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Olivier Dubois / Steve Reich: Allegorie des Lebens

Bodhi Project Dance Company: Come Out

21 Tänzer:innen in hauchzarten enganliegenden Ganzkörpersuites unter rosafarbenem Licht in streng geometrischer Ordnung. Im Eröffnungsbild von Olivier Dubois Choreografie Come Out zur gleichnamigen Musik von Steve Reich beeindruckt die Bodhi Project Dance Company nach der Premiere im Salzburger Tanzfestival Sommerszene auch im Tanzquartier in Wien. Kräfteraubende 50 Minuten, die die Dichotomie des Lebens, Anspannung und Ermattung, Gemeinschaftssinn und Selbstbestimmung, widerspiegeln.

Das Kollektiv krümmt sich, als ob alle Mitglieder Schläge erhalten hätten. Lange Zeit müssen die Tänzer:innen im anstrengenden Demi Plié durchhalten. Dann durchbricht eine Tänzerin die schöne Ordnung, wirft sich in die Höhe, ist Solotänzerin für eine Minute. In Wellen schwebt Reichs Musik, die gar keine ist, eher ein elektronisches Pasticcio aus Textfetzen und Geräuschen, im Raum. Das Kollektiv bewegt sich synchron und exakt im Rhythmus der Loops.
Choreograf Dubois fügt sich Reichs Methode der Phasenverschiebung, wiederholt die Bewegungsabläufe, indem er sie kaum merklich verändert. Die Wirkung der Loops, akustisch und optisch, ist suggestiv, ich laufe Gefahr in Trance zu entgleiten. Die anfangs deutlich erkennbare Struktur fällt immer wieder auseinander, ordnet sich zu einem neuen Muster. Faszinierend. Einzelne, oder auch zwei, drei scheren aus, tanzen ihr eigenes Muster, geben auf und fügen sich wieder ins Kollektiv ein. Die Ordnung ist zerfallen, d as Chaos ausgebrochen. Wenn die Ordnung zum Chaos wird, ballen sich alle 21 zu einem einzigen Körper zusammen. 42 Arme und Beine stellen in Windeseile die Ordnung der Choreografie wieder her. Am Ende ist eine neue Ordnung hergestellt, in der Gemeinschaft spricht jede / jeder mit der eigenen Stimme. Reichs Komposition treibt die Körper an. Die Wirkung hat Anne Teresa De Keersmaeker bereits 1982 erkannt, als sie ihre erste Choreografie, Fase, Four Movements to the Music of Steve Reich, in Brüssel gezeigt hat. In dem vierteiligen Tanzstück – drei Duette, ein Solo – lässt die Choreografin nicht zur Musik tanzen, sondern bildet die Struktur der Partitur mit den Körpern nach. Die gleiche Methode wendet Dubois an. Allerdings lässt er sich auch von der Entstehungsgeschichte von Come Out und dem Text beeinflussen, unterlegt dem reinen Tanz eine inhaltliche Bedeutung, womöglich eine Botschaft:

Olivier Dubois, der Tänzer, zeigte bei ImPulsTanz 2023 ein wildes Solo. © Pierre GondardDies ist eine Allegorie über unsere Kämpfe. Mit unserem Leben, für die Hoffnung, für die Liebe ... COME OUT handelt von diesem Trieb, dem Impuls, in eine Schlacht zu ziehen, von dem Moment, in dem die Musik beginnt, sich zu verzerren, sich aufzulösen, um sich dann nach wellenartigen Turbulenzen wieder neu zu formieren. Reich beginnt seine Musik mit diesem Satz: „I had to, like, open the bruise up and let some of the bruise blood come out to show them“ („Ich musste die Prellung öffnen und etwas Blut herausfließen lassen, um es ihnen zu zeigen“). Ich wollte also dieses Blut kochen sehen, wie ein rosafarbenes subkutanes Rot. In der Hoffnung, es als Zeichen eines triumphalen Lebensereignisses vergossen zu sehen. … (Olivier Dubois auf dem Programmzettel) Das Chaos ist beendet, die Ordnung wiederhergestellt. (Bodhi Prject Dance Company)

Reichs Komposition Come Out ist 1966 entstanden und inspiriert von der Zeugenaussage des afroamerikanischen jugendlichen Daniel Hamm, der während einer Unruhe eines Mordes verdächtigt worden ist. Ohne Instrumente, nur mit dem oben zitierten Satz von Hamm ist Reich ein starkes Stück gelungen. Dubois hat das Werk gemeinsam mit François Caffenne arrangiert und etwas verändert. Come Out hat damit eine neue Bedeutung erlangt, gibt ihm eine politische Relevanz. Noch Stunden nach der Vorstellung klingt es in meinem Kopf „To show the, to show them, to show them …“, wobei die Tänzer:innen ihren Rumpf ruckartig vor und zurückbewegen. Das ist die Bedeutung des Adjektivs beeindruckend: Der Eindruck in Kopf und Körper tut weh – und begeistert zugleich. Lautstark zeigt das Publikum im Tanzquartier beides, Begeisterung und Eindruck.

Olivier Dubois / Steve Reich& Bodhi Project: Come Out, 13., 14. Oktober 2023, Tanzquartier.

Choreographie: Olivier Dubois. Musik: Steve Reich
Performance: BODHI PROJECT dance company and guests. Künstlerische Leitung: Susan Quinn. Lichtdesign: Emmanuel Gary
Musikarrangement: Olivier Dubois & François Caffenne
Kostüme: Olivier Dubois, Martine Augsbourger & Kostümabteilung des CCN – Ballet de Lorraine. Eine Koproduktion von blackmountain, SZENE Salzburg und Tanzquartier Wien.
Fotos: © Bernhard Müller