Geoffrey Rush ist Giacometti in „Final Portrait“
Der alte Maler und das Modell. Ein paar Stunden nur soll die Porträtsitzung dauern, dann wäre der junge Mann wieder entlassen. Doch der Künstler zerstört immer wieder, was er zu Papier gebracht hat und die Sitzungen dehnen sich ins Unendliche. Regisseur Stanley Tucci hat nach der Romanbiografie von James Lord „A Giacometti Portrait“ einen Film über den Schweizer bildenden Künstler Alberto Giacometti und sein Modell, James Lord, gedreht. Allein die Darstellung Giacomettis durch Geoffrey Rush rechtfertigt den Kinobesuch.
Geoffrey Rush, der schon im Film „The King’s Speech“ mit der Rolle des eigenwilligen Therapeuten Lionel Logue begeistert hat, überzeugt auch als tyrannischer, grummelnder, kettenrauchender Kauz im Pariser Atelier. Giacometti (1901–1966) ist zwar eher durch seine langegezogenen, fadendünnen Bronzefiguren bekannt, doch hat er auch ein reiches malerisches und zeichnerisches Werk hinterlassen. Tucci konzentriert sich in seinem Film auf die Sitzungen mit James Lord, einem kunstinteressierten amerikanischen Schriftsteller, der in Paris die Bekanntschaft zahlreicher Künstler_innen gesucht hat. Natürlich fühlte sich Lord geehrt, als der längst weltberühmte Künstler Alberto Giacometti, mit dem er seit einiger Zeit befreundet war, vorgeschlagen hat, ihn zu porträtieren. Sofort war er bereit, obwohl sein Rückflugticket nach Amerika schon gebucht war. Lords Eitelkeit mag da eine nicht geringe Rolle gespielt haben, hat er doch den Stoff für sein Giacometti-Portrait im Stillsitzen geschenkt bekommen.
Die Sitzungen – unterbrochen von Besuchen mit Giacometti im Bistro, dessen Wutausbrüchen, seinen Selbstzweifeln, den Begegnungen mit seiner jungen Dauergeliebten, der stets fröhlichen, rothaarigen Caroline, und den Querelen mit seiner Ehefrau Anette, die sich mit einem chinesischen Geliebten tröstet – scheinen zu keinem Ende zu kommen. Kaum wirkt das Porträt vollendet, übermalt und löscht es der Künstler wieder und beginnt von neuem.
Giacometti ist zu jener Zeit bereits ein Großverdiener, doch Geld interessiert ihn nicht. Mit vollen Händen wirft er den Zuhältern Carolines die Scheine entgegen und bezahlt gleich drei Monate voraus, wenn sie bei ihm drohend und fordernd auftauchen. Den Banken traute er nicht und versteckte seine Bündel von alten Francs unter dem Bett oder auf dem Kasten. Solche skurrilen Details interessieren Tucci mehr als Giacomettis künstlerisches Schaffen.
Immer wieder muss James mit seinem Geliebten telefonieren, um, sich windend, zu erklären, dass seine Rückkehr schon wieder verschoben worden ist. Der Freund ist ungeduldig, James ist gequält und sucht Trost bei Diego, Albertos stets hilfreichem Bruder, selbst Künstler, der ihm rät, der endlosen Malerei (Lord erzählt von 18 Sitzungen) einfach ein Ende zu setzen, indem er Alberto den Pinsel aus der Hand nimmt.
Regisseur Tucci, der auch das Drehbuch nach dem Roman geschrieben hat, konzentriert sich ganz auf die Darstellung eines neurotischen, unberechenbaren Künstlers, den Rush mit wilder grauer Mähne inmitten des schäbigen Ateliers am Rand von Paris bis hart an die Grenze zur Karikatur spielt. Die Kamera nähert sich ihm oft bedrohlich, fängt jede Pore, jede Falte ein und belästigt durch allzuviele Closeups. Wie in sämtlichen anderen zurzeit im Trend liegenden, filmischen Künstler-Biografien, sogenannten Bio-pics, fühlt sich die Zuseherin beruhigt und bestätigt: So sind sie eben, die Künstler.
Das Modell interessiert Tucci weniger. Ganz im Kontrast zu Giacomettis einleitender Bemerkung: „Wenn ich Sie malte, wie ich Sie sehe und ein Polizist sähe das Bild, würde er Sie sofort einsperren“, sieht Armie Hammer als James Lord eher aus wie ein braver Eton-Student, die Knie zusammengepresst, die Hände im Schoß, starrt er ausdruckslos ins Leere. Wie Rush zunehmend Giacometti ähnelt, hat auch Hammers Gesicht eine vage Ähnlichkeit mit Lord. Doch scheint dieser im Film noch ein junger Mann zu sein, während Lord zur Zeit des Geschehens, 1964, bereits 42 Jahre und als Schriftsteller bekannt war.
Mit Akribie hat Ausstatter James Merifield das vergammelte Studio in einem Hinterhof von Paris, wo Giacometti den größten Teil seines Lebens verbracht hat, gestaltet. Liebevoll werden die ikonischen langgestreckten Figuren, die in allen Stadien der Vollendung herumstehen, im Vorübergehen vom Schöpfer gestreichelt, es riecht direkt nach nassem Ton und aufgewirbeltem Staub, zerknüllte Zeichnungen liegen auf dem Boden, überall sind Gipsspritzer, es ist eng und muffig. Der starr Sitzende bemerkt nichts davon, schwitzt nicht, friert nicht, beobachtet den Malenden. Auch er hat sein Modell gefunden. Ein Jahr später schon erscheint „A Giacometti Portrait“.
Wäre Tuccis Film nicht um gute 20 Minuten zu lang, würde er als leichte Komödie durchgehen. Eine Biografie ist er schon wegen der Grundkonstellation nicht, bestenfalls ein Ausschnitt aus Giacomettis Leben, über das aber ebenso wenig zu erfahren ist wie über sein Werk und dessen Bedeutung. Doch immerhin erfahren wir, dass er im Alter von 63 Jahren weder von Picasso noch von Chagall allzu viel gehalten hat. Und vom genialen Giacometti ebenso wenig.
Das Künstlerbild, wenn der Film denn eines sein soll, ist ja doppelt übermalt. Zuerst hat James Lord – wie jeder Biograf / jede Biografin, ob er / sie sich selbst oder andere seziert – retuschiert und korrigiert, dann hat Tucci noch einmal drüber lackiert. Zu sehen ist ein stellenweiser recht komischer Unterhaltungsfilm, bei dem das Gähnen nicht ganz unterdrückt werden kann. Doch vielleicht regt er manche an, sich mit dem Werk Alberto Giacomettis zu befassen. Dann wäre „A Final Portrait“ als Animation nützlich. Übrigens, Romanautor Lord konnte den Film nicht mehr sehen, er ist 2009 mit 87 Jahren in Paris gestorben.
„A Final Portrait“, Drehbuch und Regie: Stanley Tucci, nach der Biografie „A Giacometti Portrait“ von James Lord. Kamera: Danny Cohen, Ausstattung: James Merifield. Verleih Filmladen.
Darsteller_innen: Geoffrey Rush (Giacometti), Armie Hammer (James Lord), Clémence Poésy (Caroline), Tony Shalhoub (Diego Giacometti), Sylvie Testud (Ehefrau Annette). Ab 4. August in den Kinos.