Thomas Fürhapter: „Die dritte Option“, Filmessay
Was tun, wenn man erfährt, dass man ein behindertes Kind erwartet? Ausgehend von dieser Frage entwickelt Thomas Fürhapter seinen filmischen Essay: “Die dritte Option”. Er setzt Einzelschicksale im Zeitalter von Pränataldiagnostik und Biopolitik in einen gesellschaftspolitischen Zusammenhang. Hochaktuell, aber keine leichte Kost, auch wenn man nicht betroffen ist.
Durch die Pränataldiagnostik, der Möglichkeit, die Behinderung eines Kindes schon durch Untersuchung des Fötus im Mutterleib vorauszusagen, haben Frauen, es sind ja meist die werdenden Mütter die entscheiden, neben Lindern und Helfen oder das Kind abzuschieben noch eine dritte Möglichkeit: den Fötus zu töten und danach eine Geburt einzuleiten.
Der Dokumentarfilmer Thomas Fürhapter stellt das Thema in einen gesellschaftlichen Zusammenhang und untersucht, auf welchen Grundlagen die Entscheidungen überhaupt getroffen werden. Die Tonspur besteht aus Interviews mit Frauen, Paaren, Ärzten und Ärztinnen, Psychologinnen und Kulturwissenschaftler/innen, die Fürhapter transkribiert und von SchauspielerInnen / Schauspielern sprechen lassen hat. Er wollte das Thema aus dem persönlichen Erleben herauslösen, die moralische Keule ausgespart lassen, auch die Emotionen der Zuschauer/innen möglichst niedrig halten.
Die Tonebene ist von der Bildebene getrennt, die gezeigten Bilder werden nicht erklärt, oft durch den Text sogar konterkariert. Diese Bild – Text – Schere nimmt dem komplexen Thema die Emotionalität und befördert die Auseinandersetzung der Zuschauer/innen damit. Mitunter sind die Kontraste zu scharf, das erhöht zwar die Spannung, lässt aber die Grenze zur Manipulation verschwimmen.
Dennoch, Fürhapter hat keine Meinung zum erlaubten Schwangerschaftsabbruch (der Tötung des Fötus), predigt nicht, nimmt niemanden die Entscheidung ab, sondern stellt Fragen. Etwa: Wer bestimmt die Normen für einen gesunden, schönen Körper? Wieviel Einfluss hat die Biopolitik (die Macht des Staates, der Wirtschaft und Industrie über den Körper)? Wieviel Zwang zur Normierung und Optimierung hat sich die Gesellschaft selbst auferlegt?
„Die Macht der Norm ist in diesem Kontext sehr hinterhältig. Sie tritt nicht als Befehl auf, sondern als freie Willensäußerung. Das macht sie so effizient.“ (Fürhapter im Interview mit Karin Schiefer für die Austrian Film Commission). Ohne die Vorstellung vom „normalen Körper“, kann es Behinderung gar nicht geben. Inklusion und Integration hält der Autor und Regisseur für „positive Bemühungen“, doch „sie stellen die Kategorie Behinderung nicht in Frage.“
Wie tabuisiert das Thema des erlaubten Abbruchs nach dem dritten Schwangerschaftsmonat ist, zeigt die Bemerkung eines Vaters, der nach dem Abbruch und der Ausgeburt des toten Fötus Geburts- und Sterbeurkunde in der Hand hielt. Verwundert stellte er fest, dass das Sterbedatum nach dem Geburtsdatum lag, obwohl doch der Fötus vor der Geburt tot war. Rechtsstreitigkeiten könnten dadurch vorprogrammiert sein.
Im genannten Interview sinniert Fürhapter über den Titel: „Die dritte Option“ kann aber auch anders gelesen werden, als Alternative zu einer binären Logik von normal/behindert oder gesund/krank usw. Vielleicht gibt es ja noch etwas, das jenseits davon liegt, etwas Drittes, das weder das Erste noch das Zweite ist, und das vielleicht noch gar nicht so klar ist: in der Dekonstruktion von solch binären Kategorien liegt für mich auch die Utopie dieses Films.“
Wie auch immer, Fürhapters Film ist es wert, angesehen zu werden, möglichst nicht allein, um danach über die Antworten auf die angebotenen Fragen zu diskutieren. Wenn es um die dauernde Optimierung des Körpers geht, um Ausgrenzung aller derer, die da nicht mitmachen wollen, nicht mitmachen können, dann geht nämlich Fürhapters filmischer Essay alle an.
PS: Im § 97 STGB ist seit 1975 geregelt, wann ein Schwangerschaftsabbruch auch nach den ersten drei Schwangerschaftsmonaten straffrei ist. Unter anderem, wenn „die ernste Gefahr besteht, dass das Kind schwer behindert geboren würde (eugenische Indikation: wird heute bevorzugt als „embryopathische Indikation“ bezeichnet).“
Thomas Fürhapter: “Die dritte Option”, ein dokumentarischer Filmessay. Buch und Regie: Thomas Fürhapter; Kamera: Judith Benedikt, Manuel Zauner; Dramaturgie: Constantin Wulff. Verleih Thimfilm. Kinostart: 15. September