Niklas Natt och Dag: „1794“, historischer Roman
Der zweite Band der schwedischen Trilogie von Niklas Natt och Dag spielt ein Jahr nach den Geschehnissen im ersten, 1794. Das erklärt sich bereits aus dem Titel: „1794“. Manche Bekannte tauchen wieder auf, neue müssen kennen gelernt werden und historische Personen sind kunstvoll mit den fiktiven Figuren, den sympathischen wie den abscheulichen, verwoben.
Im Danviken Krankenhaus am Rand von Stockholm vegetiert Erik Drei Rosen dahin, den die Leserinnen im ersten Band als ungeliebten und gequälten Sohn des Schlossherrn kennengelernt haben. Er erzählt seine abenteuerliche Geschichte. Die führt ihn und damit auch die Leserinnen auf die westindische Insel St. Barthélemy, die fast 100 Jahre lang eine schwedische Kolonie war. Auf ihr blühte der Sklavenhandel. Erik wird auf die Insel verbannt, um seine große Liebe zu vergessen. Scheinbar freundlich wird er von Tycho Ceton aufgenommen, der einsam auf einem Hügel haust und angeblich alle seine Sklaven freilässt. Erik ist ein naiver Bursche, gutgläubig und warmherzig, und sieht nicht, wie die Welt wirklich ist und merkt auch nicht, was dieser Tycho im Sinn hat. Am Ende ist seine Braut tot, sein Vermögen in fremden Händen und er im Irrenhaus.
Im zweiten Teil des Romans führen uns die Protagonisten des ersten Bandes durch das stinkende, verlotterte Stockholm: der tapfere Michel Cardell und die ebenso mutige Anna Stina. Eine weitere Hauptperson, der an das Gute im Menschen glaubende Anwalt Cecil Winge, ist an der Schwindsucht gestorben, seinen Platz nimmt der jüngere Bruder ein, der weder so mutig noch so anständig ist wie Cecil. Doch er schließt sich Cardell an, um mit ihm gegen das Böse zu kämpfen und Erik aus seiner misslichen Lage zu befreien.
Autor Nat och Dag hat eine eigen Sprache entwickelt, nicht altertümelnd, aber ohne aktuelle Begriffe und Wendungen, sodass es leicht fällt, ins 18. Jahrhundert einzutauchen. Der Adel beutet das Land aus, der bigotte König ist gegen die Aufklärung, und während die Reichen immer reicher werden, sterben die Armen in der Gosse. Ohne dass der Autor mit dem Zeigefinger winkt, ist der Sprung ins 21. Jahrhundert nicht allzu groß.
Natt och Dag erspart den Leserinnen auch in diesem zweiten Teil seiner als Trilogie angekündigten Geschichte Schwedens im 18. Jahrhundert keine Grausamkeit, keine Foltermethode und keine Bösartigkeit, zu der Menschen fähig sind. Zarte Gemüter werden mit alle dem Blut, dem Gestank und den Grausamkeiten wenig Freude haben, doch die Welt ist wie sie ist und von Wohlfühlromanen lernt niemand etwas und das Gehirn wird faulig wie die Abfälle und Leichen in Stockholms Gassen.
Wer aber Freude an einer atmosphärisch dichten und lebendigen Schilderung von Land und Leuten in Schweden vor gut 225 Jahren und an einer kunstvollen Konstruktion des Plots hat, wird auch „1794“ nicht aus der Hand legen können, bis das große Feuer lodert. Der einarmige Michael Cardell wird den Leserinnen auch im dritten Band begegnen, da bin ich sicher, und auch, dass ich mir einen vierten wünschen werde.
Natt och Dag recherchiert so genau und formuliert bedachtsam, was er erzählt, deshalb dauert es noch mehr als ein Jahr, bis der Abschlussband erscheinen wird.
Niklas Natt och Dag: „1794“, aus dem Schwedischen von Leena Flegler, Piper 2020. 560 S. € 17,50. Auch als E-Book erhältlich.