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Friedrich Ani: „All die unbewohnten Zimmer“

Friedrich Ani, Autor mit vielen Talenten – Redner bei einer Demo 2018. © wiki

Einen Kriminalroman kann man Friedrich Anis neuen Roman nicht nennen, auch wenn gleich drei Kommissare und eine Kommissarin auf der Suche nach einem Täter sind. Ani-Fans kennen sie alle, Tabor Süden, Jakob Franck, Polonius Fischer und Fariza Nazri, die einzige, die sich selbst zu Wort meldet und einen Teil der Geschichte erzählt. Doch die Jagd nach Tätern steht nicht im Mittelpunkt des Romans, „All die unbewohnten Zimmer“ fesselt vor allem durch einen tiefen Blick in alte Augen und kaputte Seelen.

Nichts Neues bei Friedrich Ani, den das, was den Menschen zusammenhält (oder auseinanderfällen lässt), mehr interessiert als das äußere Drumherum. Alexander Held ist Hauptkommissar Ludwig Schaller im Drehbuch von F. Ani für "München Mord", skurril und für verrückt erklärt, eindeutig ein Verwandter von Tabor Süden und Jakob Franck. © ZDFSie sind alle angeschlagen, diese alternden Männer, ausgesondert, angeekelt vom Beruf, von der Welt, von sich selbst, unbehaust und ausgesondert, nicht mehr wirklich brauchbar. Anis Kommissare sind keine feschen Burschen, die ihre Aufgaben mit Elan angehen, sondern bedächtig, vielleicht auf dem Boden liegend und sich in Opfer und Täter träumend, oder indem sie mit den Toten Tee trinken und Kekse essen. Die Guten sind nicht immer gut und die Bösen auch manchmal gut, ich kann sie oft verstehen. Anis literarische Welt ist nicht zerteilt in Schwarz und Weiß, sie ist ein einziges Grau, schlammgrau, gehüllt in feuchten Nebel, eisig kalt. Der Roman spielt in München und dort ist es auch nicht farbenfroh und lustig.

Was passiert nun auf den 500 Seiten, die der Autor benötigt, um den vier lahmen Gäulen bei der Arbeit zuzusehen, von ihren Träumen und ihrer Vergangenheit zu berichten und auch Rassismus, Sexismus und Machismo nachzudenken? Die Fakten: Eine rechte Gruppierung marschiert auf, Auch für den HamburgerTatort mit Wotan Wilke Möhring (Kommissar Thorsten Falke) und Petra Schmidt Schaller (Kommissarin Katharina Lorenz) hat Ani Drehbüher geschrieben. © NDRund ein junger Streifenpolizist soll die Demo beobachten. Doch er sieht zwei kleine Buben einen Apfel mausen und hetzt hinter den hungrigen und desorientierten Kindern, die mit dem Vater dem Krieg in Syrien entkommen sind, her. Sein Kollege bleibt bewegungslos im Auto sitzen. Der junge Mann wird mit einem Ziegelstein erschlagen. Polizistenmord! Da schreit die gesamte Truppe nach Rache. Doch kein Täter ist auszumachen. Sackgasse. Der Postenkommandant wird abgezogen, Polonius Fischer, der einmal Mönch war, wird gerufen und er holt sich skurrile Unterstützung: den pensionierten Jakob Franck, Spezialist für den innigen Umgang mit den Toten und den Hinterbliebenen; Tabor Süden, der zum Privatdetektiv umgesattelt hat, Ulrich Noethen ist Tabor Suden im Film. © ZDFimmer noch nach verschwundenen Personen gesucht hat, aber auch das schon aufgegeben hat, und schließlich die syrisch stämmige Polizistin Fariza Nazri, deren Tollkühnheit den Männern Konkurrenz gemacht hat, sodass sie in die Provinz verbannt worden ist, jetzt sitzt sie wieder in der Großstadt am Schreibtisch und versucht den Boden unter den Füßen zu finden.

Wenn man die Vier nicht aus früheren Romanen des Autors kennt, ist das kein Manko, denn Ani gibt reichlich Gelegenheit, diese armen, traumatisierten Seelen kennenzulernen. Er mäandert von der Gegenwart in die Vergangenheit, serviert Gedankensplitter und Details aus der Vita der Protagonisten, Nazri erzählt selbst, und streut ganz unterschiedliche Steinchen und Krümel, bis sich im Finale jedes einzelne zu einem Bild gefügt hat.

Die Suche nach dem Täter überfordert auch das Quartett, und dann meldet sich einer, der behauptet, den Polizisten totgeschlagen zu haben. Die Medien melden: „Moslem Kinder untergetaucht“. Was die Polizistin Fariza Nazri tun muss, um begangenes Unrecht durch neues Unrecht zu löschen, wird nicht gemeldet und auch nicht geahndet. Zumindest nicht in diesem Roman von den vielen leeren Zimmern, die im ausgehöhlten Inneren der Menschen unbewohnbar geworden sind. München, Schauplatz im Nebel: …jeder ist allein. © dpa

Ani springt in der Erzählung vor und zurück, vermischt die Fälle und die Zeiten, rührt zu Tränen, wenn er von den zwei mutterlosen Kindern aus Aleppo und dem einsamen Vater erzählt, und dann muss ich eine Pause machen, weil alles so kalt und traurig, so finster und hoffnungslos ist. Dauernd fürchte ich, dass die Kinder sterben müssen, denn Ani, dem Fürsten der Finsternis, ist alles zuzutrauen. Schließlich nimmt er uns im Lauf seiner in alle Dimensionen strebenden Erzählung einige lieb gewordene Personen, die wir schon lange kennen. Lieber nicht über die Wiederbegegnung freuen! Aber dem Sog der Melancholie, der Verführung des Grau kann ich mich dann doch nicht entziehen. Durchatmen, weiterlesen.

Friedrich Ani: Cover seines jüngsten Romans. © Suhrkamp / insel Gegen Ende  kommt Trost von Fariza. Ob es Absicht oder Zufall ist, dass ausgerechnet sie, das weibliche Element im Ermittlerquartett, den Mut (Unmut, Hochmut, Wagemut, Übermut) hat, etwas zu unternehmen, ihre Wunde zu schließen, auch wenn sie sich dadurch eine neue zufügt, ist unerheblich. Denn Mohamed und Hasim, die beiden Buben aus Aleppo, springen in einen weißen BMW mit Glasdach, und wenn sie nicht nach Hause kommen, dann sicher in eine bessere Welt. Am Ende ist es Tabor Süden, der den entscheidenden Hinweis auf die wahren Täter gibt. Krimifans, die auf stahlharte Helden und blutige Schädel Wert legen, müssen enttäuscht werden.

Fridrich Ani: „All die unbewohnten Zimmer“, Roman, Suhrkamp 2019. 494 Seiten. € 22,70.