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Marica Bodrožić: Ihre Heimat ist die Sprache

Marica Bodrožić fotografiert von Regine Dyck.

In ihrem jüngsten Roman, Das Herzflorett, erzählt Marica Bodrožić von Pepsi, einem in Kroatien geborenen Mädchen, das sich in die deutsche Sprache verliebt. Autofiktion, natürlich, denn auch Bodrožić ist in Kroatien geboren, bei den Großeltern aufgewachsen und mit 10 Jahren von den Eltern nach Deutschland geholt worden. Die Sprache gab und gibt ihr Heimat, davon handelt auch Pepsis Geschichte.

Der Alte Kurpark in Bad Soden, wo Pepsi zehn Jahre wartet, bis sie endlich das strenge Elternhaus verlassen kann.   Prosa von Marica Bodrožić zu lesen, heißt für mich einzutauchen in einen sanft und auch wild strömenden Fluss der Wörter und Sätze. Ob sie in der Ichform schreibt oder ihre Figur Pepsi nennt, immer träumt sie von den blühenden Wiesen und den geliebten Bäumen in Kroatien, von den wärmenden Strahlen der Sonne. Denke ich an die Autorin, so sehe ich sie im Gras liegen, ein Buch in deutscher Sprache, Weltliteratur oder Lyrik, vor Augen, den Duft der Blumen und Gräser in der Nase. Der  Quellenpark in Bad Soden, Pepsi scheint ihn nicht zu kennen. © Wolfgang Maennel / wikipedia Zehn Jahre umfasst die Geschichte von Pepsi, die eine Kunstfigur ist. Pepsi, das sind viele Kinder, die in der Fremde aufwachsen, weil die Eltern als Gastarbeiter Geld verdienen müssen. Nicht alle finden in der Sprache eine Heimat. Wie ein Schatten steht die Erzählerin, also Marica Bodrožić hinter der Heranwachsenden, denkt und träumt für sie.
Nachdem Pepsi sich mit der deutschen Sprache angefreundet hat, bittet sie ihre Eltern, sie nach Deutschland zu holen. Ihr Bruder und die Schwester leben bereits in Hessen, in „Bad Soden am Taunus. Tolstoi und Turgenjew. Waren auch mal da.“ Davon erfährt sie aber erst später. Blick von Bad Soden aus auf den Taunus. Pepsi liebt die Natur, die Wiesen, die Bäume und die Berge. © wikipedia
Pepsis Jugend ist eine Folge von Schlägen, Strafen, Verboten, Stichen ins Herz. Die Mutter geht putzen, ist zum Roboter geworden, der keinerlei Gefühle zulässt. Der Vater, Alkoholiker, straft bei der kleinsten Unregelmäßigkeit, Pepsi und ihre Geschwister müssen auf Reis knien, Malerisch ist Koratien vor allem für Urlauberinnen. ©  kroatien.deund sie träumt von Sommerferien in Kroatien mit Aleksander. Pepsi wird nicht geliebt, wie ein Hund wird sie gehalten, an einer Kette aus Verboten. Nicht denken, nicht auffallen, nicht studieren, Abitur nicht notwendig, nicht lesen, nicht träumen, Arbeit ist das ganze Leben. Bodrožić packt in Pepsis Leben alles hinein, was einer Teenagerin an Schmerzhaftem passieren kann.Die historische Landschaf Lika im Osten Koratiens ist so unberührt, wie Pepsi träumt. © kroatien.de Pepsi lebt mehr in ihren eigenen (oder der Autorin) Gedanken als in der Realität. Weil sie nicht mehr in die Schule gehen darf, beginnt sie eine Ausbildung als Buchhändlerin und hat damit den ersten Schritt in die Freiheit geschafft. Ihre Verwandten stehlen ihr Geld. Gutgläubig borgt sie ihr Erspartes her, doch das Versprechen, die Summe wieder zurückzuzahlen, wird nicht eingelöst. Pepsi träumt von der Sonne und den Wiesen in Kroatien. © kroatien.deSie mietet eine Wohnung „der großen Stadt“ und die Mutter erklärt Pepsis Habseligkeiten zu ihrem Eigentum: „Du wirst von hier nichts mitnehmen, nichts!“ Pepsi flieht also aus dem Elternhaus nach Frankfurt, die Schwester bringt ihr heimlich die Bücher hinterher. Die Sprache gibt ihr Heimat. Die mehrfach preisgekrönte Autorin Marica Bodrožić, fotografiert von  Peter von Felbert.Pepsi hat die Flügel ausgebreitet, auch wenn sie „von morgens bis abends Bücher verkauft und dann glücklich müde ins Bett fällt.“ Die „zehn hessischen Jahre“ sind zu Ende.
Pepsi und ihre Geschwister sind in Marica Bodrožić’ Roman schattenhafte Figuren, pure Handlungsträgerinnen, Vehikel für die Erzählfreude und den bilderreichen Stil der Autorin. „Das Herzflorett“ Schutzumschlag unter Verendung einer Illustration von © Amy Berenbeim. Gestaltet von buxdesign | München. Bodrožić erzählt in der Gegenwart, und doch ist das Geschehen, also Pepsis von Lieblosigkeit und Grausamkeit beherrschte Jugend, seltsam fern. Ich schaue durch eine gläserne Wand auf das „hessische Fachwerkhaus“ und die „Tapetenleute“ und muss gar nicht wissen, was im Haus und in der Welt draußen vorgeht. Wie Honig löffle ich die Sätze auf die Zunge, lasse sie bis in den Magen rinnen und denke nach, mit wem ich Marica Bodrožić gleichsetzen könnte. Es fällt mir niemand ein.

Marica Bodrožić: Das Herzflorett, Roman, 288 Seiten, Luchterhand, 2024, € 24,70. Auch als E-Book erhältlich,  € 18,99.