Justin Chadwick: „Tulpenfieber“, Romanze
Amsterdam im Goldenen Zeitalter. Das Tulpenfieber grassiert, in den Kaschemmen blüht der Handel mit Blüten und Zwiebeln, auch wenn diese noch in der Erde ruhen. Das Fieber des Begehrens erfasst auch den Maler Jan van Loos, doch er giert nach Sophie, der jungen Ehefrau des wohlhabenden Kaufmanns Cornelis Sandvoort. Regisseur Justin Chadwick dreht eine Romantik- Schnulze nach dem Bestseller „Tulip Fever“ von Deborah Moggach. Das Drehbuch für „Tulpenfieber“ hat Tom Stoppard geschrieben.
Im Roman zeigt Moggach distanziert die steigende Fieberkurve des Tulpenmarkts in den 1630-er Jahren bis zum Kollaps und schildert daneben die sich in rauschhafte Hysterie steigernde Begierde der jungen Ehefrau Sophie und des für ein Doppelporträt von ihrem Mann engagierten Malers Jan als deutliche Analogie. Filmscript und Regie jedoch benutzen die historische Tulpenmanie lediglich als Hintergrund für eine kolportagehafte doppelte Liebesgeschichte.
Der Maler und Sophie werden von ihrer Magd Marie und deren Liebhaber Willem ergänzt. Marie ist es auch, die die Geschichte erzählt. Beide Männer, Jan und Willem, lassen sich vom Tulpenfieber anstecken, weil sie hoffen, so die Geliebte glücklich zu machen. Doch noch bevor die Spekulationsblase platzt, platzen die Träume der Männer. Der Diener Jans isst die kostbare Zwiebel auf, Willem wird beraubt und als Matrose gekapert. Marie erwartet ein Kind und ist verzweifelt. Da entwirft Sophie einen verrückten Plan. Sie weiß, dass fliehen sinnlos wäre. Cornelis, stolz auf seine schöne Frau und ungeduldig auf einen Erben wartend, würde sie „bis ans Ende der Welt verfolgen“.
Der Plan ist rücksichtslos und gemein und funktioniert nur im Film. Die Erotikblase platzt wie die des Tulpenhandels. Die 107 Filmminuten dehnen sich, was sich bei Moggach als Spannungsroman liest, wird bei Chadwick eine endlose Galerie von Genrebildern. Diese, dem dänischen Kameramann sei Dank, können schon gefallen, erinnern an Frans Hals, Judith Leyster und Jan Vermeer von Delft. Der allerdings hat das Tulpenfieber kaum mitbekommen, war er doch, als die Blase geplatzt ist, erst zwei Jahre alt. Rembrandt jedoch, dessen Hell-Dunkel-Technik in den Wirtshäusern eingefangen wird, war mitten drin und hat, als der Markt zusammengebrochen ist, angeblich nahezu sein gesamtes Vermögen verloren.
Drehbuchautor Stoppard erinnert in der Aneinanderreihung der Bilder – lebhaft, flirrend auf Plätzen und Gassen, im Hafen und den Schänken; edel, elegant im Salon und dem Schlafgemach des Ehepaars Sandvoort, mit dem Mühlstein um den Hals, er; Perlen in den Ohren, sie – an den Film „Shakespeare in Love“. Auch dafür hat er das Buch geschrieben. Nur ist in John Maddens Film das unvermutete Hin und Her zwischen den Schauplätzen plausibler und unterhaltsamer.
Auch die exzellente Besetzung macht einiges am fehlenden Tiefgang und dick aufgetragenen Zuckerguss wieder gut. Dame Judi Dench, heute 83, spielt die Äbtissin eines Waisenhauses, das sich auch schon bevor das Fieber ausgebrochen war, mit der Tulpenzucht beschäftigt hat. Gütig und geschäftstüchtig zugleich hält diese Mutter Oberin nicht nur Sophies Schicksal in Händen. Die hoch angesehene britische Schauspielerin ist 2002 für ihre Darstellung der Autorin Iris Murdoch in „Iris“ nominiert. Erhalten hat sie den Preis als beste Nebendarstellerin in „Shakespeare in Love“.
Gerne würde ich auf die Beischlafszenen im goldenen Licht des Malerstudios verzichtet, um die beliebte Schauspielerin und ihr zurückhaltendes Spiel länger genießen zu können.
Beeindruckt hat mich auch Christoph Waltz als sympathischer Cornelis Sandvoort, der übrigens nicht vom Fieber angesteckt wird. Die kühle Schwedin Alicia Vikander konzentriert sich als Sophie auf ihre Schönheit, bleibt eine Puppe im blauen Kleid. Die 25jährige britische Schauspielerin Cara Delevingne (Kitty in Joe Wrights Film „Anna Karenina“, 2012. Drehbuch: Tom Stoppard) wirft sich als blutvolles, diebisches Freudenmädchen Annetje vor allem jenen an den Hals, die gerade siegreich ihren Geldbeutel gefüllt haben.
Gedreht wurde an unterschiedlichen Orten in England, etwa in der Norwich Cathedral oder im bereits an die Filmkameras gewöhnten Tudor-Landhaus Kentwell Hall. Ein Tulpenfieber wird die Zuschauerinnen kaum erfassen. Tränen sind auch nicht notwendig, am Ende ist alles gut. Mutter Oberin sorgt dafür.
Tulpenfieber“, Regie: Justin Chadwick, Drehbuch: Tom Stoppard, nach dem gleichnamigen Roman von Deborah Moggach. Mit Alicia Vikander, Christoph Waltz, Dame Judi Dench und anderen. Verleih: Thimfilm. Ab 24.8. 2017 im Kino.
Deborah Moggach: „Tulpenfieber“, übersetzt von Ursula Wulfekamp, Insel Taschenbuch, 2016. 283 S. € 10,30.