Die Ränder fransen aus, die Grenzen verschwimmen
Wer sich auf die Romane Friedrich Anis einlässt, gerät in eine düstere Welt, macht die Bekanntschaft von verletzten, einsamen, auch verbitterten im Schneckenhaus des Schweigens wohnenden Menschen, mit denen man im realen Leben kaum kommunizieren würde. In „Bullauge“ geht es darum, dass Licht und Schatten, rechts und links, nicht so scharf getrennt sind, wie man es gerne hätte. Im Zentrum steht die Polizei und der Polizist Kay Oleander, dem bei einer Demo in München das linke Auge verletzt worden ist.
manche meinen
lechts und rinks
kann man nicht velwechsern
werch ein llltum!
Ernst Jandl, 1966
Seinem jüngsten Roman, „Bullauge“, setzt Friedrich Ani zwar ein Zitat aus Franck Bouysses Roman noir „Rauer Himmel“ voraus, doch passt Ernst Jandls mehr als 50 Jahre altes Gedicht genauso gut.
Anis Münchener Welt könnte irgendwo sein und sie ist der Welt in Wien, Berlin oder Washington gar nicht so fern, nur wollen die meisten nichts davon wissen. Im Roman aber wirkt diese schwarze Kälte von Anis Welt anziehend, zumal der Autor es versteht, Spannung aufzubauen und seine Leserinnen in das Geschehen hinzuziehen, als wären sie ein Teil davon. Ohne zu psychologisieren zeichnet er seine Figuren so transparent, dass man meint, sie tatsächlich durchschaut zu haben.Neben dem verletzten Polizisten Oleander, der eine Augenklappe trägt, spielt auch Silvia Glaser eine Rolle in der Geschichte, die er selbst erzählt. Möglicherweise hat sie die Bierflasche geworfen, von der ein Splitter die Hornhaut in Oleanders Auge zerstört hat. Überraschenderweise freunden sich die beiden an, wachsen sich zu einem sonderbaren Paar aus, geeint durch Einsamkeit, Enttäuschung und Alkohol. Auch Glaser lebt vom Gefühl, vom Leben benachteiligt worden zu sein. Seit einem Fahrradunfall geht sie am Stock, die Schuld gibt sie der Polizei, die sie zu ihrem Feindbild erklärt hat: „Ihr seid alle gleich“, sagt sie zu Oleander und klammert sich dennoch an ihn. Sie braucht Hilfe, denn enttäuscht und gedemütigt hat sie sich einer rechten Gruppe angeschlossen, doch die Aufgaben, die ihr zugeteilt werden, gefallen ihr gar nicht. Oleander soll ihr helfen, sich von Ihrem „Beschützer“ zu trennen, die Gruppe zu verlassen und auch ein möglicherweise geplantes Attentat zu verhindern. Bei Schnaps, Wein und Bier kommen die beiden Mittfünfziger einander näher, sie erzählen einander ihre Geschichten, und bald fühlt sich Oleander wieder als wichtiges Mitglied der Polizei, obwohl ihm eine Versetzung in den Innendienst bevorsteht. Doch natürlich glaubt ihm niemand, als er die Aktivitäten der Gruppe meldet, man hält ihn ohnedies für eine Spinner. Autor Ani tut nichts dagegen, seine Figuren können alle für Spinner, Sonderlinge, Exzentriker gehalten werden, Außenseiter und Nonkonformisten sind sie sowieso. Bei Licht besehen jedoch, wird klar, dass die Welt eben daraus besteht, aus Spinnern, Sonderlingen, Außenseitern unter Spinnern, Sonderlingen, Außenseitern.
Ani legte den Grundsein für seine schriftstellerische Karriere mit Kriminalromanen und auch mit Drehbüchern für Fernsehkrimis. Wie ein Kriminalroman liest sich auf einer Ebene auch „Bullauge“, nur dass der Ermittler kein Held ist und der Ausgang vor allem für die Leserin niederschmetternd. Auf einen Ausspruch Glasers bezieht sich auch der Titel: „Ich schau durch dich hindurch wie durch ein Bullauge, und alles, was ich seh, ist ein schwarzes Meer.“ Schwarz ist die Lieblingsfarbe von Friedrich Ani, scheint mir. Der Titel könnte sich auch auf den despektierlichen Ausdruck „Bulle“ für einen Polizisten beziehen, was wiederum daran erinnert, dass ein Bullauge auch Ochsenauge genannt wird, weil sich beide nach außen wölben, konvex sind, wie der Fachausdruck für Linsen lautet. Nur eine Spinnerin macht sich über Buchtitel Gedanken, haben diese doch eine einzige Aufgabe: zu verkaufen. Ich gebe Friedrich Anis „Bullauge“ eine Empfehlung, auf, dass sich der Roman gut verkaufe.
Friedrich Ani: „Bullauge“, Suhrkamp, 2022. 267 Seiten. € 23,70. E-Book 19,99.