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Mick Herron: „Dead Lions“, Spionage-Thriller

Autor Mick Herron im Viertel, wo auch Slough House steht. © Tim Barrow

DpΩie lahmen Gäule reiten wieder aus. Nach seinem preisgekrönten Spionage-Thriller „Slow Horses“ berichtet Mick Herron im zweiten Band der Trilogie um die abgehalfterten Mitarbeiter*innen des britischen Geheimdienstes im Slough House, „Dead Lions“, von der Jagd nach Spionen in Wartestellen, sogenannten „Schläfern“. Im Mittelpunkt steht auch diesmal der Chef im Pferdestall, der undurchsichtige Jackson Lamb, der auch jede noch so winzig glimmende Lunte riecht.

Ein ausgemusterter Kleinspion, die Stadtratte Dickie Bow, erleidet im Bus einen Herzinfarkt. Keine Angehörigen, keine Trauernden. Zu den Akten bitte. Thames House am Nordufer der Themse, der wahre Sitz des britischen Geheimdienstes. © Security_Service_-_MI5_Thames_House_Image_GalleryDoch wenn einer der ehemaligen Mitarbeiter des MI 15, und sei er noch so unwichtig, tot ist, springt Lamb auf und galoppiert los. Bald weiß er, dass er Recht hat: Kein Herzinfarkt, Mord. Auf den Videos ist der Täter bald ausgemacht. Im Slough House weiß man schnell, dass dieser Glatzkopf, der mit Dickie im Bus gesessen ist, der geheimnisvolle Popov, ein russischer Agent, den niemand je gesehen hat, ist. Auf geht’s!

Zugleich beauftragt Lambs Erzfeind, der ehrgeizige Aufsteiger James Webb, Min Harper und Louisa Guy, ohne Lamb zu fragen, mit einer Sonderaufgabe. Sie sollen den russischen Oligarchen Arkady Pashkin begleiten, der London besucht. Webb hat einen Termin mit ihm im 27. Stock des neuen Wolkenkratzers, „The Needle / die Nadel“ genannt. Er will den Millionär umdrehen und damit seiner Karriere einen gewaltigen Stoß nach oben geben. Regent's Park, Jubiläumstor:  Hier siedelt der Autor den Hauptsitz von MI 15 an  © Alesgaspar /  wikipedie

Nach dem Prolog aber, in dem die Reise des später tot gefundenen Dickie geschildert wird, der den Glatzkopf in der Menge sofort als Kollegen von der anderen Seite erkannt hat, und die Leserinnen noch lange nicht wissen, welche Folgen diese Erkenntnis haben wird, schleicht eine Katze durch Slough House, von Stockwerk zu Stockwerk, von Zimmer zu Zimmer und nimmt die Leserinnen mit, damit sie die Bewohner*innen kennen lernt. Wer schon durch die Lektüre des ersten Bandes in der Bruchbude im Norden Londons war, kennt die meisten schon, abgesehen von den zwei Neuen. Doch Neuigkeiten gibt es immer zu erfahren und lernen den nahezu autistischen Computerfreak Roderick Ho, den von Webb einst hereingelegten Agenten River Cartwright, der auch bei Auffinden der Dead Lions eine wichtige Rolle spielen wird und gehörig in Troubles gerät, und Catherin Standish, die an ihrer Alkoholkrankheit gescheitert ist, noch besser kennen.  The Shard, die "Scharte", wohl das Vobild für the Needle, wo Webb den russischen Oligarchen einfangen will.  © Colin Wikimedia CommonsjpgUnd auch lieben, selbst Jackson Lamb, Kettenraucher, Allesfresser, dem Wäschewechsel und dem Wasser samt Seife abholden Rüppel, mag ich mit der Zeit, denn ich kenne ihn. Wenn auch nicht so gut, wie die anderen, denn er hält sich bedeckt, versteckt sich hinter seinen Grobheiten und der schlechten Behandlung der Mitarbeiter. Aber wehe, einer von ihnen kommt ihm abhanden, wie etwa Min, was Louisa das Herz zerreißt, denn die beiden waren ein innig liebend Paar, was sie sehr menschlich inmitten dieser Ansammlung an sonderbaren Figuren im Stall gemacht hat, dann, wenn einer aus der Gemeinschaft herausbricht, sieht Lamb rot. Niemals glaubt er an Zufälle, so ist auch Mins Fahrradunfall für ihn keiner und er fördert die Wahrheit ans Licht, wenn auch nicht sofort.

Sofort geht nämlich gar nichts bei Mick Herron, als Meister der Gleichzeitigkeit wechselt er den Fokus auf Schauplätze und Personen oft mitten im Gespräch, sodass wir bei Aufmerksamkeit immer genau wissen, wo sich jedes der, wenn einmal auf Trab gebracht, gar nicht mehr lahmen Pferde befindet. Dabei gestattet der Autor keinerlei Verwirrung, kein Absatz muss noch einmal gelesen werden, um den Anschluss zu finden. Wie Guiting Power in den Cotswolds, könnte auch Ushott ausehen. Dort wird der Gaul River C. Fast lahm gelegt. © wikipediaNur wo und warum Cal Fenton, der 19jährige Nachtwächter, sein Leben lassen muss, ist mir nicht klar geworden. Ich kann’s mir zwar denken, wer das war, die ihm das Licht im Labyrinth eines digitalen Archivs abgedreht haben, doch nach seinem letzten Gedanken ist Cal vergessen. 

Mick Herron, geboren 1963, ist ein hervorragender Beobachter und erzählt gelassen, bilderreich und klar und erzeugt mit Humor und Präzision dennoch stets steigende Spannung. So wortkarg wie Jackson Lamb sind auch die anderen Mitarbeiter, die Dialoge sind kurz und treffend, "Dead Lions", Buchcover der deutschen Ausgabe. © Diogenes Verlagich sehe die Messer fliegen. Sein Blick auf London ist nicht der eines Touristen, Herron zeigt die Stadt von der Hinterseite, und auch, wenn viele Orte in und auch außerhalb Londons, etwa das verschlafene Städtchen in den Cotswolds, Upshott, in das River Cartwright beordert wird, erdacht sind, schildert Herron sie so lebendig und genau, dass ich immer wieder (vergeblich) in Wikipedia nach ihnen suche. Poesie mischt sich mit Sarkasmus, Witz mit Sachkenntnis, Vergnügen mit Spannung. All das erkenne ich auch in der perfekten Übersetzung von Stefanie Schäfer. Am Ende beißt die Maus den Faden ab. Lesen! Dann ist auch diese Bemerkung verständlich.

Mick Herron: „Dead Lions“, Ein Fall für Jackson Lamb, aus dem Englischen von Stefanie Schäfer, Diogenes, 2019. 478 S. € 24,70. Auch erhältlich als ebook.