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Der Prinz ist da, weil er Aurora küssen muss.

„Dornröschen“ heute: Prinzessin Aurora, Prinz Désiré.

Königin und König, Aurora und der Prinz sind noch im Trainingsgewand. Am Bühnenrand übt Carabosse mit funkelnden Augen und geheimnisvollen Handbewegungen ihre Zauberkräfte. Choreograf Andrey Kaydanovskiy probt im Linzer Musiktheater mit dem Ensemble das Tanzmärchen von „Dornröschen“. Am 23. Dezember wird Premiere sein.

Kostüm-Entwurf für  eine Fee von Melanie Jane Frost.Noch erklingt die Musik aus dem Computer. Bei den Aufführungen wird das Bruckner-Orchester, geleitet von Marc Reibel, Walzer, Marsch und Rosen-Adagio spielen. Die Ballettmusik von Peter I. Tschaikowsky ist fest im musikalischen Gedächtnis nicht nur von Ballettfans verankert. Doch für eingefleischte Ballettfreund:innen wird Choreograf Kaydanovskiys "Dornröschen" so manche Überraschung bieten. Der König trägt zwar eine zarte Krone, doch steht er im rosaroten Frack im rosaroten Wohnzimmer. Die als königliches Paar mit Kinderwunsch vom Librettisten Iwan Alexandrowitsch Wsewoloschski angelegten Eltern hat Kaydanovskiy ins 21. Jahrhundert gehoben und ein wohlhabendes Ehepaar mit Teenager-Tochter daraus gemacht. Entwurf für ein Männerkostüm (Begleiter einer Fee) im 1. Akt). Zwar heißt auch die Linzer Prinzessin Aurora, Carabosse und Catalabutte sind auch dabei, „doch mit dem Ballett von Marius Petipa hat meine Choreografie nichts zu tun,“ erklärt Kaydanovskiy. Er erzählt die Geschichte von der Entwicklung eines jungen Mädchens zur Frau ohne Fluch und Spindel, ohne schlafende Schöne hinter der Dornenhecke. Auf den Prinzen verzichtet auch Kaydanovskiy nicht. Warum? „Weil er Aurora küssen muss“, sagt er trocken. Ohne Prinz kann das Märchen nicht zu Ende geführt werden, und auch nicht die Geschichte von Aurora, 2022. Kaydanovskiy schmunzelt, in dem er anfügt: „Es kommt darauf an, was das für ein Kuss ist.“
Märchenhaft ist ganz sicher die Bühnenausstattung von Karoline Hogl, die seit nahezu 10 Jahren als Bühnen-und Kostümbildnerin mit Kaydanovskiy zusammenarbeitet. Für die aktuelle Aufführung hat sie sich ganz auf die Bühnengestaltung konzentriert, die Kostüme hat Melanie Jane Frost gestaltet, auch sie arbeitet nicht zum ersten Mal mit dem Choreografen zusammen. Aurora, Tochter einer wohlhabenden Familie, lebt in einer abgeschlossenen Welt und hat noch keinen Blick über den Tellerrand geworfen. Rosa ist diese Blase, Bühne, Mobiliar, Kostüme, die Brille vor den Augen der Beteiligten: rosarot, wie es für ein Dornröschen passt. Doch das bleibt nicht so.Die Fee, die Reichtum schenkt, wird in Auroras Traum zu einer Katze. Kostümentwurf.
 Kaydanovskiy war 15 Jahre Mitglied des Wiener Staatsballetts und hat auch dort, das erste Mal mit Kolleg:innen in der vom aktuell aufgelösten Ballettclub veranstalteten Serie „Junge Choreografen“, den Grundstein für seine internationale Karriere als Choreograf gelegt. „Love Song“ heißt seine erste Kreation, die schon 2014 im Wiener Odeon-Theater seine Talente sichtbar gemacht hat. Kaydanovskiy ist nicht nur ein perfekter Organisator von Bewegung der Körper im Raum, sondern auch ein begnadeter Geschichtenerzähler. So nebenbei gesagt, er ist auch ein großartiger Schauspieler, was er auch auf der Bühne der Staatsoper immer wieder gezeigt hat.
Jetzt kann er dieses, offenbar vom Vater, dem russischen Schauspieler Alexander Kaidanowski (1946–1995), geerbte Talent bei den Proben zeigen. Choreograf Andrey Kaydanovskiy. Foto: © Andreas JakwerthDas Vergnügen, wenn er sich mitten im Ensemble bewegt, um Haltung, Bewegung und Mimik vorzuzeigen, springt auf die Tänzer:innen über. Sie sind mit Aufmerksamkeit und Engagement dabei, wenn Aurora von den Feen als Tiere träumt. Unermüdlich zieht Yu-Teng Huang, seit 2015 führendes Mitglied von TanzLinz seine Zauberrunden um den Bühnenrand. Kaydanovskiy vergnügt: „Er muss gar nicht spielen.“
Das Märchen spielt zwar nicht in jener Zeit, die mit „Es war einmal“ beschrieben wird, sondern mitten in der heutigen Gesellschaft, doch die Geschichte bleibt dem französischen Vorbild von Charles Perrault, dem auch Libretto und Choreografie des 1890 in St. Petersburg uraufgeführten Balletts zugrunde liegt, treu. Carabosse ist nicht eingeladen, sie passt einfach nicht in diese konservative Familie in ihrer rosa Blase. Sie beschenkt Aurora dennoch, nicht mit Flüchen, sondern mit einem Paar kesser roter Sandaletten. Noch nie hat Aurora so schöne Schuhe gehabt, das Gehen darin muss sie erst üben. Eine rachsüchtige Fee ist Carabosse nicht, eher eine wissende. Sie weiß, dass Aurora die Kindheit verlassen muss.  Der König, jugendlich fesch. © Melanie Jane Frost.
Feen gibt es natürlich keine in Kaydanovskiys Geschichte, auch wenn es so im Programmheft steht. Gute Feen, die Klugheit, Reichtum oder Kraft verschenken, sind heute die zum Geburtstagsfest geladenen Tanten, die Aurora all diese Gaben wünschen. Irgendwie haben es die Dramaturgin (zugleich die Direktorin des Tanzensembles) Roma Janus und der Choreograf Kaydanovskiy geschafft, das kleine Linzer Ensemble (16 Tänzerinnen und Tänzer) in eine festliche Geburtstagsgesellschaft zu verwandeln und den Wald mit ungezählten Tieren zu bevölkern und überdies auch jede Rolle doppelt zu besetzen. Das bedeutet: Jede Tänzerin, jeder Tänzer lernt zwei Rollen. So wird Arthur Sicilia, der bei der Premiere Catalabutte, den Haushofmeister, tanzt, zu Carabosse und Yu-Teng Huang ist der Vater / König Florestan XIV; Aurora (Elisa Lodolini) wird zur Fee Schönheit, weil die Fee Reichtum (Nicole Stroh) dann als Aurora zu sehen sein wird.   Die Königin, eine flotte Motte. © Melanie Jane Frost
Verletzungen sind in jedem Ballettensemble an der Tagesordnung, eine Katastrophe, wenn das Ensemble so winzig ist. Alle Ideen, die der Choreograf hat, kann er nicht verwirklichen. „Es ist schwer, mit einem so kleinen Ensemble zu arbeiten, 20 Tänzer wären gut, 24 ideal.“ Das seit dieser Saison praktizierte Konzept von TanzLinz sieht jeweils drei Choreografen vor, die mit dem Ensemble arbeiten. Die Zusammenarbeit bedarf daher noch vor Probenbeginn großer Anstrengungen von beiden Seiten. Bevor pobiert werden kann, müssen Choreografin /Choreograf und die Tänzer:innen einander kennenlernen, ein Prozess, der bewältigt werden muss. Kaydanovskiy hat es geschafft, die Tänzer:innen haben eine neue Körpersprache gelernt und arbeiten mit Eifer in den Proben. Tschaikowskis Musik, die sie alle aus ihrer Ausbildungszeit kennen, hilft dabei.

„Dornröschen“, Premiere im Musiktheater Linz, 23.12.2022
Choreografie und Inszenierung: Andrey Kaydanovskiy
Bühne: Karoline Hogl; Kostüme: Melanie Jane Frost:
Premierenbesetzung: Elisa Lodolini, Aurora; Mischa Hall, Prinz Désiré; Yu-Teng Huang, Carabosse; Arthur Samuel Sicilia, Catalabutte, und das gesamte Ensemble.
Abbildungen: Figurinen  (Kostümentwürfe) von Melanie Jane Frost. © Melanie Jane Frost.
Probenbesuch am 7. Dezember 2022.