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Kommen Sie, schauen Sie, hören Sie, riechen Sie!

Raumfahrerin und Wasserfrau im Keller.

Eine Einladung ins Eldorado, vormals Universum, freundlichst ausgesprochen vom ideenreichen Kollektiv Spitzwegerich. (Gehäuse) nennen die Wegeriche (die Medizin bescheinigt ihnen „Reizmilderung und Entzündungshemmung“) die Aufführungsserie in vier Etappen, deren letzte, (Gehäuse): Aurum, im neuerdings „Theater am Werk“ benannten Gehäuse unter dem Petersplatz in Wien am letzten Oktobertag premierenadäquat bejubelt worden ist. Trotz Halloweenabend ist nicht gegruselt worden, hingegen überrascht, fasziniert, ein wenig verwirrt und bestens unterhalten.

El Dorado, die Stadt aus Gold, ist ein Mythos, das Etablissement mit Namen Eldorado unter dem Petersplatz gab es tatsächlich. © thought.co.com Einmal, zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts, war das Gewölbe unter dem Petersplatz ein Unterhaltungsetablissement. Vermutlich für alte Herren und junge Frauen. Nach dem 2. Weltkrieg erweckte Franz Georg Pressler, besser bekannt als Fatty George mit seiner Klarinette Swing und Jazz zum Leben. Fatty’s Saloon schloss 1982 mit dem Tod des Clubchefs, Regisseur Dieter Haspel zog mit seinem Ensemble Theater Wien nun ins Theater am Petersplatz benannte Kellerlokal. Theater ist das Gehäuse geblieben, wenn es auch kaum mehr so goldig und knisternd war wie einst im Eldorado. Noch herrscht Probenstress, die mitspielenden Objekte und Puppen werden ausgewählt.
Jetzt also firmieren die unterirdischen Räume als doppeltes Theater am Werk. Doppelt, weil unter dem Petersplatz nur die eine Hälfte der Werktätigen auf Publikum wartet, die zweite werkt in Wien-Altmannsdorf im ehemaligen Kabelwerk an der U6-Station Tscherttegasse. Für acht Tage ist unter dem Petersplatz jetzt das letzte (Gehäuse), Aurum, vergoldet also, denn dieses Gehäuse beinhaltet sämtliche davor geöffneten (Gehäuse), so da waren: EAU-O (bitte an Wasser denken), G‘spinst und Graben Graben. Daher tauchen im (Gehäuse): Aurum auch Wasserfrauen und ein bedrohlicher, riesiger Wassermann auf, die Gespinste, aus bunten Bändern geflochtene Kegel, können fliegen. Die hoch gewachsene Klarinette erinnert an Fatty’s Saloon. Wie in den früheren (Gehäusen) betört die Sängerin Anna Clare Hauf ihr Publikum mit Stimmakrobatik. Wieder einmal macht sie klar, dass nicht nur singen, deklamieren, vortragen Arbeit, teilweise sogar Schwerarbeit bedeutet. Was den einen Unterhaltung, Zeitvertreib und die Farbe im grauen Alltag ist, ist den anderen, denen auf der Bühne, im Gehäuse, im Keller unter dem Keller und am Pool Arbeit.
Platt gesagt: Was dem einen sin Uhl, ist dem andern sin Nachtigall.Emmy Steiner ist die Nixe mit dem wunderbaren grünen Haar, das auch als  Mantel taugt.
 Noch sind wir nicht ganz unten angelangt, unter dem Kellertheater schlängeln sich Gänge, führen schmale Stufen in die Unterwelt. Im unverputzten Gehäuse unter dem Keller führen alle Wege zu den Katakomben.  Entdeckerfreude durchrieselt das stolpernde Publikum, der Weg ist schon fast das Ziel, ein wunderbares Erlebnis auf jeden Fall. Für mich überstrahlt nur vom Auftritt des singenden und tanzenden Gehirns, das sich selbstständig macht und von der Raumfahrerin mit ihrem Helm eingefangen werden muss.  Zurück zum Mittelpunkt der Erde, oder fast bis dorthin. Die Poolbar wird eröffnet, der Poolboy, vulgo Wassermann, wird angerufen, die Gruft wird zur Kellerdisco. Nicht nur der DJ swingt im Rhythmus und lässt die Wände der Katakomben in allen Farben glühen. Stimmakrobatin Anna Hauf inmitten ihrer Arbeit. Fattys Klarinette spielt übrigens auch mit, aber nicht hier ganz unten. Wie alle Mythen ist sie im Lauf der Jahrzehnte gewachsen und muss unter jedem Türstock umgelegt werden, damit sie durchkommt, was ihrem lieblichen Gesäusel keinen Abbruch tut. Die vielen Stufen bis in die Gruft tief unten schafft sie jedoch nicht, da kommt die Wassermusik aus einer Maschine.
Der größte grüne Wassermann aller Zeiten schwebt über dem Poolraum, in den beiden Pools verstecken sich Wasserfrau und Wassermann unter ihrem grünen Haarmantel. Auf der Empore tanzt der kleinste Mann von Wien Kasatschok und gibt kund, dass es immer weiter gehen, weiter gehen, weiter gehen muss. Dabei verliert das hölzerne Männlein sein hölzernes Köpflein, sträubt den Husarenschnurrbart und hampelt flink hinter dem Kopf her, der mir nix, dir nix schon wieder auf dem Hals (Hälslein) sitzt. Nur noch der Geist des Musikers Fatty George (1927–1982) ist im Gehäuse noch vorhanden. © gravestone Nach der Discoshow steigt das Grüpplein wieder hinauf und bleibt doch unter dem Straßenniveau. Im großen Theatersaal stehen die Bänke an der Wand, damit alle Teilgruppen, die umsichtig geführt, getrennt durch das Gehäuse gewandert sind, um den Geruch der Vergangenheit einzuatmen, nun zu einer einigen Publikumsschar werden. Allroundmusiker Manfred Engelmayr bearbeitet die Gitarre liebevoll mit dem Staubwedel aus Straußenfedern; artig schenkt Servicepersonal ein Schlückchen goldenen Likörs aus. Der kunstvoll gebaute Turm aus glitzernden Tabletts entpuppt sich bald als Lampenschirm, der an die Decke schwebt und eine Glühbirne beschützt.
Schlussgesang im Goldregen und Applaus, Applaus, Applaus. Bis das arbeitende Kollektiv vom Verneigen in alle Richtungen Knieschnackeln bekommt. Und dann treppauf, treppauf, treppauf, bis das Normalniveau (scheinbar) wieder erreicht ist. Der Wunderkiste entströmt die Aura früherer Besucher und Gastgeber im verzweigten Gehäuse unter dem Petersplatz.Das Nicht-Normale (Normal gibt’s an der Tankstelle), also das Besondere, das Wunderbare, das Einzigartige nehmen wir mit nach Hause und packen es in Goldpapier. Dann können wir das glitzernde Aurum an den Weihnachtsbaum hängen.
Noch schöner als Gold am Tannenbaum: Das Kollektiv Spitzwegerich wurde 2022 mit dem Outstandig Artist Award für darstellende Kunst des BMKÖS ausgezeichnet.

Spitzwegerich: (Gehäuse) Aurum: eine Aufführung in vier Etappen. Premiere im Theater am Werk, Petersplatz, 31. Oktober 2023
Mit Simon Dietersdorfer, Lisa Furtner, Anna Hauf, Emmy Steiner, Rebekah Wild.Als würdiger Abschluss für die vergoldete Performance wird Goldwasser serviert. © gemeinfrei Texte von Franziska Füchsl, Natascha Gangl, Max Höfler.
Werkstatt: Felix Huber, Rebekah Wild.
Bühne und Kostüm: Birgit Kellner, Christian Schlechter
Komposition und live Musik: Simon Dietersdorfer, Manfred Engelmayr, Anna Hauf.
Fotos: © Apollonia T, Bitzan
 Ein Projekt von Spitzwegerich in Koproduktion mit Theater am Werk. Vorstellungen. 2., 3., 4., 6., 7., 8. November 2023.