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ImPulsTanz: Dada Masilo – Swan Lake

The Dance Factory aus Johannesburg. © John Hogg

Mit ihrer Version des Ballettmärchens „Schwanensee“ hat die Tänzerin und Choreografin Dada Masilo aus Südafrika auch das europäische Publikum im Sturm erobert. Die Tänzerinnen und Tänzer der Dance Factory zeigen mit Grazie und Humor, dass Schwäne keine Spitzenschuhe brauchen und sich klassisches Ballett nahtlos mit afrikanischem Tanz verbinden lässt. Die Aufführung im Volkstheater war ein voller Erfolg.

Spitzentanz ohne Spitzenschuhe. Alle Bilder © John HoggTänzer und Tänzerinnen flattern im flaumigen weißen Tutu auf die Bühne – anmutige, barfüßige Schwäne. Auf Spitze, oder nahezu, tanzen sie dennoch.Eine aufgeregte Moderatorin erklärt uns zu Beginn, dass es nur um eines geht: Den richtigen Mann zu erobern. So sind die hübschen Schwäne, die ihre Hüften schwingen und dem Publikum fröhlich den Pürzel entgegenstrecken, keine Märchenwesen, sondern Girlies auf Brautschau.
Sie tun das mit ansteckender Energie und umwerfender Fröhlichkeit, springen, rennen, kreischen, lachen, wackeln mit dem Hinterteil, bewegen ihre Beine und Füße so rasant, dass das Auge kaum folgen kann. Bekümmert denke ich an die schönen Ballerinen im klassischen Ballett, die nicht aus ihrem Korsett steigen dürfen, ihre Lebendigkeit dem strengen Bewegungskanon unterordnen müssen.
Doch auch die Tänzer_innen der südafrikanischen Compagnie The Dance Factory unterliegen strengen Regeln. So lieblich, graziös, so quirlig und hinreißend die Tänzerin Dada Masilo als Odette auf der Bühne wirkt, so streng, genau und unerbittlich ist sie als Choreografin und Compagnie-Chefin bei den Proben. Nachlässigkeiten darf sich da keine(r) erlauben. Sie ist selbst die Perfektion in Person, eine Spitzenballerina auf bloßen Füßen. Die elf Compagnie-Mitglieder tun es ihr gleich. Noch nie gesehene Beinarbeit, exakte Synchronität der Kopf- und Schulterbewegungen, trainierte Körper von den Federschöpfen auf den Köpfen bis zu den Zehen. Überwältigend. Ein letztes Auffliegen – die Hochzeit ist abgesagt.
Ohne Krämpfe mischt Choreografin Masilo diesen klassischen Kanon, dem sie sehr wohl ihre Referenz erweist, mit dem stampfenden, Lebensfreude ausstrahlenden Tanz ihrer Heimat, bricht die klassische Starrheit auf und erzählt lebensnah von Menschen und ihren Problemen. „Es war an der Zeit“ sagte sie und meint, die Herausforderung, politische Themen in ihre Choreografien, die alle auf klassischen Stoffen basieren, zu integrieren. Masilos „Swan Lake“ ist 2010 in Südafrika uraufgeführt worden und tourt seit  2013 durch Europa. Bei ImPulsTanz 2014 war das Erfolgsstück zum ersten Mal in Wien zu sehen.

Der Bräutigam verabschiedet die Braut, die er nicht will. Alles kommt anders. Die Geschichte, nur im ersten Teil so umwerfend komisch, hält sich an die Struktur des klassischen Librettos, doch kein Zauberer Rotbart zieht die Fäden. Kein schwarzer Schwan verführt und täuscht den Prinzen. Er wählt selbst. Die schöne Braut bleibt sitzen, das Hochzeitsfest fällt ins Wasser. Betrübt ziehen sich die Brautjungfern zurück, flattern ein letztes Mal mit den Armen. Der Bräutigam ist seiner wirklichen Liebe begegnet, einem jungen Mann (und umwerfenden Tänzer). Keine Erlösung durch einen Ehemann. Nach dem wunderbaren Liebes-Pas de deux der beiden Männer noch ein barbusig getanzter Pas de trois. Die Verlassene muss sich beugen, vielleicht kommt ein anderer, der sie erlöst.  Glücklich darf auch das Liebespaar nicht werden. Schon umkreisen die schwanengleichen Erinnyen das Liebespaar, deren Liebe nicht sein darf. Anstelle des Trugbilds Odile, wird die Braut (Odette) von einem Mann ausgestochen.

Fort mit euch! Die Stimmung ist gekippt. Nichts ist mehr lieblich, mit dem weißen Tutu ist auch die Lebenslust geschwunden. In langen dunklen Röcken wankt die einst so überschwängliche Hochzeitsgesellschaft auf die Bühne, droht der verbotenen Liebe mit dem Finger, scheucht das Paar aus ihrer Mitte, tanzt den letzten Tanz. Noch eine Pirouette, noch einmal im Cambré gebeugt, noch eine Arabesque, dumpf fallen sie, eine nach dem anderen, zu Boden. Aus dem Lautsprecher tropft es in F-Dur. Die Totenglocke läutet und läutet. Arvo Pärts Musik „Spiegel im Spiegel“ für Klavier und Violine begleitet die verstörten Männer und Frauen in den Tod. Nur mühsam erinnere ich mich, wie sehr ich zu Beginn gelacht habe. Reverenz für das klassische Ballett, hinreißend perfekt.

Auf nur eine Stunde hat Masilo in Beschränkung auf die „weißen“ Akte das Vorbild reduziert und doch inhaltlich erweitert, aus dem Märchen eine reale Geschichte gemacht. Ohne das Original zu desavouieren, hält sie sich auch nicht an den musikalischen Duktus, mischt Camille Saint-Saëns „Schwan“ darunter und auch Steve Reich und eben Arvo Pärt und zeigt dennoch ein wunderbar in sich geschlossenes Werk, ausgeführt von großartigen Tänzerinnen und Tänzern. Obwohl das Ende so erschütternd ist, braust nach dem letzten Ton sofort der Jubel auf. Das Publikum tobt, zeigt geschlossen seine Begeisterung. Es darf bei ImPulsTanz auch getanzt werden.

Dada Masilo / The Dance Factory: „Swan Lake“, 4. August 2017, Volkstheater im Rahmen von ImPulsTanz.
Weitere Vorstellungen am 6. und 7. August.
Am 9., 10. und 11. August 2017 zeigt ImPulsTanz im Volkstheater The Dance Factory unter Dada Masilo ihre Version von „Giselle“.
Noch ein Tipp: Dada Masilo und die Dance Factory sind mit "Swan Lake" am 8. Dezember 2017 auch im Festspielhaus St. Pölten zu Gast.