Ferdinand von Schirach: „Strafe“, Kurzgeschichten
Mit „Strafe“ ist die Trilogie aus der Anwaltspraxis des Strafverteidigers und Autors Ferdinand von Schirach vollständig. Mit „Verbrechen“ hat der im doppelten Sinn ausgezeichnete Autor seine lakonischen Berichte aus dem Strafgericht begonnen, mit „Schuld“ fortgesetzt. Nun ist der letzte Band, „Strafe“, erschienen. Die Reihenfolge der Titel der drei Bände ist nicht zufällig, sie entspricht der Prüfungsreihenfolge einer Anklage bei Gericht. Schirach hält es als Berichterstatter mit Hanna Ahrendt und erzählt von der Banalität des Bösen, lakonisch, minimalistisch, kommentarlos. Einem Band ist ein Zitat von Aristoteles vorgesetzt: „Die Dinge sind, wie sie sind.“
Spannend ist es, zu erfahren, aus welchen Gründen oder Anlässen scheinbar ganz gewöhnliche Menschen zu Mörder*innen werden. Überraschend und auch beängstigend ist es, zu lesen wie absurd die Rechtsordnung in ihrer Starrheit ist, aber auch wie tief und undurchdringlich die Abgründe der gewöhnlichsten Seelen sind. In der Rechtssprechung, das sagt bereits der Begriff, geht es nicht um Gerechtigkeit, sondern um Recht, und das liegt in den Gesetzen. Da kommt es dann vor, dass ein Verfahrensfehler einem Menschenhändler die Freiheit schenkt und manch ein mehrfacher Mörder wegen Steuerbetrugs lediglich ein Bußgeld zahlt. Der Autor bewertet nicht, kritisiert nicht, berichtet lediglich, dies aber oft im Detail, sodass die entsprechenden Szenen aus dem Leben oder der Tat deutlich vor Augen stehen.
Auch wenn die einzelnen Geschichten aus der Berufspraxis des Autors stammen, sind sie doch so verfremdet, dass auch Betroffene sich kaum wiedererkennen würden. Schirach erzählt in Interviews, dass er die Charaktere, die Ereignisse und den Kontext so durcheinander würfelt, dass der Ursprung nicht auffindbar ist, kein realer Fall sichtbar wird.
Nicht überrachend, dass der erste Band auch verfilmt worden ist. In den ersten sechs Folgen hat Josef Bierbichler die Rolle des Berliner Strafverteidigers Friedrich Leonhardt übernommen. Ein Glück für die Zuschauer*innen, denn bei Schirach erzählt ein anonymer Anwalt aus seinem Nähkästchen. „Einen besseren Schauspieler für diese Figur gibt es nicht“, lobte der Autor die Darstellung Bierbichlers. In der FAZ drückt es Jochen Hieber knapper aus: „Diese Figur ist eine Wucht.“ Sowieso immer, möchte ich anfügen. Bierbichler war es, der mich für die Geschichten von Schirachs gewonnen hat. Fernsehen bildet eben doch.
Theater regt zum Nachdenken an, auf jeden Fall mit Schirachs Erfolgsstück „Terror“, Doppeluraufführung 2015 in Berlin und Frankfurt. Gezeigt wird der Prozess gegen einen Piloten, der den Befehl erhalten hat, ein gekapertes Flugzeug mit 164 Passagieren vom Kurs abzudrängen. Die Maschine peilt jedoch unbeirrt eine Fußball-Arena an. 70.000 Zuschauer wollen das Länderspiel Deutschland gegen England sehen. Soll Major Lars Koch, darf er, befehlswidrig die Passagiermaschine abschießen, wenn die Terroristen nicht einlenken? 164 Flugpassagiere gegen 70.000 Fußballfans? Koch entscheidet sich gegen den Befehl, er schießt. Die Terroristen samt den Geiseln sterben. Von Wien bis Venezuela haben nahezu 450.000 „Schöffen“ abgestimmt: An die 70 Prozent sprachen Koch von jeglicher Schuld frei.
Auch in seinem Theaterstück vermeidet von Schirach Pathos und Sentimentalität, bleibt kühl und klar, weckt mit seinen schönen Sätzen dennoch Gefühle in den Leser*innen, heftigere noch, das liegt in der Natur des Theaters, in den Zuschauer*innen.
Zum Abschluss ein Zitat das jede Folge der Fernsehserie abschloss:
Der Anwalt will nicht immer wissen, was wirklich passiert ist. Ob er dem Mandanten glaubt oder nicht, spielt keine Rolle. Seine Aufgabe ist es, den Mandanten zu verteidigen. Nicht mehr und nicht weniger.
Ferdinand von Schirach:
„Verbrechen“, Piper 2009, 208 Seiten, € 17,50.
„Schuld“, Luchterhand 2017, 200S. € 18,50.
„Strafe“, Luchterhand 2018. 190 S. €: 10,30.
„Terror“, Ein Theaterstück und eine Rede, btb 216, 176 Seiten, € 10,30.