Ian Kaler: „O.T. (Incipient futures) im Tanzquartier
Der dritte Teil von Ian Kalers Serie „o.T.“ bringt eine Überraschung: Kaler hat sich Locken wachsen lassen ist fröhlich, ja, im Duett mit dem Tänzer und Modedesigner Stéphane Peeps Moun ausgelassen, versucht sogar zu steppen. Nach „(emotionality of the jaw)“ und „(gateways to movement)“, widme sich Kaler als Choreograf und Tänzer der Zukunft, oder gar den Zukünften: „Incipient Futures“ nennt er diesen dritten Teil der „o. T.“-Reihe, in dem er wieder mit der phänomenalen Musikerin Jam Rostron (Planningtorock oder auch Aquarian Jugs) zusammenarbeitet. Eine Stunde voll Energie und hinreißender Musik in der Arena. Tanz, der keinerlei moralisch-gesellschaftlichen oder philosophisch-theoretischen Über- oder Unterbau verlangt.
Bühnenbildnerin Stephanie Rauch hat für die Musikerinnen (Rostrons Kompositionen werden von ihr selbst und der großartigen Perkussionistin Joy Leah Joseph live gespielt), die beiden Tänzer und das Publikum eine bunt eingerahmte Arena entworfen, einen intimen Raum, in dem sich das Publikum wohl fühlt und die Tänzer mit diesem in Blickkontakt treten können. Auch die Blicke, die sie einander zuwerfen, das Lachen und die spärlichen Berührungen bleiben im kleinen Rund nicht unbemerkt. Das Publikum ist dabei, ein Teil der Vorführung, nicht bloßer Voyeur.
Mit allerlei Lichtspielen hat Imogen Heath den kleinen Zirkus ausgeleuchtet. Moun hat die Kostüme entworfen, die vor allem aus interessant gestylten Hosen und unauffälligen Oberteilen bestehen. Vorerst aber treten beide Performer zögernd als Silberlinge an.
Der Beginn ist noch konventionell, wie erwartet, Zeitlupe, melancholische Stimmung, monotone Klänge. Zwei Gestalten in silbernen Kapuzenjacken schleichen auf den Schauplatz, gebückt und gesichtslos. Sie strahlen Ängstlichkeit und Hilflosigkeit aus, trostsuchend lehnen sie sich aneinander. Mir scheint, sie fühlen sich nicht so recht wohl mit dem Publikum, verlassen deshalb trippelnden Schritten die Arena. Ihr Gesicht haben wir nie gesehen.
Aber danach geht es los. Tänze aller Art, als Solo und im Duo. Stéphane Peeps Moun verleugnet seine afrikanischen Wurzeln nicht, widmet sich aber auch dem Hip Hop und, flinkfüssig und freudvoll, dem Stepptanz. Kaler versucht da mitzuhalten, wiegt sich in den Hüften, biegt den Oberkörper, ringt die Arme, vernebelt sich im Puderstaub, strampelt ein wenig mit den Füßen, kehrt aber dann doch lieber zu seinem Metier zurück, bleibt gelöst und ausdrucksvoll.
Mir scheint, die beiden Tänzer haben so viel Freude an ihren Bewegungen zur rhythmischen Musik (Joy Leah Joseph hämmert mit Hingabe auf ihre Instrumente), dass sie gar nicht aufhören wollen. Doch es ist keine Session, trotz aller Freiheiten, die sich alle Vier, Musikerinnen und Tänzer, gönnen. Der Rahmen ist vorgegeben, der darf nicht brechen. Was anfängt muss auch enden und die „Nahbegegnung“ (Kaler / Chris Standfest im Programmheft) darf nicht überdehnt werden, sonst wird sie zur Belästigung. Daher: Trotz aller Schönheit, Unterhaltsamkeit und energiegeladener, unverkrampfter Bewegung, das Ende kommt gerade recht.
Ian Kaler: „o. T. (Incipient Futures)“, Choreografie Ian Kaler, Performance: Ian Kaler, Stéphane Peeps Moun. Musik / Komposition und Produktion Planningtorock aka Jam Rostron, performed von Planningtorock aka Jam Rostron und Joy Leah Joseph. Uraufführung, 10.11. 2016, Tanzquartier.
Eine weitere Vorstellung: 11.11. Tanzquartier.
„O.T. / (Insicipient Futures)“ ist eine Koproduktion mit Hebbel am Ufer (HAU) in Berlin und wird dort am 3., 4., 5., und 6. Dezember 2016 gezeigt.