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Ian Kaler: Begegnungen zwischen Raum und Zeit

Ian Kaler erinnert sich an Räume, Beziehungen, Berührungen.

Ian Kaler findet sich im Tanzquartier in Unlikely Places wieder – eine Uraufführung. Raum, Objekte, Sound, Stimmen, Bilder und Körper, alle schon einmal dagewesen oder zumindest so erinnert, begegnen einander hier als gleichberechtigte Partner:innen. Und lassen einen tief berührenden Handlungsbogen an der Schnittstelle von choreografischem Erinnern und ephemerer Berührung entstehen.

„Unlikely Places“. Kaler konzentriert sich auf den ihn umgebenden Raum.Ian Kaler zählt seit seiner Soloarbeit Save A Horse, Ride A Cowboy von 2010 zu den wichtigsten Vertreter:innen der österreichischen Tanz- und Performance-Szene. In seinen Stücken konzentriert er sich wie kaum ein anderer auf die sichtbare, oft auch nur in der Betrachtung ausgeführter Berührungen spürbare Beziehung des Tänzer/Performer-Körpers mit dem ihn umgebenden Raum und dessen Eigenheiten. Dessen sichtbaren, haptischen wie auch nicht (be)greifbaren Eigenschaften, denen er meist durch minimalste Bewegungen choreografisch begegnet: Reiben, Strecken, Abgreifen von Flächen oder auch einfach nur Sitzen und die so besessene Fläche berühren – so auch das Einstiegsbild des aktuellen Stücks Unlikely Places. In „Unlikely Place“ läßt Ian Kaler auf der Bühne einen tief berührenden Handlungsbogen entstehen.
Das braucht Zeit und Geduld, um in der Beobachtung des Tänzers auch in dessen Annäherungsarbeit einzutauchen. In Unlikely Places, das Kaler mit Part 1 eines choreografischen Stücks in mehreren Teilen untertitelt, geht dieses Konzept voll auf, wenn Kaler die Zusehenden vom ersten Moment an mit auf eine auf vielfältig Weise berührende Reise nimmt. Er verbindet darin seine über eine Dekade anhaltende choreografisch-autofiktionale Recherchearbeit mit Text – gesprochen und projiziert –, Licht und Sound. Impulsgebern gleich, begleiten sie Kalers Alter Ego The Ryder durch dessen Traum- beziehungsweise. Erinnerungsarbeit.
Der gleichberechtigte Einsatz aller Elemente, die sich in dem auf das Wesentliche reduzierten und aus Versatzstücken älterer Arbeiten des Choreografen konstruierten Bühnenraum von Kalers künstlerischer Langzeitpartnerin Stephanie Rauch einfinden, rückt Fragen über Impuls und Reaktion, erzählte, erinnerte und sichtbare Geschichte in den Fokus.Ein Mann träumt im Bühnenraum von Stephanie Rauch.
Ein Mann träumt. Er sitzt auf einer kniehohen Mauer, vielleicht auch an den Rändern seiner Existenz, und erinnert sich. Ob im Nacht- oder Tagtraum, scheint egal. Nacht ist es allemal in dieser Landschaft zwischen urbanen Rändern und ländlichem Niemandsland entlang der Autobahn. Der Mann, über den ein:e in verschiedenen Stimmen aufgesplittete Erzähler:in berichtet, dessen:deren Text hör- und an der Rückwand auf schmalem Streifen auch sichtbar ist, tut das, was erzählt wird. Und tut es doch nicht. Erinnert sich an Dunkelheit, einen Kiesweg, eine Busstation, die Planken entlang der Straße. Daran, ein Messer aus der einen Hosentasche und einen Apfel aus der anderen geholt zu haben und den Apfel danach geschält und langsam gegessen zu haben. Kaler tut, was erzählt wird, und bricht doch, entscheidenden Irritationen gleich, den Plot, schneidet eben jenen Apfel nicht, sondern beißt Stück um Stück von ihm ab, ehe er ihn im Dunkel des Straßenrands auf die im Nirgendwo verschwindenden Blanken legt. Ian Kaler begegnet in „Unlikely Places“ der Wand der Erinnerungen.
Filmdramaturgisch angelegt sind die Anweisungen und Ortsbeschreibungen dieses choreografischen Films, Ext.[erior], außen, Int.[erior], innen. Traumhaft sind die Erinnerungen und erlauben so auch Sprünge durch Raum und Zeit, bleiben da und dort haften, kommen zur Ruhe, wenn auch an so ungewöhnlichen Orten wie einer Autobahn oder dem Lattenzaun einer fühlbar abgelegenen Arena. Kalers Alter Ego, der Reiter, hört Stimmen, erinnert sich an Menschen, Begegnungen, Freundschaften, beginnt sich, während sich die Stimmen von ihm zu verabschieden scheinen, ihn nicht mehr in ihr Gespräch einbeziehen, an der Holzwand des in einer Art Kippbewegung verharrenden Zauns abzuarbeiten, robbt sich an der scharfen Oberkante weiter, eher er langsam dessen Wand entlang nach unten gleitet. In Nacht- und auch Tagträumen erinnert sich ein Mann (Ian Kaler9) an Landschaften, Räume und Plätze.
Ein zweites Mal wird er der Wand, und der Erinnerung an die Arena, begegnen. Dieses Mal wird er sie sogar betreten und aus ihrem Inneren durch das Loch, das die herabfallenden Balken des alternden Zauns freigegeben haben, wieder auftauchen. Ehe sich Kaler wieder an seine Ausgangsposition, die Warte- und Memento-Wand seines einsamen Ryders, begibt und in der Anfangshaltung zur finalen Ruhe findet, kehrt er noch ein in eine Wohnstatt, Fenster hinter ewig heruntergelassener Jalousie, Alltagsdinge, Routinen.
Unlikely Places führt als Bühnen- ebenso wie als choreografische Landschaft Körper unterschiedlicher Qualitäten zusammen. Ian Kaler, „The Ryder“. Illustration zu seiner Performance „Sentient Beings: The Growing Edge“, ImPulsTanz 2024. Foto: © Ethan FolkHier der an der Busstation, hinter der im Video eine geträumte oder erlebte Fahrt projiziert wird, wartende Mann, dort der Cowboy, selbstverliebt in seinem maskulinen Gestenrepertoire des well-trained white male verharrend, da der stille Gast der alltäglichen Abläufe in den eigenen vier Wänden, Fensterläden zu, no entry für andere(s). Das erlaubt Begegnungen, die surreal scheinen und doch in der ihnen eigenen Logik einer physischen Praxis von togetherness wirkmächtig werden, wie sie der Choreograf bereits 2022 in Ecto Fictions mit Parasol-Tänzer:innen des TQW untersucht hat. Mit Unlikely Places gelingt Ian Kaler eine hoch verdichtet und wundersam berührende Studie über Relikte von Gemeinsamkeit und das Ephemere unserer Beziehungen in dieser Welt.

Ian Kaler: Unlikely Places. A Choreographic Play (Part 1), Uraufführung, Tanzquartier, 28.2. + 1.3.2025.
künstlerische Leitung, Choreografie, Text, Performance, Voice-over: Ian Kaler; Videoperformance: Luca Bonamore, Adela Maharani
Stimmen Traumsequenz: Chiara Aprea, Su Huber, Adela Maharani, Mira Mann, Eve Schmechtig, Izabela Iza Soldaty, Enis Turan;
Raum: Stephanie Rauch; Musik, Soundtrack: rRoxymore; Videodesign, Mitarbeit Text & Dramaturgie: Dafne Narvaez Berlfein; Licht: Catalina Fernandez; Sound: Sebastian Bauer; Voice-over-Aufnahmen: Andreas Hamza; Technische Leitung Marco Tölzer; Textcoaching :Jane Palmer; Vocal Coaching: Aled Pedrick; Produktionsleitung: das Schaufenster
Fotos: © Eva Würdinger