Caroline Finn choreografiert die Magie des Todes
Die Choreografin Caroline Finn hat ihre Spuren von London aus durch die halbe Welt gezogen. Endlich ist sie auch in Österreich gelandet. Im Musiktheater studiert sie mit dem Tanzensemble ihre Version der Geschichte von Romeo & Julia ein. Die Musik ist die von Sergej Prokofjew, die der Choreograf John Cranko 1962 berühmt gemacht hat und die meisten seiner Nachfolger verwendet haben. Die Handlung spielt jedoch nicht im 16. Jahrhundert und auch nicht in Verona, sondern heute, im Vorort irgendeiner Stadt. Premiere ist am 7. Oktober im Musiktheater Linz.
In London also hat Caroline Finn ihren ersten Schrei getan und, wie viele andere kleine Mädchen auch, bald den Wunsch verspürt, Prinzessin zu werden. In Spitzenschuhen und Tutu natürlich. Als Teenagerin erschien ihr das Korsett des klassischen Spitzentanzes schon zu restriktiv und einschränkend und sie fragt ihre Lehrerin, ob sie wirklich geeignet sei, auf der Bühne zu warten, bis der Prinz kommt. Für den Rat der Tanzmeisterin ist Caroline Finn heute noch dankbar: „Sie hat mir die Klasse für zeitgenössischen Tanz gezeigt und gemeint, da würde ich mich viel wohler fühlen.“ So war es dann auch, doch das Ballettstudium hat sie vollendet und nach der Arts Educational School flog sie von London nach New York, um in der Juilliard School ihren Dance-Bachelor zu machen. Ihre Karriere als Tänzerin hat sie in Europa gestartet, mit dem Ballet Preljocaj und mit der Compagnie Carolyn Carlson in Frankreich oder dem Ballett Theater München. Nach drei Jahren als künstlerische Leiterin der National Company Wales hat sie 2018 den Sessel einer Chefin aufgegeben, um sich dem schöpferischen Teil ihrer Karriere zu widmen. Bis 2021 war sie Resident Choreographer der NDC Wales. Mit einigen Preisen ausgerüstet, hat sie dann nicht nur in Wales gearbeitet, sondern auch Choreografien für das Nationalballett von Chile, die Bühne Bern, Tanz Luzerner Theater oder das Theater in Kempten geschaffen. Ganz aufgegeben hat sie das Tanzen doch noch nicht. Mit dem Solo „Bernadette“ begeisterte sie das Festivalpublikum von Paris bis Berlin und Krakau, von Aix-en-Provence bis Südkorea. Gemeinsam mit Romain Guion ist Caroline Finn derzeit künstlerische Leiterin der BRÜCKEREI, einer Entwicklungsplattform in Zürich. Guion, Tänzer bei Alain Platel, ist als Assistent der Choreografin auch in Linz dabei und auch die Schweizer Kostümbildnerin Catherine Voeffray und Bühnenbildner Till Kuhnert gehören zum Team. Die vier Künstler:innen kennen und verstehen einander. „Ich habe mit Voeffray und Kuhnert schon in Bern zusammengearbeitet. Wir werfen alle unsere Ideen zusammen und daraus entsteht ein rundes Stück. Ich möchte nicht, dass das Bühnenbild wie ein Bühnenbild aussieht, es soll ein Teil des Stückes sein, jeder Mast, die Schaukel, alles hat einen Sinn und spielt mit.“ Auch mit Voeffray arbeitet sie gemeinsam: „Ich bin bei jeder Kostümprobe dabei, wir diskutieren. Was ich besonders mag mit Catherine, sie erfindet sich für jede Produktion neu. Sie arbeitet nicht nach einem Muster, sodass man sofort erkennt: Ah Voeffray. Sie ist sehr wandlungsfähig. Natürlich hat sie ihre Linie, aber sie will immer wissen, was ich vorhabe.“ Besucher:innen aus Wien werden den Unterschied sehen. Catherine Voeffray hat an der Wiener Staatsoper die Kostüme für Martin Schläpfers „Dornröschen“ (Oktober 2022) entworfen.
Erkennt man die Tanzsprache von Caroline Finn sofort? „Vermutlich nicht. Ich arbeite zwar aus meinem Körper heraus, mache auch Bewegungsabläufe vor, doch ich lade die Tänzer:innen ein, mein Material zu integrieren und ihres daraus zu machen.“ Zum Kennenlernen hat sie alle Tänzerinnen eingeladen, 45 Minuten zu improvisieren, um sich selbst vorzustellen und auszudrücken. „Sie sollten ihre Tanz-DNA zeigen und ihr inneres Tanzarchiv.“ So hat sie auch als Neuling in Linz die Mitwirkenden genau kennengelernt. „Sie sollen auf der Bühne sie selbst sein. Sie sind alle einzigartig, sie haben so viel zu geben, ich will keine Schablonen einer Rolle sehen, ich will auch nicht, dass sie mir liefern, was sie meinen, dass ich gerne möchte.“ Nicht alle Tänzer:innen haben in Finns Choreografie eine definierte Rolle, es sind die beiden Familien, Montague und Capulet, auf der Bühne und auch durch die Farben der Kostüme unterscheidbar. „Doch Shakespeare stellt 32 Personen auf die Bühne, das können wir hier gar nicht schaffen. Erkennbar sind Romeo, sein Freund Mercutio, Julia und Tybalt.“ Die Familienmitglieder sind zugleich Volk und dürfen auch ihre Talente zeigen, so erscheint etwa der Tänzer Yu-Teng Huang als Jongleur. „Manche Rollen können fast als Kombination von zwei Figuren aus dem Original betrachtet werden, die miteinander verschmolzen werden, um eine ganz neue Identität zu schaffen. Den Pater, den Fürsten und Benvolio habe ich in einer geheimnisvollen Figur zusammengefasst, die ich den Imker nenne.“ So ein Bienenzüchter, meint sie, habe mit der Natur und den Menschen, mit Leben und Tod zu tun, „denn der Tod ist im Leben und auch auf der Bühne immer anwesend. Genauso wie Liebe oder Loyalität.“ Der Imker, das war bereits bei den Proben zu sehen, ist nicht allein für Magie zuständig. Es gibt viele magische Momente in Caroline Finns Choreografie, und auch der Tod der lebenslustigen Julia hat seine eigene Magie.
Caroline Finn inszeniert das Tanzstück „Romeo und Julia“, mit Tanz Linz im Musiktheater Linz. Premiere am 7.10. 2023.
Choreografie: Caroline Finn, Musik: Sergej Prokofjew. Bruckner Orchester, geleitet von Marc Reibel.