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Festwochen-Eröffnung: Raunzen mit Nackerpatzln
Es muss sein: Wiener Festwochen werden seit 70 Jahren an einem Freitag Mitte Mai vor dem Rathaus eröffnet, ob sie nun tatsächlich beginnen oder nicht, ob Publikum dabei sein darf, oder nicht. Diesmal darf es leider nicht, und dadurch mussten auch die Künstler:innen auf den ihnen zustehenden Applaus verzichten. Zwar erwarten die beiden von den Festwochen koproduzierten Ausstellungen in der Kunsthalle und in der Secession bereits Besucher:innen, doch das Bühnenprogramm beginnt erst am 4. Juni mit dem inszenierten Totentanz, „Danse macabre“, von Markus Schinwald.
Die Wiener Festwochen, deren Anfänge bereits in der Zwischenkriegszeit liegen und nach dem 2. Weltkrieg 1951 neu belebt worden sind, waren ursprünglich ein Fest für Wienerinnen und Wiener. Die festliche Eröffnung im Wonnemonat hat tatsächlich „ganz Wien“ auf die Straßen gelockt, gefiedelt, geblasen und gesungen wurde tatsächlich aller Orten, von der Innenstadt bis nach Heiligenstadt. Die Menge hat sich vor dem Rathaus versammelt, die Großen hoben die Kleinen auf die Schultern, die Jungen drängten sich in die erste Reihe, um dann ihren Platz den Alten zu räumen. Gemeinschaft, Aufbruchsstimmung, alles wird besser werden.
Genau das Fehlen dieser Gemeinschaft, der gemischten Menge auf dem Platz zwischen Rathaus und Burgtheater und im zweigeteilten Rathauspark hat heuer gefehlt. Das Eröffnungsfest ging ins Leere, Fernsehen ist nur ein Surrogat, atmosphärelos, applauslos, ein toter Fisch.
Die Aufbruchsstimmung wäre zwar nach dem Kulturverzicht und auch den allgemeinen und individuellen Leiden der Pandemie mehr als notwendig, doch hat sie bei dieser Ausnahme-Eröffnung keine Chance gehabt. Es wurde geraunzt und gejammert, oft in holprigen Reimen mit mehrfachen Wiederholungen. Die durch das Beethovenjahr 2020 – 250 Jahre nach des Komponisten Geburt 1770 – längst unerträglich geworden „Ode an die Freude“ entlockt auch in der Interpretation von Koehne Quartett und Phoen Extended nur noch ein Gähnen, der Sprung in die Wiener-Lieder-Gegenwart brachte schon gar keine Freude. Von „ålle san ma zwider“ bis zu „ållas is hin …“ wird das unfreundliche Klischee erfüllt, dass die Wiener:innen missgelaunte Raunzer:innen sind.
Die in den Nachthimmel strahlenden nackten Hinterteile, die Choreografin Florentina Holzinger für ihren „Festzug“ versammelt hat, bringen vermutlich so manchem Voyeur, der Gendergerechtigkeit halber seien Voyeurinnen nicht ausgenommen, etwas Freude ins magere Fernsehvergnügen. So recht entfalten wird sich Holzingers Idee, der gegen Maschinen und gegeneinander kämpfenden Akrobatinnen, wohl erst, wenn die Prozession aus Körpern und schweren Maschinen, wie geplant, an vier Samstagen als Videoinstallation durch die Stadt ziehen wird. Auf dem Bildschirm bekommt man eigentlich gar nichts mit, die Kamera saugt sich an den in den Himmel gereckten nackten Popos fest, weil man in der Totale im flackernden Licht der Light-Show ohnehin nichts sieht. Rhythmus, Musik und Gesang im Auftritt der Sängerin und Komponistin Soap&Skin haben da auch nicht viel ändern können. Einen Festzug stelle ich mir anders vor. Festlich jedenfalls. Doch Intendant Christophe Slagmuylder nennt Holzingers Arbeit ohnehin „dystopisch“, mir scheint, das Geraunze samt Kassandra-Attitüde ist Programm.
So gibt diese Eröffnung, als Live-Event gedacht, jedoch nolens volens auf den Bildschirm übertragen, wenig Hoffnung und kaum Freude. Ein Häuflein Tangopaare, verloren auf der Bühne, ein einsamer Liedermacher auf einer Parkbank und auch an die zehn Damen im Nacktkostüm machen noch kein Fest. Slagmuylder verspricht, dass „bei den Wiener Festwochen 2021 jeden Premiere auch eine Dokumentation des gemeinsamen Erlebens sein“ wird. Möge das Programm der Festwochen die wenig festliche Eröffnung Lügen strafen.
Wiener Festwochen 2021: Eröffnung, 14. Mai 2021 :
70 Jahre Wiener Festwochen – das Konzert: Buch, Gesamtleitung: Gerald Votava, Wolfgang Wais, Musikalische Leitung: Paul Gallister, Künstlerische Koordination: Charlie Bader, Lichtdesign: Daniel Biegger, Sounddesign Doris Jaindl, Volker Werner.
Mit: Koehne Quartett, PHOEN Extended, Die Strottern, Lukas Lauermann, Mira Lu Kovacs, Marie Spaemann & Christian Bakanic, Herbert Pixner Projekt, Golnar & Mahan Trio, Mischwerk, Federspiel, Ernst Molden, Hernán Toledo & Tango Friends
Festzug Idee, Konzept, Choreografie: Florentina Holzinger, Musik: Soap&Skin, Künstlerische Mitarbeit: Renée Copraij, Szenerie: Nikola Knežević, Sounddesign: Stefan Schneider.
Mit: Marie Blochnig, Sibylle Fischer, Maria Helgath, Annina Machaz, Audrey Merilus, Xana Novais, Courtney Robertson, Julia Rutigliano, Linnea Tullius und andere. Fernsehübertragung am 14. Mai, ORF 2 und 3-sat, Bildregie: Felix Breisach.
Saämtliche Informationen inklusive dem gesamten Programm finden Sie hier.