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Willi Dorner: „many“, ImPulsTanz Festival

Willi Dorner: "many". © Lisa Rastl

Mit „many“, dessen Titel auch im Programm noch ein Arbeitstitel ist und dessen Preview eben im Rahmen von ImPulsTanz 2018 im Schauspielhaus Wien zur Uraufführung gekommen ist, setzt der Wiener Choreograf Willi Dorner seine mit dem Duett „one“ begonnene Auseinandersetzung zum Themenkomplex des Fort-, Weiter- und Überschreibens von Körpern fort. „one“ beschäftigte sich mit den Einwortgedichten des 2010 verstorbenen österreichischen Künstlers Heinz Gappmayr, vor allem mit der Frage nach der „nicht sichtbaren, der gedachten Welt“, die sich durch Worte, Zeichen, bei Gappmayr vor allem auch Zahlen vermittelt und in der Begegnung mit den Performer*innen, ihrer „Präsenz und Bewegung“, ihrem „Schreiben, Zeigen und Handeln mit dem Material Sprache und dem Körper“ zu in der choreografisch-medialen Begegnung oft überraschenden Gedankenbildern, Erläuterungen und Behauptungen führt. „many“ fragt nun im konsequent nächsten Schritt nach Bedeutung und Funktion des Körpers „in den Bilderfluten unserer digitalisierten Welt“.

Wie bereits in „one“ treten „medialisierte“ Zeichen und Symbole in einen tänzerischen Dialog mit den Körpern und Körperteilen der beiden Performerinnen, Britt Kamper und Esther Steinkogler. In „many“ sind diese vor allem eines: digitale Bilder einer Welt, die sich ihrer Existenz durch ihre Präsenz im sogenannten „Netz“ als unendlicher Re- und Weiterproduktion versichert, die den realen Körper kaum mehr braucht.

Das Ende seht am Beginn. © Adnan Popovic Das Ende steht am Beginn.
Mit den von den beiden Tänzerinnen auf einen Bogen Papier geklebten Worten „The End“ beginnt der Abend und erzählt damit auch gleich davon, dass in den kommenden 50 Minuten nichts so „real“ ist, wie es auf den ersten Blick scheint: Zum Sound alter Stummfilme und Schreibmaschinen, historischer Jazzeinspielungen und sonorer Lectures über das Universum und die Unendlichkeit zeichnen die Tänzerinnen Linien auf leere Blätter, lassen Kopien fremder Köpfe auf Papier sich vor ihren eigenen wiegen und entkleiden sich, um auf ihren T-Shirts die Buchstaben eines „globalen Sportmarkenherstellers“ in immer neuen Variationen erscheinen zu lassen. Schicht für Schicht wird dabei abgelegt, was den „modernen“ Körper als globaler medialisierter Marketingmaschine ausmacht.Bild im Bild im Bild. Aber wo bleibt der Körper? © Adnan Popovic

„Bild im Bild im Bild“.

Wer welchen Impuls setzt und zum Tanz der Zeichen, Linien, Körperteile (und deren Verlängerungen, wie eben einem sog. „Marken-„T-Shirt) einlädt, wird von Mal zu Mal unklarer. Sind es das leere Blatt, der Sound, die Tänzerin, die entstandene grafische Struktur oder das vorproduzierte Bild davon, die sich auf mehr und mehr Ebenen – der realen Theaterbühne, dem Handy und dessen Mehrfachprojektionen, dem Video, Bild in Bild, Bild über Bild, Schicht um Schicht – in einen konsequent komplexer werdenden Dialog miteinander begeben? Auf welcher Ebene eines trans- und metamedialen Dialoges befinden wir uns, wenn „reale“ Arme und Finger einander im live wie auch vorproduzierten projizierten Bild ihrer selbst zu einer Choreografie der Formen und (deren) Bedeutungen begegnen? Wer gibt den Impuls, wer ist (noch) real, (schon) virtuell oder eben beides? Wie agieren wir in einer Zeit, in der jedes Bild bereits für den Moment seiner medialen Vermittlung und Verbreitung produziert wird, als reale Körper, sind wir noch wahrnehmbar, sind wir überhaupt noch anwesend?

Tanz der Körperteile (der Rest ist nicht mehr anwesend). © Lisa RastlDorners klug aufgebaute, in thematische Passagen und immer dichter werdende trans- und multimediale Sequenzen strukturierte Arbeit macht die Verräumlichung des Körpers und die Körperlichkeit medialer „Environments“, also Umgebungen, die uns wie im Falle dieser Performance wiederum als real-medialisierte Räume umgeben und sich in Schichten vor (Gesichter), hinter (Projektionen), über (T-Shirts) und unter (Tisch, Papier) uns legen, deutlich. Die physisch anwesenden Körper und deren Teile setzen sich dabei in ein neues Verhältnis zu den Projektionen ihrer selbst und eines anderen Körpers (und dessen Teile). Ein Tanz der Körperteile ohne deren „Inhaberinnen“ beginnt auf dem Screen an der Rückseite der Bühne. Hier ein Arm, da ein Finger, dort eine Linie auf der Projektion dieses weißen Hintergrundes, der sich auf der Bühne selbst als ein großes Blatt Papier erweist, auf und um das die Tänzerinnen sich bewegen. Ist das Ich noch real, oder schon digitalisiert? © Lisa Rastl

„Was du tust, tust du für den Screen“, ist eine der Botschaften des Abends. Und: Wir sind viele – „many“. „Many of the many“, viel von uns, von denen das „reale“ Ich nur noch der endliche Bruchteil seiner selbst geworden ist. Am Ende des Abends nehmen die Tänzerinnen vor dem weißen Blatt Papier an der Seite Platz, während die virtuellen Geister, die zigfachen C-GIs, gehobenen Daumen und dauerglücklichen Smileys ganz den Raum des weltbildgebenden Screens für sich erobern. Dann ist – auf der Leinwand und im Theaterraum – wirklich „The End“.

Cie. Willi Dorner: „many" (Arbeitstitel), Konzept & Choreografie: Willi Dorner, Performance: Britt Kamper, Esther Steinkogler, Video: Adnan Popovic, Musik & Sound: Florian Kmet, Kostüm & Requisite: Emanuela Panucci Preview.
Schauspielhaus. 30. Juli und 2. August 2018, Schauspielhaus im Rahmen von ImPulsTanz