Lemonismus – ein neuer -ismus setzt sich durch
Es ist eine junge Kunstrichtung, die im Körper einer Japanerin, der in Wien agiert, ihren Anfang genommen hat und sich, wenn schon nicht über die ganze Welt, so doch über die Jahre hinweg ausgebreitet hat. Die Tänzerin, Choreografin, Sängerin, Pianistin, Dichterin und Performerin Akemi Takeya, geboren in Japan und seit 1991 in Wien zu Hause, hat den Lemonismus begründet. Vermutlich, damit sie die vielen -ismen, womit in Europa Kunstbewegungen kategorisiert werden, besser versteht. Jetzt hat sie Frieden mit der künstlerischen Buchhaltung geschlossen: Der Zitronismus befreundet sich mit dem Dadaismus und der Nonsens feiert ein Fest: The Act of Lemodada, im Rahmen von ImPulsTanz im mumok, uraufgeführt am 20. Juli.
72 Lemodadas, Gliedermännchen und -weibchen mit einer kleinen Zitrone statt des Kopfes, stehen im Kreis, während sich im Zentrum eine Scheibe mit einer Vogelscheuche dreht. Um den ersten Kreis, Takeyas weit gespannten Zodiac, hat sich ein zweiter gebildet, die Zuschauer:innen sitzen auf schwarzen Polstern, darum herum warten im dritten Kreis weiße Sessel auf weitere Zuseher:innen. Beruhigend, mehr Kreise gibt es nicht, Dante Alighieri ortet in seiner Commedia zehn. Takeyas „Komödie des Zweifelns und Nichtverstehens“ führt nicht direkt in die Hölle. Wohin sie führt, weiß die Künstlerin, die sich Dada nennt, selber nicht. Solange sie sich als Schaufensterpuppe, Marionette, Vogelscheuche mit Kasperlmütze (Dadaist Hugo Ball hat so einen spitzen Hut bei einer Aufführung im legendären Cabaret Voltaire getragen) auf ihrer Scheibe dreht, ist sie um jede Antwort verlegen, dennoch gibt der Zitronenkopf, quasi einer KI-trone, nicht auf, bombardiert die verwirrte Dada-Figur mit Fragen. Am Ende wissen beide nicht mehr, wer gemeint ist, wer sie sind oder sein wollen: „Meinst du mich? Oder dich selbst? Wen?“, fragt der Lemonhead. „Ja, mich, die quasi-Dadaistin.“ Lemo darauf: „Nein, ich selbst, der quasi-Buddhist.“ Dada: „Was? Welche von uns?“ Lemonhead benimmt sich wie ein Politiker / eine Politikerin: „Wer stellt hier die Fragen?“ Dada. „Ich versteh’ nicht.“ Und so geht es weiter, bis am Ende keine(r) mehr weiß, wer mit wem spricht. Als Ausweg wollen sich die fragende KI-trone und die nicht antwortende Dada auf eine dritte Person ausreden und müssen zugleich feststellen, dass Quiz à trois gegen die Regeln verstoße. Das Gespräch endet im Nirwana, der Hall und Widerhall im Museumssaal (an den Wänden Bilder des Konzeptkünstlers Adam Pendleton, zusammengefasst unter dem Titel Blackness, White, and Light) sorgen für dadaistische Unverständlichkeit. Dada trägt alles am Körper, was sie braucht, Röcke und Kopfschmuck, Masken und Accessoires. Während sie sich weder als Japanerin noch als Wienerin fühlt, wird die kaum noch menschliche Figur zu einem Zoo, ist Fisch und Vogel, Affe, Kuh oder weißer Elefant. Jeweils für 30 Sekunden, mit entsprechender Maske und dem virtuosen Einsatz der Stimme. Von schönem Gesang über Grunzen und Brummen bis zu unerträglichem Kreischen zeigt Takeya alle musikalischen Nuancen, zu denen Stimmbänder und Kehle fähig sind. Man glaubt es kaum.
Allmählich schält sich aus der Vogelscheuche, die sich Dada nennt, die Künstlerin Akemi Takeya heraus. Nicht wirklich in ihrer jugendlichen Schönheit, der Ganzkörperstrumpf bleibt von den Zehen bis zum Schopf erhalten. Darüber hat sie einen bunten Poncho geworfen, der ist wie viele Objekte bereits aus Lemonism X Dadaism (ImPulsTanz 2017) bekannt. Wenn sie endlich ihr Gesicht zeigt, ist das Ende, vielleicht nicht von Lemodada, doch der Vorstellung gekommen. Dem höchst amüsierten Publikum teilt die nun menschlich gewordene Figur, die sich immer noch wie ein aufgezogener Androide bewegt, mithilfe eines Plakats mit: „I Am Your Fun /Ich bin eure Hetz“, sing noch ein Liedel, und das war’s.Wie ausgeklügelt, nahezu mathematisch strukturiert und perfekt ausgeführt diese Performance ist, ist kaum zu erfassen, so locker schnurrt dieser Gagaismus auf der Drehscheibe ab. Für die Bewunderung der kreisförmigen Installation und die vielen selbst entworfenen und vollendeten Accessoires und Objekte bleibt kaum Zeit, so geschmiert rollen die Akte von Lemodada in einer Dreiviertelstunde ab. Im Frühjahr 2020 hat Akemi Takeya im Rahmen der Internationalen Kunstbiennale Innsbruck ihre Ideen als Ausstellung gezeigt. Wer den Akten von Lemodada eine tiefere Bedeutung unterlegen mag, findet diese im Programmheft. Ich zitiere kurz:
Wie kann man sich heute der Antikriegs-, Anti-Bürgerlichkeits-, Anti-Kunst-Kunst*) widmen, die die Verhältnisse auf den Kopf stellte, um eine unvorstellbare Welt wieder vorstellbar zu machen; die Objekte ad absurdum führte, um ihr Publikum mit der Absurdität der Welt und des Krieges zu konfrontieren?
*) Diese Anti-Aufzählung bezieht sich auf den Dadaismus, entstanden 1916. Auch wenn die Bewegung als solche nach wenigen Jahren wieder sanft entschlummert ist, kann ihr Einfluss auf die heutige Kunstszene (Bühnenkunst, Literatur und Musik) nicht hoch genug geschätzt werden. Dadaistisches Gedankengut findet sich nicht nur in der Lyrik von Pop-Bands oder bei Kabarettist:innen und sehr deutlich und bewusst in der zitronengelben Performance-Serie der multitalentierten Künstlerin Akemi Takeya.
The Act of Lemodada, ImPulsTanz im mumok – Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien. 20., 21., 22. Juli 2023.
Entwicklung, Bühne, Text, Objekte, Choreografie und Performance: Akemi Takeya.
Sounddesign, Musik: Sebastian Bauer, Soundmaterial: Akemi Takeya, Tonschnitt: Michael Strohmann. Textredaktion, Coaching: Yosi Wanunu. Kostümobjekt: Ruth Erharter, Imeka, Kostüme: Lise Lendais, Christine Mayerhofer. Produktionsassistenz: Kanako Sako; Produktionsleitung: Vladimir und Estragon. In Zusammenarbeit mit ImPulsTanz – Vienna International Dance Festival, 2023.
Fotos: Karolina Miernik, courtesy mumok. @ Maximilian Pramatarov