Plath, später Ruhm als Ikone der Frauenbewegung.  © britannica.comCullhed fügt zu Film und Fernsehen, zu den zahlreichen Biografien und, nicht zu übersehen, dem einprägsamen Ballett von Johann Kresnik („Sylvia Plath”, Heidelberg, 1985) ein fiktives Tagebuch hinzu, das sie einleitend als „belletristischen Text über Sylvia Plath“ bezeichnet, der „aber nicht als Biografie gelesen werden sollte“. Das heißt dann auch, dass Figuren und Ereignisse, „die möglicherweise in der Realität eine Entsprechung haben“, in „Fiktion und literarische Fantasie überführt“ werden. Das ist legitim, beantwortet aber nicht die Frage. „Wozu das Ganze?“ Mag sein, dass Cullhed sich der Autorin Plath nahe fühlt, auch sie muss den Spagat zwischen Kinder, Küche, Ehemann und der Arbeit als Autorin bewältigen.
23 Fitzroy Road, London: Plaths letzte Wohnung in London. Auch W.B. Yeats hat hier eine Zeitlang gelebt. © Free license /  Anosmia via flickr„Sylvia Plath wird [damit] zu einer fiktiven Figur in diesem Werk“, schreibt Cullhed im Prolog. Warum? Ehrlicher wäre es, dieses „Ich“ gar nicht der ohnehin hinlänglich fiktionalisierten Dichterin Sylvia Plath anzukleben, sondern einen eigenständigen Text zu schreiben. Der Verlag setzt sich über Cullheds Prolog kühn hinweg und preist die „Fiktion“ als „Roman über Sylvia Plath“ an und nennt ihn „ein literarisches Juwel, das es so noch nicht gegeben hat“. Diesem Urteil wage ich nichts zu erwidern, auch wenn es nur von der Marketing-Abteilung gefällt worden ist. Immerhin hat Cullhed in ihrer Heimat den wichtigsten schwedischen Literaturpreis, den nach August Strindberg benannten Augustpriset, erhalten.
Zugegeben, Cullhed, übersetzt von Franziska Hüther, imitiert, soweit feststellbar, gekonnt den Stil Plaths, der (natürlich auch in Übersetzungen) aus ihren Gedichten, Briefen und Tagebüchern bekannt ist. Sylvia Plaths Grabstein auf dem St. Thomas A. Beckett Friedhof, Heptonstall. © Mark Anderson /  Commons LicenceDoch warum Plaths dauerndes Gejammer, dass der Ehemann, als bereits bekannter Dichter, sich die Zeit zum Schreiben einfach nimmt und ihr daher neben Haushalt und zwei Kindern keine bleibt, wiederkäuen? Es genügen die Original-um an jedes Frauenherz zu rühren, denn nicht nur mit einem Künstler verheiratete Künstlerinnen werden von ihren Ehemännern zwischen Bügelbrett Und Kochtopf geklemmt, der Ruhm gehört allein dem Manne. „Wie ist es, wenn Du gerade in ‹Stimmung› bist, und aber für mich das Haus, oder was ich gerade brauche, besorgen, wenn Du mir, die Kleinigkeiten des Lebens abnehmen sollst?“ So steht es in dem Brief des Wiener Hofoperndirektors und Komponisten Gustav Mahler an seine Braut Alma Schindler. Auf 20 Seiten hat er seine Bedingungen für eine Ehe mit der talentierten Komponistin dargelegt. Alma war empört, fügte sich, hörte auf zu komponieren und widmete sich fortan, ihm „die Kleinigkeiten des Lebens“ abzunehmen. Alma Mahler-Werfel, geborene Schindler, hat sich nicht umgebracht, sondern auf ihre Weise gerächt. Die Österreichische Autorin Erika Molny († 1990), Frau des Autors und Journalisten Thomas Pluch, hat 1988 ihren Roman „Die Frau des Malers“ veröffentlicht, der das gleiche Thema behandelt, Sylvia PLath mit den Kindern Frieda Rebecca und Nicholas Hughes. © fembio.orgkünstlerische Talente und Ambitionen von Frauen wiegen weniger als die des Mannes. Molnys Roman ist natürlich nur noch antiquarisch zu erhalten.
Wenn ich mich schon so weit von Elin Cullhed und „Euphorie“ entfernt habe, dann bleibe ich stur auf diesem Weg und erinere mich an den Titel „Euphoria“. Diesen trägt der großartige Roman von Lily King, der eine Forschungsreise der Ethnologin Margaret Mead nach Papua-Neuguinea beschreibt. Wie bei Cullhed bezieht sich der Buchtitel auf die Liebeseuphorie, also das Sexing, aber King geht tiefer und erlaubt Mead auch den Rausch der Erkenntnis. Aber auch Mead könnte Sylvia Plath, wäre sie ihr bekannt gewesen, verstanden haben. Auch ihr Mann – der Ethnologe Reo Franklin Fortune, der mit ihr gemeinsam in Neuguinea geforscht hat, war der zweite – beanspruchte den Rang des Wichtigeren. Erst der Nachruhm stellt wahre Qualität fest, das ist auch in den Biografien über die Mathematikerin Ada Lovelace nachzulesen.
Die Amerikanerin Sylvia Plath nahm sich ihr (gutes) Recht heraus, ihren Mann, den Engländer Ted Hughes, als Bösewicht dazustellen. "Euphorie".  Cover, ©  Suhrkamp Insel Verlag.Cullhed folgt diesem Muster mit etwas sonderbaren Metaphern. Ob das an der Übersetzung liegt, kann mangels Schwedischkenntnissen nicht festgestellt werden. Die niederländische Autorin Connie Palmen will das Gleichgewicht zwischen diesem berühmten Liebespaar wieder herstellen und lässt die Zuschreibungen, Sylvia, die Märtyrerin / Ted, der Verräter, nicht einfach unreflektiert stehen. In ihrem Roman „Du sagst es“ erzählt Hughes, der Sylvias Anschuldigungen, solange sie gelebt hat, nie widersprochen hat, die Geschichte dieser schwierigen Ehe aus seiner Perspektive. Palmen besinnt sich dabei auf die Tatsache, dass zur Liebe und zum Krieg immer zwei gehören. Wenn schon Cullhed, dann auch Palmen.

Elin Cullhed: „Euphorie“, ein Sylvia-Plath-Roman, aus dem Schwedischen von Franziska Hüther, Insel, 2022. 335 Seiten. € 24.70. E-Book: 20,99.
Connie Palmen: „Du sagst es“, aus dem Niederländischen von Hanni Ehlers, Diogenes 2018. 288 Seiten. € 12,40. E-Book: € 9,99.
Sylvia Plath: „Die Glasglocke“, aus dem Englischen von Reinhard Kaiser, Suhrkamp Taschenbuch,12. Auflage, 2005. 262 Seiten. € 12,40. Gebundene Ausgabe: € 26.50. Sylvia Plath: "Die Glasglocke", Cover des Taschenbuches. © Insel / Suhrkamp
Biografien von Sylvia Plath sind vor allem als Übersetzungen aus dem Englischen Anfang der 1990er Jahre erschienen und dementsprechend nur noch gebraucht zu finden.
Lily King: „Euphoria“, aus dem Englischen von Sabine Roth, C. H. Beck, 6. Auflage 2016. 262 Seiten. € 19,95. Softcover bei dtv, 5. Auflage 2017. 272 Seiten. € 12,40. E-Book: € 9,99.