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Ophelia unter der Dusche, der Rest ist Schweigen

Blumen für die Toten: Dada Masilo tanzt Ophelia.

Mit einer Uraufführung ist die südafrikanische Choreografin und Tänzerin Dada Masilo nach Wien gekommen. Im Rahmen von ImPulsTanz hat sie im Burgtheater viermal ihre Version von Shakespeares Tragödie Hamlet gezeigt. Jedes Mittel, Tanz und Livemusik mit Gesang, Text und Schauspiel wird eingesetzt. 60 Minuten, bis nur noch Leichen auf der leeren Bühne liegen und auch Ophelia in einem langen Solo sich in den nassen Tod tanzt.

Verbotene Liebe, tragisches Ende: Ophelia und Hamlet.Hamlet, Prince of Denmark, von William Shakespeare, um 1601 gedruckt, von einem Mann geschrieben, von Männern handelnd. Die Männer agieren, die Frauen reagieren, wären sie nicht vorhanden, änderte sich die Geschichte von Machtgier, Betrug, Intrige und Mord nicht. Immer das Gleiche. Auch in der getanzten Version von Dada Masilo bleibt alles, wie es der Autor vor 500 Jahren erdacht hat. Ob im fiktiven Dänemark Shakespeares oder im realen Johannesburg Masilos, Ophelia flüchtet in den Wahnsinn und muss sterben. Höfische Tänze. In der Mitte Dada Masilo als Ophelia.
Wie leicht war es für die gefeierte Künstlerin Masilo, die Erzählungen von Schwanensee und Giselle zu aktualisieren. Ein Mann, eine Frau, doch die beiden können zusammen nicht kommen. Mit Esprit und Einfallsreichtum hat sie die Ballettmärchen verändert, afrikanische und klassische europäische Tanzstile gemischt und das Publikum begeistert und gerührt.
Ophelias finales Solo, der Rest ist ein Schlaflied. Der Respekt vor Shakespeare hat sie erstarren lassen. Die komplexe Erzählung von Brudermord, Rache, Kriegsgetöse, angezuckert von der heimlichen Liebschaft zwischen dem Prinzen und der Tochter eines Höflings, wird von Masilo etwas gerafft brav nacherzählt. Ohne Worte kommt Masilos Hamlet nicht aus. Ohne Gesang und Trommelwirbel, fröhlich hopsender Hofgesellschaft und sich konvulsivisch reckender Trauergesellschaft auch nicht. Musik, Tanz und Schauspiel verbinden sich nicht zu einem homogenen Bühnenstück. Dass Gertrud, die Witwe des ermordeten alten Königs, die flugs den Mörder geheiratet hat, der nun die Krone trägt, von einem Mann, dem international bekannten Schauspieler Albert Khoza, dargestellt wird, ist weder besonders originell noch aufregend. Dass Frauen in Männerrollen schlüpfen, fällt nicht weiter auf. Hamlet ist zweigeteilt, einer spricht (Aphiwe Dike), der andere tanzt (Leorate Dibatana). Die Liebe zwischen Ophelia und Hamlet ist nicht gestattet. Der Prinz fügt sich, schickt Ophelia ins Kloster.
Wie könnte der 400 Jahre alte Hamlet aussehen, hätte die Choreografin ihr Stück Ophelia genannt und den Fokus auf weibliche Figuren gerichtet! Wunderbare Möglichkeiten eröffnen sich, wenn die so nebenbei erwähnten Frauen bekannter Dramen in den Mittelpunkt gerückt werden. Noch wird getanzt am Hof von König Claudius, der seinen Bruder ermodet hat. In der Mitte: Dada Masilo als Ophelia.Die neuen Tanzstücke oder Schauspiele heißen Gretchen, Solvejg,  Desdemona oder Hedwig und auch Ophelia. Dann werden wir endlich erfahren, was in den verlassenen, oder vernachlässigten oder ermordeten Frauen und Müttern (Hedwig ist die Ehefrau von Wilhelm Tell, gemeinsam hat das Paar zwei Söhne) vorgeht. Dada Masilo wollte Ophelia sein, wie Shakespeare sie in seiner Bearbeitung des populären Stoffes entworfen hat. Live-Musik: Die Sängerinnen und der Geiger. Der Percussionist bleibt im Dunkel. Sie tanzt im goldenen Kleid durch ihr Leben und nackt durch die höfische Gesellschaft. Wenn alle, der königliche Hof samt Hofdamen und Höflinge tot sind, hat Ophelia zehn Minuten Gelegenheit für ihr Solo. So lieblich und blumenbekränzt wie Kate Winslet in Kenneth Branaghs Filmversion von Hamlet in den Wellen des Flusses versinkt, geht Dada Masilo nicht unter. Auch wenn auf die Wand im Hintergrund ein Bächlein, das munter durch eine Blumenwiese gluckert, projiziert wird. Der Bühnenboden ist mit Leichen bedeckt, nur Ophelia (Dada Masilo) ist noch am Leben, um zu trauern.  Ophelia Masilo schöpft das Wasser aus dem Goldfischglas, das schon am Beginn, mit dem berühmten Monolog aus dem 3. Akt, in dem Hamlet über Sein und Nichtsein grübelt, in der vorderen Ecke bereitsteht. Jetzt fällt der Choreografin ein, dass sie nach all dem unverständlichen Hin und Her auf der Bühne als Tänzerin Gefühle vermitteln will. Sie dimmt das Licht, die Violine hört auf, immer auf demselben Ton zu verharren, die Trommeln schweigen, die Sängerin summt ein süßes Schlummerlied. Wir sind ergriffen.
Allerdings nicht so sehr, dass nicht noch vor dem letzten Ton der Applaus lostobt. Festivalgäste werden bejubelt, das gehört sich so.

Dada Masilo / The Dance Factory: Dada Masilo`s Hamlet, 23. –.26.7. 2024, Uraufführung im Rahmen von ImPulsTanz / Burgtheater.
Choreografie: Dada Masilo; Komposition und musikalische Leitung: Thuthuka Sibisi; Live-Musik: Leroy Mapholo Ann Masina, Mpho Mothiba.
Tanz: Die Tänzerinnen und Tänzer von The Dance Factory.
Fotos: © yakoone