Woran wir uns erinnern
Angelehnt an Peter Hammills Ballade My Room haben die Tänzerin und Choreografin Rose Breuss und der Puppenspieler Christoph Bochdansky ihre neue gemeinsame Produktion konzipiert: fragments out of time. Die Uraufführung des überzeugenden Abends war am 11. Jänner im Theater Nestroyhof Hamakom.
Hamill singt darin von der Suche nach getanen Schritten, erzählten (spoken) Träumen und „zerbrochenen“ (broken) Hoffnungen – „alle falsch“ (all mistaken) und „Fragmente“, die aus der Zeit gefallen sind, im Gedächtnis bleiben und uns manchmal wieder und wieder heimsuchen – oder auch freundschaftlich begleiten.
Diesen fragments out of times spüren Rose Breuss und Christoph Bochdansky gemeinsam mit vier Tänzer:innen und der Pianistin Hanne Pilgrim in ihrem gleichnamigen, rund einstündigem Stück nach. Im Zentrum stehen dabei die biografischen Erinnerungsblasen der fünf Performer:innen. Diese werden mit erlerntem und trainiertem Tanzrepertoire choreografisch in Verbindung gebracht und je persönlich prägenden tanzhistorischen Größen wie Isadora Duncan, Bronislava Nijinska (Tanz), Kurt Jooss, Isolde Klietmann (Choreografie) oder Ted Shawn (Kostüm/Tanz) gegenübergestellt. Choreografin Breuss lässt darüber hinaus auch ihrerseits persönliche Choreografie-historischen Begegnungen in die fünf aufeinanderfolgenden solistischen Momentstudien einfließen, während Bochdansky mit seinen wie immer ebenso be- wie verzaubernden Puppenwesen Gefühlen wie Wut oder Einsamkeit, Angst und Hoffnung Körper verleiht, die in teils biografisch erzählende szenischen Sequenzen führen, meist, teils einfach nur eben jenen Emotionen allegorischen Raum geben. So begegnet der argentinische Tänzer Damien Cortes Alberti Der Mensch im Wahn (1929) von Andrei Jerschik in der Fassung von Harmen Tromp, dem Jerschik sein Solo kurz vor seinem Tod übergeben hatte – hier notiert von Rose Breuss –, während Alberti den Reigen an Geschichten über persönlich prägende Erlebnisse beginnt. Auch die ukrainische Tänzerin Maria Shurkhal spürt in ihrem an Isadora Duncan angelehnten Solo eigenen Gefühlen nach, erinnert an Abschiede, Einsamkeit und Trauer.
Ausgangspunkt für das Solo des taiwanesischen Tänzers Kai Chun Chuang sind die 16 dances and 16 rhythms, darunter „Bolero“, „Polka“, „Tango“ und „Galopp“, eines amerikanischen Pioniers des modernen Tanzes: Ted Shawn. Chuang/Breuss setzen sich, wie auch alle anderen Solos des Abends, mit überlieferten Notationen auseinander. Doch eben auch mit eben jenen Fragmenten eines choreografisch-tänzerischen Vokabulars, dessen Einflüsse in den notierten und damit immer auch erinnerten Tänzen und den ausführenden Tänzer:innen-Körpern spür- und sichtbar sind.
Deutlich zeithistorisch ist auch der Referenztanz der ebenfalls aus Argentinien stammenden Tänzerin Marcela López Morales angesiedelt, wenn Morales sich dem Solo Die Habgierige der österreichischen Choreografin Isolde Klietmann (1908–1996) widmet und sich dabei mit überlangen falschen Nägeln hexengleich einer heute kaum noch praktizierten Erzähldramaturgie des historischen Ausdruckstanzes widmet. Wie zu Beginn Alberti – und nach ihr, als letzter Solist des Abends Žiga Jereb – erzählt auch Morales dabei von Fluchterfahrungen, Emigration und Ängsten.
Mit dem slowenischen Tänzer Žiga Jereb schließt der einstündige Soloreigen. Jereb erzählt von einem prägenden biografischen Moment seiner Tänzerkarriere: seiner ersten Arbeit in einer Kompanie. Und dem damals geprobten Antikriegsstück Der grüne Tisch des deutschen Choreografen und Kompaniegründers Kurt Jooss. Jooss (1901–1979) war bereits 1933 nach England emigriert, um mit seiner Tanzgruppe, zu der eine Reihe jüdischer Künstler:innen zählte, weiterarbeiten zu können. Jereb hatte die Choreografie über Vermittlung von Jooss’ Tochter kennengelernt. Und auch hier treffen erneut Flucht und Angst, Zerstörung, aber auch Mut und Widerstand aufeinander, während Jereb darüber reflektiert, wie Tanz zu Erinnerung wird, Erinnerungen in Choreografien einfließen.
Aneinandergereiht entwickeln die Solos einen dichten Erzählbogen an historischen Quellmaterial und eigenen Begegnungsräumen, biografischen Erfahrungen und – allegorisch in Bochdanskys wunderbares Puppenensemble gefasst – festgehaltenen Erinnerungszuständen, die sich ihrerseits in größeren historischen Ereignisräume eingebettet wiederfinden. Manche davon werden erst aus der zeitlichen Distanz klarer erkennbar, durchgehend waren und sind sie jedoch vor allem biografisch prägend für die fünf Performer:innen, die an diesem Abend in ihren je eigenen Qualitäten wie auch darüber hinausgehenden historischen Momentaufnahmen biografisch greifbar werden.
Bochdanskys im mehrfachen Sinne traumhafte Puppen begegnen den Solist:innen an unterschiedlichen Stellen der jeweiligen Szenen und persönlichen Skizzen, treten mit diesen in einen Dialog, bleiben dabei aber stets in kluger Distanz, sind sie doch nicht immer nur wohlwollende oder gar beschützende Traumwesen. Wenn sie sich schließlich am Ende mit dem unheimlichen Clown, mit dem der Abend begonnen hat, in einem finalen Gruppentanz wiederfinden, erreicht der durch die zurückhaltende Vermittlung historischer Informiertheit überzeugende Abend seinen stärksten Moment, ehe sich zuletzt aus den Puppenwesen noch einmal die Tänzer:innen herausschälen und die Hüllen ihrer Erinnerungen, jenen zu Beginn zitierten zerplatzten Blasen gleich, fallen lassen. Es ist vor allem dieses starke Finale, das fragments out of time zu einem stimmigen Ensembleabend werden lässt, zu dessen Stärken nicht zuletzt die musikalische Begleitung durch Pilgrim und deren fein abgestimmte Interpretation von Popular Contexts von Matthew Shlomowitz zählen.
Rose Breuss & Christoph Bochdansky: Fragments out of time, Uraufführung, 11.1.2025
Choreografie: Rose Breuss, Puppenbau und -spiel: Christoph Bochdansky
Musik: Matthew Shlomowitz, Popular Contexts, Klavier, Hanne Pilgrim
Choreografie & Tanz: Damián Cortés Alberti, Kai Chun Chuang, Žiga Jereb, Marcela López MoralHamilles, Maria Shurkhal
Fotos: © Constantin Georgescu, Gregor Grkinic.
Kooperation: Dance Company Of(f) Verticality, Theater Nestroyhof Hamakom, mit Christoph Bochdansky; Theater Nestroyhof Hamakom, weitere Vorstellungen: 24., 25. Februar 2025