Ian McEwan: „Maschinen wie ich“, Roman
Der große britische Autor Ian McEwan erobert mit dem Roman „Maschinen wie ich“ ein neues Genre: Science-Fiction, die erdachte Zukunft. Diese spielt bei ihm allerdings im Jahr 1982, damit er allerlei historische Exkurse einfügen kann. Zugleich erzählt er eine Liebesgeschichte, verpackt diese in einen Krimi und lässt sie zur Dreiecksgeschichte werden. Der Dritte in dem Spiel ist jedoch kein Mensch, sondern ein Android oder Replikant, also eine Maschine, die wie ein Mensch aussieht und sich auch menschenähnlich verhält.
Der Lebenskünstler Charly ist in seine Nachbarin Miranda verliebt, doch hat er nicht viel zu bieten. Seinen Lebensunterhalt verdient er mit Börsengeschäften am Computer. Die gelingen nicht immer, große Sprünge kann er damit nicht machen. Als die ersten künstlichen Menschen auf den Markt kommen, hat er gerade das Haus seiner Mutter verkauft und genügend Geld, um sich am Run auf Adam oder Eva zu beteiligen. Natürlich wollte er lieber eine Eva haben, doch die Eves waren bereits alle vergeben, also begnügt er sich mit einem Adam. Dessen Persönlichkeit muss erst eingerichtet werden, und so lädt er Miranda ein, sich an der Programmierung des Charakters von Adam zu beteiligen. Beide programmieren Adam und ahnen nicht, dass der nun keinen Spielraum mehr hat, sich weiter zu entwickeln. Er kann Fakten dazulernen, aber nicht mehr aus seiner Haut heraus. Das wird für alle drei zum Desaster.
Gleich zu Beginn seines Daseins bei Charly verrät Adam ihm, dass Miranda ein Geheimnis mit sich herumträgt. Sie stand als Angeklagte vor Gericht, warum, so Adam, muss sie Charly selbst erzählen. Außerdem verliebt sich Adam in Miranda und verbringt auch eine Nacht mit ihr. Seine Erektion gelingt durch einen Wassertank in einer Hinterbacke. Charlys Eifersucht ist nicht das einzige Problem im neuen Haushalt, in dem Miranda endlich seine Geliebte geworden ist. Adam ist als ehrlich, anständig, gesetzestreu und moralisch einwandfrei programmiert. Auswege, Umwege und Hintertüren gibt es für ihn nicht. So strikt er seinem Überich gehorcht, ist Adam wenig menschenähnlich. Der völlige Mangel an, pathetisch gesagt, Doppelmoral unterscheidet den humanoiden Roboter von menschlichen Wesen. Er irrt nicht und macht keine Fehler. Adam erlaubt nicht die winzigste Lüge, kennt keine Ausreden, weiß weder, was Ironie noch Satire ist. Als Mensch könnte er nicht überleben. Als Roboter offenbar auch nicht. Als Motto hat McEwan eine Gedichtzeile von Rudyard Kipling gewählt:
Bitte vergiss nicht das Gesetz unter dem wir leben: Wir sind nicht geschaffen, eine Lüge zu verstehen … (Das Geheimnis der Maschinen, 1911)
Börsentransaktionen, die Adam natürlich mit allergrößtem Erfolg in Sekundenschnelle erledigt, lehnt er als unmoralisch ab, für ein Verbrechen, auch wenn es nicht ruchbar wird, muss man bestraft werden, selbst wenn der Sünder / die Sünderin sich selbst anklagen muss. „Ach, Adam, da ist die Tugend wirklich mit dir durchgegangen“, seufzt Miranda als Adam erklärt, weshalb er alle Pläne des vor der Hochzeit stehenden Paares zerstört hat. Das Recht geht dem Maschinenmenschen Adam über alles, so wünscht er sich die Welt. Seine Brüder und Schwestern scheitern alle an der Dirkepanz zwischen ihrer Vorstellung und der Welt, wie sie ist, voller Lüge, Gewalt und Ungerechtigkeit, ohne Mitgefühl und Liebe.
Der in einer Katastrophe endende Ablauf wird nicht von Adam erzählt, sondern von Charly. Die Selbstreflexion geht dem Replikanten wohl ebenfalls ab. Doch entlässt der Autor die Leserinnen nicht gänzlich ungetröstet aus Trauer und Düsternis.
McEwan belastet die komplexe, wendungsreiche Geschichte , über die sich trefflich nachdenken lässt, mit Exkursen über den Falklandkrieg, lässt Alan Turing (1912-1954), den berühmten englischen Mathematiker und Informatiker, der während des Zweiten Weltkrieges maßgeblich an der Entzifferung von "Enigma", dem Code der deutschen Funksprüche, beteilig war, über seinen Tod hinaus am Leben und endlose Tiraden über die Entwicklung der KI halten. Auch Miranda und Adam gefallen sich im Dozieren, sie sehr lebhaft, Adam, trotz seiner angenehmen Stimme, wie ein Computer eben,ziemlich trocken. Diese eingeschobenen Essays können, so genügend KI-Wissen vorhanden ist und der britischen Geschichte (Thatcher gegen Bennet) nicht das Hauptinteresse gilt, getrost übersprungen werden. Wenn ich auch zugeben muss, dass dieses fiktive Jahr 1982, so wie McEwan davon berichtet, durchaus das reale Jahr 2019 sein könnte. Statt Falklandkrieg, darf Brexitdebakel eingesetzt werden.
Wirklich zu diskutieren ist die Frage, was den Menschen zum Menschen macht, was Anstand und Moral in der westlichen Kultur und auch weit entfernt davon bedeuten, oder ob es tatsächlich je gelingen wird, aus einer programmierten Maschine den Supermenschen zu machen, der die jetzt herrschende Spezies unterdrückt und ausrottet.
So gesehen ist McEwans jüngster Roman zwar unterhaltsam, weil er (noch?) ein Märchen erzählt, aber gleichzeitig überaus beunruhigend und ein wenig beängstigend. Wie in vielen seiner Romane wird das Bedrohliche nicht ausgesprochen, doch es ist da, um die Leserin mit ausgestreckten Armen zu umschlingen. Gut die Hälfte der Romane McEwans ist verfilmt, dieser könnte der nächste sein.
Ian McEwan: „Maschinen wie ich“, aus dem Englischen von Bernhard Robben, Diogenes 2019. 416S. € 24,70.
[Originaltitel: „Machines like me (and people like you)“, Jonathan Cape, 2019. Taschenbuch, Randomhouse, €13,99]