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Der Name Lampe muss nun völlig vergessen werden

Felix Heidenreich, Autor, Politikwissenschaftler und Philosoph. @ Julia Ochs

Der Lampe, Martin Lampe, muss von unsereins nicht vergessen, sondern erst ins Gedächtnis geholt werden. Zu seinen Lebzeiten allerdings war der Mann in ganz Königsberg und darüber hinaus bekannt. Noch bekannter als der Dienstbote Lampe war allerdings sein Herr und Meister, Immanuel Kant. Alles klar? Martin Lampe war vierzig Jahre des Philosophen Diener und, so will es der Autor Felix Heidenreich, sein Quälgeist. Der Diener des Philosophen ist der jüngste Roman Heidenreichs, in dem er sich mit Sachkenntnis und Humor mit dem Verhältnis zwischen Herrn und Diener, konkret mit der Beziehung Martin Lampes zu Immanuel Kant und vice versa beschäftigt.

Immanuel Kant, 1768 (Gemälde von Johann Gottlieb Becker). © gemeinfreiZur Gedächtnisstütze: Immanuel Kant, 1724 im damals im preußischen Königsberg geboren und ebenda 1804 gestorben. Wikipedia bezeichnet ihn als „deutschen Philosophen der Aufklärung sowie unter anderem Professor der Logik und Metaphysik“. Auch Heidenreich weiß, wer Kant war und wie hoch er einzuschätzen ist, dennoch betrachtet er den Abgott aller Philosophiestudenten aus einer anderen, eher privaten und menschlichen Perspektive.
Kant war also ein großer Denke und Lampe nur ein Diener, doch dieser wollte seinem Herrn Paroli bieten, auch denken und genau schauen, ob das, was Kant postulierte und niederschrieb, auch Zweifel und Gegenstimmen aushalten konnte. Erzählt Heidenreich über den Martin Lampe, der in 1734 Würzburg geboren ist, also kein Preuße und zehn Jahre jünger als Kant war. Er wusste alles über seinen Herrn, weckte er ihn doch jeden Morgen um 5 Uhr mit demselben Satz: „Es ist Zeit“, bediente und begleitete ihn nahezu den ganzen Tag über. Das alte Königsberg, Hauptstadt der preußischen Provinz Ostpreußen, Geburtstadt Immanuel Kants. @ gemeinfreiWar Kant an der Universität oder vergnügte sich beim Billardspiel, bei dem es immer auch um Geld ging, nahm Lampe den Besen und das Staubtuch. Spät abends half er dem Herrn beim Auskleiden, und hatte Kant Gäste, er war nicht der einsame Denker, sondern ein überaus geselliger Zeitgenosse, so machte Lampe den Mundschenk und Aufwärter.
Kant scheint sichauch gern mit seinem Diener Lampe unterhalten zu haben, hielt ihn zwar für einen Dummkopf, doch brachten ihn dessen Fragen zum Nachdenken. Doch der Herr ließ den Diener auch seine Launen spüren, schickte ihn statt seiner bei Regenwetter auf einen Spaziergang. Lampe nahm den Schirm und ging. Zum Bruch kam es vermutlich wegen der Trunksucht Lampes, die den ehemaligen Soldaten immer häufiger zu Tobsuchtsanfällen verführt hat. Nach vierzig Dienstjahren wurde Lampe von Kant entlassen, doch der Herr hatte sich so an den Knecht gewöhnt, dass er angeblich auch den nächsten Bediensteten Lampe gerufen hat. Kants Wohnhaus in Königsberg, gemalt von Friedrich Heinrich Bils 1842. © Public Domain.Die Notiz, „Der Name Lampe muss nun völlig vergessen werden“ fand Kants Schatten Ehregott Andreas Wasianski (1755–1831) in einem von Kants Notizbüchern. Wasianski hatte den Ehrgeiz, der erste Biograf Kants zu sein, schließlich hatte ihn Kant in seinem Testament zum „Curator funeris und executor testamenti“ ernannt und ihm auch 2000 Taler vermacht. Lampe war ursprünglich auch eine beträchtliche Rentenzahlung zugedacht gewesen, doch nach seiner Entlastung hat Kant, penibel wie er war, auch den testamentarischen Eintrag geändert, Lampe und seine Familie mussten sich statt über 400 Gulden zu freuen, mit miesen 40 Talern zufriedengeben. Wasianskis Buch, Immanuel Kant in seinen letzten Lebensjahren. Ein Beitrag zur Kenntniß seines Charakters und seines häuslichen Lebens aus dem täglichen Umgange mit ihm, ist tatsächlich unmittelbar nach Kants Tod in Königsberg veröffentlicht worden (Nicolovius,1804).Kant und seine Tischgenossen. Kolorierter Holzstich. 1892 / 93. Links stehend: Martin Lampe. Gastgeber Kant ist der zweite von links. @ gemeinfrei Nicht nur Wasianski dient Kant-Biograf:innen und Romanautor:innen als sprudelnde Quelle, auch Heinrich Heine hat sich für Martin Lampe und dessen Diskussionen mit Kant interessiert. In seinem Essay Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland widmet er Lampe einen Absatz und erzählt, dass dieser in „Angstschweiß und Tränen“ ausgebrochen sei, als ihm Kant in seiner Kritik der reinen Vernunft den Glauben an die Existenz eines Gottes geraubt hat. Woraufhin Kant sofort die Kritik der praktischen Vernunft geschrieben , wo er Lampe seinen Gott wieder zurückgegeben hat.

Da erbarmt sich Immanuel Kant und zeigt, daß er nicht bloß ein großer Philosoph, sondern auch ein guter Mensch ist, und er überlegt, und halb gutmütig und halb ironisch spricht er: «Der alte Lampe muß einen Gott haben, sonst kann der arme Mensch nicht glücklich sein – der Mensch soll aber auf der Welt glücklich sein – das sagt die praktische Vernunft – meinetwegen – so mag auch die praktische Vernunft die Existenz Gottes verbürgen.»  Infolge dieses Arguments unterscheidet Kant zwischen der theoretischen Vernunft und der praktischen Vernunft, und mit dieser, wie mit einem Zauberstäbchen, belebte er wieder den Leichnam des Deismus, den die theoretische Vernunft getötet. (Heinrich Heine: Werke und Briefe in zehn Bänden. Band 5, Berlin und Weimar 2. Aufl. 1972.)

Heidenreich braucht Heinrich Heine nicht, er lässt Lampe selbst erzählen. Doch auch Ehregott Wasianski kommt zu Wort, nicht nur, weil er der erste Biograf Kants ist, sondern auch weil er Kant von einer Eheschließung abhalten will. Üner Kant. Dritter Band. Immanuel Kant in seinen letzten Lebensjahren. Von E. A. Ch. Wasianski, Nicolovius, 1804. @ Publoc Doman Der evangelische Pfarrer in Königsberg fürchtete das Ende von Kants Arbeit, sollte er sich einer Frau widmen. Andere Herren der Tischgesellschaft drängten den Philosophen jedoch, sich eine Gattin zu suchen. Charlotte Amalie von Knobloch, Tochter eines preußischen Generalmajors und Ritter des Pour le Mérite und fast vierzig Jahre jünger als Kant, war dazu ausersehen. Heidenreich erzählt von einer einseitigen Korrespondenz: Kant schreibt, Charlotte antwortet nicht. Doch sie folgt seiner Einladung, ihn zu besuchen. Der Besuch nimmt ein fatales Ende. Heidenreich lässt Lampe erzählen, Charlotte sei in seinen Armen gestorben. Sie wurde ins elterliche Haus gebracht, die Eltern saßen weinend an der Bahre. „Da zog die Tote plötzlich mit einem lauten Atemzug die kalte Nachtluft in ihre Lungen als wäre sie von einem langen Tauchgang zurückgekehrt, öffnete die Augen und sah ihre Eltern überrascht an.“ Buchcover. Immanuel Kant: Die drei Kritiken - Kritik der reinen Vernunft. Kritik der praktischen Vernunft. Kritik der Urteilskraft. Anaconda Verlag, 2015. Wie Charlotte sind auch alle anderen Personen, die der Autor aufmarschieren lässt, historisch verbürgt. Von der jungen Adeligen jedoch weiß Wikipedia wenig, nur, dass sie 1764 einen Friedrich Wilhelm von Klingsporn geheiratet hat. Quietschlebendige 24 Jahre war sie da, also schon volljährig. Sehr lang kann der Treppensturz in der Prinzessinnenstraße nicht her sein. Haftelmacher würden jetzt anmerken, dass zur Zeit des Werbens um die junge Charlotte Kant noch gar nicht in der Prinzessinnenstraße gewohnt hat, das Haus hat er erst viel später erstanden, doch die Adresse klingt zu schön, man muss sie einbauen, und Haftelmacher:innen haben in einem Roman nichts zu suchen. Ihr Feld sind Diplomarbeiten und Dokumentationen. Kant hat die letzten 21 Jahre im Haus mit Blick auf das Königsberger Schloss verbracht. Lampe hatte sein Zimmer unter dem Dach. Seine Frau und die Tochter haben die Köchin unterstützt, wenn Kant die Honoratioren Königsbergs zu Gast hatte. Immanuel Kant: Denkmal in Kaliningrad (ehedem Königsberg). Replik des Originals von Christian Daniel Rauch, errichtet 1864 und im Zuge des 2. Weltkriegs verschwunden. Die „neue“ Statue wurde 1992 in Kaliningrad aufgestellt.  @ Valdis Pilskalns / CC-License Wie viel ist in diesem überaus unterhaltsamen Roman über den Diener des Philosophen zu erfahren! Hat die Leserin einmal verstanden, dass drei Erzähler an der Arbeit sind, nämlich der Autor Felix Heidenreich, Martin Lampe und auch Ehregott Andreas Christoph Wasianski, in den letzten Lebensjahren Kants dessen Betreuer und Verwalter des Vermögens.
Ein großes Vergnügen samt Wissenserwerb steht bevor. Und ohne Aperçu komme ich wieder einmal nicht aus: In Würzburg, der Geburtsstadt Lampes, hat sich vor einigen Jahren der Autor und Literaturkritiker Jochen Hieber gemeldet und in der FAZ eine Lanze für ein Lampe-Denkmal gebrochen: Es gäbe die Chance, meint er, „Würzburg endlich mit dem Lichte der Aufklärung zu erhellen.“ Die Idee ist aber vom Literaturwissenschaftler Hans Ulrich Gumbrecht, einem gebürtigen Würzburger, anlässlich seiner Ehrung mit dem Kulturpreis der Stadt aufs Tapet gebracht worden: „Schafft ein Denkmal für Martin Lampe“, wird er von Hieber zitiert. Die Worte und Wünsche sind vom Wind verweht worden. „Der Diener des Philosophen“, Buchcover. @ Wallstein VerlagMartin Lampe ist auch auf der Internetseite Würzburgs nicht bekannt. Es sind dort Schilderungen des „vielfältigen Nachtlebens“ und die Aufzählung der „Söhne und Töchter“ zu finden, wobei auf die Töchter vergessen worden ist. Auf einer Sonderseite sind sämtliche Würzburger Persönlichkeiten aufgezählt. In der chronologischen Ordnung finden wir zwischen dem Baumeister Michael Neumann (Sohn eines berühmten Vaters, der, Balthasar Neumann, hat die barocke Würzburger Residenz gebaut, ist aber kein Sohn der Stadt, jedoch in Würzburg gestorben) und dem Benediktinermönch Placidus Sprenger Martin Lampe. Immerhin! Doch jetzt hat Martin Lampe mit dem Roman von Felix Heidenreich  ein schriftliches Denkmal. Jede kann es sich zu Hause in die Vitrine stellen und mit Lampe, Wasianski und Kant höchstem Lesevergnügen frönen. Der lebendige Stil des Autors eignet sich so recht zum Vorlesen, mit verteilten Rollen stelle, ich mir vor.

Felix Heidenreich: Der Diener des Philosophen. 149 Seiten, Wallstein, 2023. € 22,70. E-Book: € 17,99.