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Astrid Boons im Gespräch mit Franziska Zauner

Astrid Boons im Gespräch © Korzo, Theater Den Haag

Am 23. Juli hatte ich die Ehre, mit Astrid Boons, der Choreografin von Khôra, einer Produktion des Korzo Theaters in den Niederlanden, zu sprechen. Khôra, wurde dieses Jahr im Rahmen der Young Choreographer’s Series [8:tension] bei ImPulsTanz gezeigt. Das Interview fand in englischer Sprache statt und wurde danach auf Deutsch übersetzt.

Wir sprachen über den Entstehungsprozess, das Set und die Arbeit mit den TänzerInnen. Khôra ist ein altgriechischer Begriff und bedeutet "Land, Territorium und der Raum, der dem Sein Platz gibt", er wurde von Platon und vielen anderen Philosophen verwendet und interpretiert.

Welchen Einfluss hat die Philosophie auf Ihre Arbeit?

Ich würde sagen, dass meine Beziehung zur Philosophie sich hauptsächlich darum dreht, dass ich mich und meine Arbeit davon inspirieren lasse. In Bezug auf Khôra geht es in dem Stück selbst nicht darum, eine bestimmte Interpretation festzulegen, sondern vielmehr darum, das Konzept von Khôra auf der Grundlage verschiedener philosophischer Perspektiven zu erforschen. Für mich ist die Essenz von Khôra von dem beeinflusst, was Derrida darüber gesagt hat, und ich frage mich oft, wie ich das in meinen kreativen Prozess integrieren kann.

Welche Rolle spielt Zeit in Ihrer Arbeit?

Zeit spielt eine bedeutende Rolle. Mein Ziel ist es, ein Gefühl der Zeitlosigkeit zu schaffen, in dem das Publikum einen Raum betritt, der bereits im Gang ist, ohne einen klaren Ausgangspunkt oder ein klares Ende. Dies ermöglicht Momente der Reflexion und des Eintauchens. Das Publikum kommt an einen Ort, an dem es nicht weiß, wie lange etwas schon läuft. Es kommt auch an einen Ort, an dem es vier Stunden länger dauern kann. Das ist immer das Ziel. Ich arbeite akribisch daran, die Dauer jeder Szene zu bestimmen und folge meiner Intuition, um das richtige Timing zu finden. Ich bemühe mich, die Zeitwahrnehmung des Publikums so zu pushen, dass sie vielleicht nicht merken, wie viel Zeit vergangen ist. In meiner Produktion Khôra habe ich bewusst Momente eingebaut, in denen das Publikum den Figuren einfach nur beim Ausruhen zusieht, was ein Echtzeit-Erlebnis ermöglicht.
Ich möchte, dass sich das Publikum mit seinem eigenen Körper verbindet und im Moment präsent ist, hinterfragt, was es sieht, und sich erlaubt, sich treiben zu lassen und einfach zu sein.
 Ich hatte das Gefühl, dass das Stück ewig weitergehen könnte, es gibt keinen Anfang, kein Ende. Es ist wirklich dieses ‘An einem Ort zu sein und ihn zu erforschen’.

Könntest du dir jemals vorstellen, deine Arbeit auch als Installation in einem Museum oder einer Galerie zu zeigen?

Ja, absolut. In der nächsten Arbeit, die wir jetzt beginnen, welche eine Erweiterung, ein zweiter Teil von Khôra ist, geht es um Adaptivität und Anpassung. Es wird eine Theaterversion sein, die an verschiedene Räume angepasst werden kann. Darunter befinden sich auch Museumsräume. Wir wollen sehen, wie sich die Body Scores dann auf einen anderen Raum beziehen und wie sie durch die neuen Räume angepasst werden. Ich genieße Museumsumgebungen sehr. Als Künstlerin genieße ich immer den Körper im Gegensatz zum Raum, das Materielle im Gegensatz zu etwas Organischem. und die Architektur, die dadurch entsteht. Für mich ist das interessant.

Ausschnitt aus „Khora“ von Astrid Boohns. © Sjoerd Derine Die Landschaft von Khôra ist aus Schaumstoff gebaut. Wie beeinflusst die Wahl des Materials deine Arbeit, die Recherche und die Art und Weise, wie du mit Tänzern arbeitest?

In Khôra war ich damit beschäftigt, Welten zu erschaffen, weil Khôra ein paralleler Ort ist, der eine Reaktion auf unsere aktuelle Welt ist. Es ist ein Ort, an dem wir anders leben, an dem wir uns anders verhalten. Diese fünf Leute sind nicht mehr ganz organisch und unsere Hierarchien sind abgebaut. Es gibt eine Nicht-Identifikation, und in dem Moment, in dem du verstehst, was es ist, verändert es sich bereits. Während wir uns damit beschäftigten, wie diese Welt aussehen könnte, fühlten wir auch, dass die Welt, in der sie sich befinden, ein bestimmtes Gefühl haben musste. Ich sprach mit Zaza Dupont, einer sehr talentierten Künstlerin und unserer Szenografin und Lichtdesignerin, und sie stellte sich einfach diese Art von Schaumstoff vor, irgendwie grün, der natürlich aussehen könnte, es aber nicht ist.
Wir mochten die Idee des Schaumstoffs, weil die Charaktere in dieser neuen Welt landen und sich ständig neu bewegen, und wir hatten das Gefühl, dass der Schaumstoff eine schöne Metapher für die Stoßdämpfung sein könnte. Eine sanftere Landung in einer abrupten Welt zu haben.

Welche Bedeutung hat das Set für den Entstehungsprozess?

Für mich ist es sehr wichtig, während der Kreation mit dem Set zu arbeiten. Wir haben 4 Wochen lang ohne Set gearbeitet und während dieser Phase verstanden, was wir brauchen. Dann haben wir das Set entwickelt, es ins Studio gebracht und weitere 4 Wochen damit gearbeitet. Das Material der Choreografie kann nur durch das Bühnenbild existieren. Sie sind vollständig miteinander verbunden. So haben wir eine Anpassung an die Bewegungsqualität gefunden und wie wir die Dinge angehen mussten. Wenn sich die TänzerInnen zum Beispiel schnell mit den Füßen auf dem Schaumstoffboden drehen, müssen sie ihr Bewegungsverhalten überdenken und sehr vorsichtig sein, um sich nicht zu verletzen. Am Anfang war es ein kleiner Schock, doch dann haben sie angefangen, sich anzupassen und es war großartig. Wir mussten wirklich mit dem Set arbeiten, um das Stück zu entwickeln, das man nun sehen kann.

Ich interessiere mich für den Entstehungsprozess und die Arbeit mit den TänzerInnen. Wie viel erzählst Du ihnen über den konzeptionellen Hintergrund deiner Stücke? Chreografin Astrid Boons fotografiert von David Krooshof.

Ich teile viel. Für mich ist es tatsächlich sehr wichtig, wie die TänzerInnen die Dinge interpretieren. Ich teile, was ich denke, ich teile die Konzepte, ich teile auch einen Teil der Philosophie. Wir reden auch über Dinge, als wir mit der ersten Forschung über den entwickelten Menschen (engl: evolved human) beschäftigt waren, haben wir darüber gesprochen, was das sein könnte. Was bedeutet das und wie entwickeln wir uns? Wie könnten wir das verkörpern?

Wie sieht es mit dem Arbeitsumfeld aus, das du mit den TänzerInnen schaffst?

Ich beginne jeden Prozess damit, offen zu kommunizieren und zu sagen, dass ich diese Konzepte zur Verfügung stelle, jedoch nicht weiß, wohin die Reise gehen wird. Ich möchte Offenheit und das Feedback sowie die Interpretation der TänzerInnen. Es ist meine Aufgabe, ein sicheres Umfeld zu kreieren, in dem sie sich wohl fühlen und vertrauen können. Das ist das Wichtigste. Ich sorge für dieses Umfeld von Vertrauen, die TänzerInnen müssen sich frei fühlen können, sie selbst zu sein. Wenn das gelingt, können wir extrem weit gehen. Ein Beispiel: In intensiven Recherche-Sessions arbeiten wir manchmal anderthalb Stunden am gleichen Thema, mit den gleichen Scores, das kann extrem anstrengend sein.
Manchmal wissen die TänzerInnen auch nicht, wohin es geht, und dann muss ich dafür sorgen, dass sie sich wohl fühlen und mir vertrauen können. Wenn sie sich trauen, sich wirklich zu öffnen, dann können wir auch in die Tiefe gehen, und dort finden wir dann die Elemente für das Stück. Natürlich gibt es Momente, in denen sie verwirrt sind und das muss ich dann auch aushalten. Es ist auch so wichtig zu wissen, wann wir eine Session beenden müssen. Wenn wir erschöpft sind, dann kann es sein, dass wir an einem Tag früher fertig sind, es ist sehr wichtig diese Grenzen einzuhalten und für mich als Choreografin darauf zu achten. Kunst ist kein nine-to-five-Job. An manchen Tagen arbeitet man 12 Stunden, an manchen nur vier.

Franziska Zauner hat als Mitarbeiterin von tanzschrift.at vor allem ImPulsTanz-Vorstellungen der Young Choeographer’s Series [8:tension] betreut. Sie lebt und arbeitet in Wien. „In Medeas Res“: Bühnenausstattung von Franziska Zauner. © MichaelLoizenbauer
Nach dem Studium in Italien, Holland und Irland ist sie freischaffende Künstlerin an der Schnittstelle von bildender und performativer Kunst. Sie beschäftigt sich mit Theorie und künstlerischer Forschung und arbeitet in Kollaborationen mit Backpulver Feedback Training, Liquid Loft und dem Angewandten Performance Lab sowie in privaten Kollaborationen mit anderen KünstlerInnen.
Für die Vorstellung IN MEDEAS RES von Chris Haring / Liquid Loft (ImPulsTanz 2024, Künstlerhaus Factory, 17.–20.7.) hat Franziska Zauner das Set Design geschaffen.
Mehr über Astrid Boons: astridboons.com