
2673 Bewegungen auf dem Teppich der Zeit

Im Rhythmus des Herzschlags im Ruhezustand des Körpers bewegen sich Masoumeh Jalalieh und Daniel Zimmermann in einem neun mal neun großen Gitter aus 64 Feldern. Carpet of Time– 2673 nennen sie ihre subtile Performance, die zeigt, dass auch in einer starren Struktur Freiheit möglich ist. Die Premiere war am 25. April im WuK.
Zu Beginn nur kleine Schritte: vor, rück, seit, seit, frontal, dorsal, sagittal, transversal. Bald werden die Arme gebeugt, die Knie gesenkt, der Kopf vorsichtig gedreht. Wiederholung und vorsichtige Veränderung in den Gesten, keine in i Tänzerin Jalalieh und Tänzer Zimmermann bewegen sich aufeinander zu und voneinander weg, begegnen einander, verlassen einander, doch es entsteht im (in meinem) Kopf keine Geschichte.
Die Performance hat im Dunkel begonnen, nur eine Leinwand leuchtet weiß, sie wird später in sanften Farben schimmern, auf der Bühne nur zwei Schatten. Schachfiguren. In den Erklärungstexten wird es betont: Das für die Gesten und Bewegungen – 2673 sind es, und keine Minute gleicht der anderen – vorgesehene Quadrat inmitten eines wesentlich größeren Rasters, markiert durch kleine Salzhaufen, gleicht einem Schachbrett. So eine platte Erklärung ist nicht notwendig, Die Performance ist auch kein Zahlenspiel.
Die weißen Salzpunkte auf dem schwarzen Bühnenboden sind ein Kunstwerk. Der Schachbrettvergleich dient jenen, die diese präzise, spannende (sic) Performance nicht zu sehen bekommen.
Anders als beim Schachspiel, tanzen die Figuren auf Markierungen, sind nicht Abbilder der hierarchischen Figuren auf dem Brett, hinterlassen Freiheit in Grenzen, mit Masumeh Jalileh und Daniel Zimmermann. Spuren, weil sich Salzhäufchen auflösen, wollen nicht gewinnen oder kämpfen. Die Tanzkörper sind zu Geometriekörpern geworden, bewegen sich im Rhythmus von 45 bis 50 Beats in der Minute, zeichnen ein Muster nach,
bei dem Masoumeh Jalalieh an die strenge Geometrie der Bilder in den gewebten Teppiche in ihrer Heimat dankt. Jalalieh ist im Iran geboren. In ihr ist die Idee zu Teppich der Zeit gewachsen. Die Vorstellung im WuK ist kein abgeschlossenes Werk, sondern ein Teil des Projekts: 2673 Bewegungseinheiten. Die gesamte Fläche, in deren Teil getanzt wird, ist ein durch die Salzpunkte gerastertes Quadrat von etwa 500 m2, geeignet auch für mehrere Tänzerinnen und an unterschiedlichen Orten. Das Video der Malerin / Fotografin Inge Dick zeigt, dass der Teppich auch im Schnee ausgebreitet werden kann, da bestehen die Markierungen sicher nicht aus Salzhäufchen.
Diese bereits erwähnten 45 bis 50 Schläge / Minute, die der Herzfrequenz im Ruhezustand gleicht, werden auch akustisch mit unterschiedlichen Tönen, silbernem Klingeln, tiefen Brummen übermittelt. Sie erzeugen in der Zuhörerin eine Art von Trance, die Zeit ist aufgehoben, der Takt geht in den Körper (der Zuschauerin) über, die Spiegelneuronen tanzen mit: vor, rück, seit, seit, vor, Kniebeuge, Kopfdrehen, weg vom Gegenüber, wieder darauf zu gehen, Face en Face, dos à dos, mit dem Fluss der Sekunden immer seltener synchron, doch immer im selben Takt immer im vorgegebenen Quadrat. Mit der Vermehrung der einzelnen Bewegungen, verändert sich auch das Licht, wird heller, farbiger, um wechselndem angenehmen kaum merkbar wieder von der Dunkelheit geschluckt zu werden. „Alphabet“ nennt Jalalieh die Summe der Bewegungselemente. Könnte auch ein Gedicht sein, Repetition und Transformation. In diesem ruhigen Tanz, einer Geometrie der Freiheit innerhalb von Grenzen auf dem Teppich einer aufgehobenen Zeit, erzählt der Körper in seinem Bewegungsalphabet vom Widerstand gegen hierarchische Strukturen und repressive Systeme. Form und Inhalt, Licht und Ton und der mit Salz gewebte Teppich fließen ineinander, münden in der Feststellung, dass grenzenlose Freiheit nur im Chanson möglich ist.
Masoumeh Jalalieh / Daniel Zimmermann: Carpet of Time _ 2673 Movements, WuK, 26. Und 27. April 2025
In Zusammenarbeit mit der Fotografin und Malerin Inge Dick, dem Musiker und Komponisten Christian Müller und dem Lichtdesigner Victor Duran sowie mit besonderem Dank an den Choreografen und Performer Jonathan Burrows.
Fotos: © Markus Gradwol
Nächste Aufführung: 15.5.2025, Eröffnung der Bezirksfestwochen 15. Ort steht noch nicht fest.