Marica Bodrožićs: Ihre Heimat ist die Sprache
In ihrem jüngsten Roman, Das Herzflorett, erzählt Marica Bodrožićs von Pepsi, einem in Kroatien geborenen Mädchen, das sich in die deutsche Sprache verliebt. Autofiktion, natürlich, denn auch Bodrožićs ist in Kroatien geboren, bei den Großeltern aufgewachsen und mit 10 Jahren von den Eltern nach Deutschland geholt worden. Die Sprache gab und gibt ihr Heimat, davon handelt auch Pepsis Geschichte.
Prosa von Marica Bodrožićs zu lesen, heißt für mich einzutauchen in einen sanft und auch wild strömenden Fluss der Wörter und Sätze. Ob sie in der Ichform schreibt oder ihre Figur Pepsi nennt, immer träumt sie von den blühenden Wiesen und den geliebten Bäumen in Kroatien, von den wärmenden Strahlen der Sonne. Denke ich an die Autorin, so sehe ich sie im Gras liegen, ein Buch in deutscher Sprache, Weltliteratur oder Lyrik, vor Augen, den Duft der Blumen und Gräser in der Nase. Zehn Jahre umfasst die Geschichte von Pepsi, die eine Kunstfigur ist. Pepsi, das sind viele Kinder, die in der Fremde aufwachsen, weil die Eltern als Gastarbeiter Geld verdienen müssen. Nicht alle finden in der Sprache eine Heimat. Wie ein Schatten steht die Erzählerin, also Marica Bodrožićs hinter der Heranwachsenden, denkt und träumt für sie.
Nachdem Pepsi sich mit der deutschen Sprache angefreundet hat, bitte sie ihre Eltern, sie nach Deutschland zu holen. Ihr Bruder und die Schwester leben bereits in Hessen, in „Bad Soden am Taunus. Tolstoi und Turgenjew. Waren auch mal da.“ Davon erfährt sie aber erst später.
Pepsis Jugend ist eine Folge von Schlägen, Strafen, Verboten, Stichen ins Herz. Die Mutter geht putzen, ist zum Roboter geworden, der keinerlei Gefühle zulässt. Der Vater, Alkoholiker, straft bei der kleinsten Unregelmäßigkeit, Pepsi und ihre Geschwister müssen auf Reis knien, und sie träumt von Sommerferien in Kroatien mit Aleksander. Pepsi wird nicht geliebt, wie ein Hund wird sie gehalten, an einer Kette aus Verboten. Nicht denken, nicht auffallen, nicht studieren, Abitur nicht notwendig, nicht lesen, nicht träumen, Arbeit ist das ganze Leben. Bodrožićs packt in Pepsis Leben alles hinein, was einer Teenagerin an Schmerzhaftem passieren kann.
Pepsi lebt mehr in ihren eigenen (oder der Autorin) Gedanken als in der Realität. Weil sie nicht mehr in Schule gehen darf, beginnt sie eine Ausbildung als Buchhändlerin und hat damit den ersten Schritt in die Freiheit geschafft. Ihr Verwandten stehlen ihr Geld. Gutgläubig borgt sie ihr Erspartes her,doch das Versprechen, die Summe wieder zurückzuzahlen, wird nicht eingelöst. Sie mietet eine Wohnung „der großen Stadt“ und die Mutter erklärt Pepsis Habseligkeiten zu ihrem Eigentum: „Du wirst von hier nichts mitnehmen, nichts!“ Pepsi flieht also aus dem Elternhaus nach Frankfurt, die Schwester bringt ihr heimlich die Bücher hinterher. Pepsi hat die Flügel ausgebreitet, auch wenn sie „von morgens bis abends Bücher verkauft und dann glücklich müde ins Bett fällt.“ Die „zehn hessischen Jahre“ sind zu Ende
Pepsi und ihre Geschwister sind in Marica Bodrožićs’ Roman schattenhafte Figuren, pure Handlungsträgerinnen, X für die Erzählfreude und den bilderreichen Stil der Autorin. Bodrožićs erzählt in der Gegenwart, und doch ist das Geschehen, also Pepsis von Lieblosigkeit und Grausamkeit herrschte Jugend, seltsam fern. Ich schaue durch eine gläserne Wand auf das „hessische Fachwerkhaus“ und die „Tapetenleute“ und muss gar nicht wissen, was im Haus und in der Welt draußen vorgeht. Wie Honig löffle ich die Sätze auf die Zunge, lasse sie bis in den Magen rinnen und denke nach, mit wem ich Marica Bodrožićs vergleichen könnte. Es fällt mir niemand ein.
Marica Bodrožićs: Das Herzflorett, Roman, 288 Seiten, Luchterhand, 2024, € 24,70.