Zum Hauptinhalt springen

Getanzte Gefühle, bis der Schmerz vergeht.

Von Astragales als Titelbild für Blue Smile ausgewählt.

Fünf Tänzer:innen wuseln über die Bühne im Kasino am Schwarzenbergplatz, bringen die Leuchtkörper in Positionen, schaffen sich Raum und beginnen ihn gemeinsam zu erobern. Ausatmen, einatmen, den Atem anhalten, Stillstand, ausatmen, den Körper in Bewegung bringen. Michèle Anne de Mey hat sich für ihre Choreografie Blue Smile von den herzzerreißenden Songs Janis Joplins inspirieren lassen und das poetische, mitreißende Stück im Rahmen von ImPulsTanz gezeigt.

Bodhi Project dance company bei der Probe: Jaeger Wilkinson, Jeanne Procureur, Luisa Heilbron. Ofer Dayani im Hintergrund.Das „blaue Lächeln“ beinhaltet beides, Traurigkeit, Wut und Schmerz sowie die entspannte Heiterkeit, das Lächeln im hellen Gesicht. Den Gegensatz drückt die Choreografin durch die Emotionen aus, die die Tänzer:innen antreiben: Sie wollen eine Gemeinschaft sein, eine Familie, in der Respekt und Anerkennung herrschen. Doch genauso will jede, jeder Einzelne unabhängig und selbstbestimmt sein, ohne ausgegrenzt zu werden. Die fünf Tänzer:innen –  Dylan Brahim Labiod, Jaeger Wilkinson, Jeanne Procureur, Luisa Heilbron und Ofer Dayani –, alle Absolvent:innen der Salzburg Experimental Academy of Dance (SEAD), zeigen beiden Seiten dieser Waage. Anfangs sind sie eine Gruppe, die synchron atmet und tanzt, möglichst dicht beisammenbleibt. Wenn die Musik schweigt, erstarren sie zum Tableau vivant. Doch immer wieder löst sich eine der Tänzerinnen, ein Tänzer aus dieser im gleichen Takt atmenden Familie, macht sich selbstständig, zeigt die Kehrseite des Lächelns, den Blues. Jaeger Wilkinson und Jeanne Procureur proben den Pas de deux. Wütend und aggressiv, schmerzerfüllt und erschöpft durchquert Luisa Heilbron den langgestreckten Raum, Janis Joplin schluchzt und brüllt dazu. Immer wieder wird die Musik abgestellt, in der Stille weiter getanzt. Manchmal wird auch gekämpft, die einen wollen, dass Joplin singt, die anderen, wünschen sich Stille. Achtung: Die Gruppe besteht aus zwei Frauen und drei Männern, das kann auf die Dauer nicht gut gehen. Ein Wagen hat nur vier Räder. 

Michèle Anne De Mey (Gedächtnisstütze: Mitbegründerin und sechs Jahre lang Mitglied der Compagnie Rosas von Anne Teresa De Keersmaeker, Janis Joplin, fotografiert von Jim Marshall 1969, ein Jahr vor ihrem Tod. © Public domain / wikipedia1990 hat sie ihre eigene Compagnie, Astragales, gegründet und ein Jahr später ihre erste abendfüllende Choreografie, Sinfonia Eroica, auch bei ImPulsTanz gezeigt.) arbeitet mit Modulen, die Biegungen des Rumpfes, die sprechenden Gesten der Arme in der Gruppe werden aneinandergereiht und wiederholt. Auch die Solos sind so aufgebaut, immer wieder durchmessen die Tänzer:innen mit weiten Sprüngen den langgestreckten schmalen Raum, werfen sich auf den Boden, bleiben liegend in Spannung, entspannen sich auch hin und wieder, um sich zu erheben und ihre durchtrainierten Körper mit akrobatischen Kunststücken zu präsentieren. Geborgen in der Gruppe: Dylan Brahim Labiod, Luisa Heilbron und Jaeger Wilkinson Im letzten Drittel tanzen Jaeger Wilkinson und Jeanne Procureur zu Klavierstücken von Franz Schubert einen innigen Pas de deux, eifersüchtig nicht nur von Luisa Heilbron beobachtet. Sie versucht sich einzumischen, doch die Zweisamkeit mit Annäherung, Umarmung, gemeinsamen Niederlegen in stetiger Wiederholung kann eine Dritte nicht stören.  Die Tänzer:innen sind auch ihre eigenen Bühnenarbeiter:innen, stellten die mobilen blauen Lichtquellen immer wieder neu auf, um Platz zu schaffen. Wie Blumen stehen die Lichtquellen verteilt im Raum. Szenen in praller Helligkeit wechseln mit solchen im gedämpften, orangefarbenen Licht. Die Bewegungen wirken wie gesteuert, weil sie aus dem Körper herausgetrieben werden, Treibstoff sind die Emotionen. Die Dichotomie von Blue SmileLuisa Heilbron krümmt sich auf dem Boden, weg von der mobilen blauen Lampe. zeigt sich im Schwanken zwischen Zugehörigkeit und Individualität, zwischen gemeinsamen Bewegungen in Zeitlupe und Solo-Sprüngen und Bodenbewegungen im Zeitraffer. Ebenso funktioniert der Wechsel zwischen dem herzzerreißenden Gesang Janis Joplins und der Stille, die es erlaubt, sich den eigenen Gedanken zu überlassen. Auch das Lichtdesign folgt der Regel der Zweiteilung.
Am Ende verschmelzen alle Fünf zu einem einzigen Tanzkörper, die Gesichter nach oben gewendet, die Arme hochgesteckt, die Hände scheinen zu winken. Bevor dieses schöne Bild zerfällt, die Einheit wieder zerbricht, geht das Licht aus, einige Sekunden ist auch das Publikum in samtene Dunkelheit gehüllt. Dann dürfen die Tänzer:innen den verdienten Applaus genießen.

Michèle Anne De Mey / BODHI PROJECT: Blue Smile, 29. Juli 2023. ImPulsTanz im Kasino am Schwarzenbergplatz.
Choreografie: Michèle Anne De Mey, choreografische Assistenz: Eléonore Valère Lachky, Sandy Williams.
Performer:innen: Dylan Brahim Labiod, Jaeger Wilkinson, Jeanne Procureur, Luisa Heilbron, Ofer Dayani.
Beratung für Lichtdesign: Frank Lischka, Lichttechnik: Kenji Tanaka, Kostümbild: Birke van Maartens; Musik von: Janis Joplin, Franz Schubert, Musikbearbeitung: Boris Cekevda. Choreografin Michèle Anne De Mey. © Gaspard Paucher Koproduktion: blackmountain, Astragales Cie Michèle Anne De Mey. In Kooperation mit: SZENE Salzburg
BODHI PROJECT dance company: künstlerische Leitung: Susan Quinn, Proben- und Produktionsleitung: Maja Poturovic
Unterstützt von: Stadt Salzburg, Land Salzburg, Bundesministerium für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport, SEAD
Astragales Cie Michèle Anne De Mey; Choreografie: Michèle Anne De Mey, Produktionsleitung: Hélène Dubois. Unterstützt von: Fédération Wallonie Bruxelles
Fotos: @ Bernhard Müller.
Das Titelbild ist ein Screenshot. Astragales hat eine Fotomontage des russischen Fotokünstlers Gregori Maiofis mit dem Titel Adversity Makes Strange Bedfellows / Trübsal machte seltsame Bettgenossen, 2005 als Titelbild für die Seite von Blue Smile gewählt.