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ImPulsTanz: Dada Masilo / Dance Factory „Giselle“

Die Geister der Ahnen üben tödliche Rache. © Stella Olivier

Dada Masilo und die Dance Factory aus Johannesburg zeigen nach der eigenwilligen und großartigen Interpretation von „Schwanensee“ / „Swan Lake“ Masilos neueste Choreografie: „Giselle“ beruht auf dem gleichnamigen romantischen Ballett nach einem Libretto von Théophile Gautier. Die Uraufführung der ersten Fassung in der Choreografie von Jean Coralli und Jules Perrot fand 1941 in Paris statt. Heute wird in Wien und von anderen bedeutenden Compagnien eine „Giselle“ getanzt, die auf der Petersburger Fassung Marius Petipas von 1887 beruht. Dada Masilo zeigte ihre Fassung der Geschichte von der zweifach verratenen Giselle und den tanzenden Rachegeistern im ausverkauften Volkstheater. Die Choreografin, im Westen bereits in den Kultstatus erhoben, darf sich der Zustimmung des Publikums sicher sein.

Fröhliches Dorfleben, Gisselle (Dada Masilo) in der Mitte ihrer Freundinnen. © Stella OlivierDie Zusammenarbeit bewährt sich. Der bildende Künstler und Regisseur William Kentridge hat schon öfter mit dem Komponisten Philip Miller und der Tänzerin / Choreografin Dada Masilo, alle drei in Südafrika geboren, zusammengearbeitet. Etwa für die Oper „Refuse the Hour“, die 2013 im Rahmen von ImPulsTanz auch in Wien zu sehen war: Kentridge hat gezeichnet, gesprochen, das Libretto verfasst und Regie geführt, Miller hat die Musik geliefert, Masilo getanzt. Diesmal ist die Choreografin federführend, Kentridge hat Zeichnungen für den Hintergrund geschaffen und Miller eine unter die Haut gehende Musik komponiert, die die tragische Geschichte von Liebe und Eifersucht, von Verrat und Rache, und von der Tanzwut plastisch erzählt.

Masilo hat dem bei allen Ballettcompagnien der Welt beliebten Zweiakter jegliche süßliche Romantik genommen, zeigt, wie grausam und unerbittlich die Rache einer betrogenen Frau,Giselle kann nicht sterben, bevor die Überltäter bestraft sind. Ihre Seele dürstet nach Rache. © John Hogg gemeinsam mit ihren Schwestern, den um Mitternacht im Wald tanzenden und die Männer zu Tode hetzenden Geister der Ahnen, sein kann.
Sie verlegt Giselles Heimatdorf nach Afrika, wo die Mächtigen sich der Frauen ebenso bedienen, wie es in Europa einst (einst?) üblich war (war?). Giselle ahnt nicht, dass ihr Geliebter Albrecht gar kein Bauernkind ist wie sie, sondern eine Art Herzog, der längst einer anderen, der stolzen und siegessicheren Bathilde, versprochen ist. Den ungestümen, in sie verliebten Hilarion aus ihrem Dorf, lehnt sie ab. Seine Blumen wirft sie in den Sand. Das wird sie büßen, denn dieser Bursch holt Bathilde herbei, zeigt Giselle den nachtblauen Samtmantel des Fürsten und damit dessen wahres Gesicht. Bertrogen, verlassen! Das bricht ihr nicht nur das Herz, sondern auch den Verstand. Sie flieht das Dorf, stirbt einsam und fast nackt: ein elendes Bündel Mensch liegt auf der Bühne, bis die schnell einbrechende afrikanische Nacht sie umhüllt.

Pause.

Albrecht fleht um Vergebung. Sie wird ihm verweigert, die Geister wollen seinen Tod. © Stella OlivierDada Masilo, die bei der Wiener Premiere selbst die Titelrolle getanzt hat mit deutlichen Bewegungsmustern aus der bekannten Fassung hält sich an das übliche Libretto, zeichnet jedoch die Charaktere schärfer, macht die im zweiten Akt auftretenden Willis (statt im weißen Tutu in blutrocken Kleidern mit schwingenden Röcken, Männer wie Frauen, Geister haben kein Geschlecht), zu tobenden, rachedurstigen, dennoch zauberhaft schönen Hexenwesen. Myrtha, die Königin, ist eine Sangoma, eine traditionelle Heilerin, sie trägt keine weiße Lilie als Zeichen ihrer Würde, sondern einen Fliegenwedel aus Tierhaar und wird von einem Mann getanzt. Böse, böse, hinreißend. Auch Miller nimmt die Originalmusik von Adam als Basis seiner eindringlichen Komposition mit Harfenklängen und wilden Trommelschlägen. Bathilde, beharrt auf ihrem Albrecht, Giselle ist geteäuscht und entehrt. © Stella Olivier

Der zweite Akt spielt auch hier um Mitternacht im Wald, wo die Willis, Geister der Ahnen, ihr Wesen treiben, vorbeikommende Männer einkreisen und bis zum Umfallen tanzen lassen. Hilarion ist das erste Opfer und auch Albrecht erfährt keine Gnade. Giselle ist zur Furie geworden, peitscht den Verräter in den Tod. Die Geisterstunde ist zu Ende, die Geister verschwinden, Giselle mit triumphierend erhobener Peitsche. Sie ist frei, ihr Geist findet die ewige Ruhe. Zurück bleibt der tote Betrüger, der keine Vergebung erhielt. Er hat mit der Liebe nur gespielt.

Myrtha, die unerbittliche Sangoma (Llewelliyn Mnguni). © john HoggEin Ballett, so schön wie böse, so scharfkantig wie eindrucksvoll getanzt. Masilo sagt: „Kein schönes Stück.“ Vielleicht war deshalb der Applaus etwas verhalten, nicht so enthusiastisch wie bei „Swan Lake“, obwohl auch da das Finale mit Leichen gepflastert war. Doch vielleicht lag es auch daran, dass „Schwanensee“ als Teil des kollektiven Kulturgedächtnisses allgemein präsent ist, während „Giselle“ und vor allem die von Heinrich Heine erzählte slawische Sage von den Willis wohl eher eingefleischten Ballettfans vertraut ist. Wie auch immer – Tänzerinnen und Tänzer wurden auch bei „Giselle“ mehrmals vor den imaginären Vorhang gerufen und verbeugten sich strahlend und zufrieden.

Dada Masilo / The Dance Factory: „Giselle“, Choreografie Dada Masilo; Musik Philip Miller; Zeichnungen William Kentridge. Uraufführung in Oslo (DansensHus, 4. Mai 2017. Wien-Premiere 9. August 2017. Weitere Vorstellungen im Rahmen von ImPulsTanz am 10. und 11. August 2017.