Ballett: „Roméo et Juliette“ mit Arne Vandervelde
Roméo et Juliette“ von Davide Bombana zur gleichnamigen „Symphonie dramatique“ von Hector Berlioz als Ballett mit Chor und Solostimmen eingerichtet, hat bei der Wiederaufnahme in der Volksoper mit einer großartigen Besetzung das Publikum in Begeisterung versetzt. Mit Maria Yakovleva als Partnerin zeigte Arne Vandervelde, im Corps de Ballet seit 2016, ein beachtliches Debüt als Roméo.
Sergej Prokofjew ist nicht der einzige Komponist, der sich von der von William Shakespeare in Verse gefassten Liebesgeschichte inspirieren ließ, auch ist John Cranko nicht der einzige Choreograf. Dennoch ist Davide Bombanas Ballett zu Berlioz hybriden Werk – keine Symphonie, aber auch keine Oper und auch nicht für das Ballett komponiert – ein spezielles Werk. Berlioz gibt zwar in der Partitur inhaltliche Hinweise, wie „Romeo allein“ oder „großes Fest bei Capulet“, „Die Königin Mab oder die Fee der Träume (Scherzo)“, doch gelten die allein den Musikern. Die drei Chöre erzählen und kommentieren die Geschichte, der Altistin und dem Tenor sind keine Rollen zugewiesen, lediglich der Bass ist mit seiner Predigt als Père Laurence erkennbar. Berlioz lässt seine Hauptfiguren nicht singen, überlässt die Darstellung ihrer Gefühle ganz dem Orchester. So findet Choreograf Bombana breite Flächen effektvoller, romantischer Musik, die er mit ausdrucksstarkem Tanz belebt. Die Uraufführung in der Volksoper hat im Dezember 2017 stattgefunden.
Schon bei seinem ersten Solo nach der Begegnung mit Julia
Neben Roméo und Juliette spielt die Königin Mab, ein Feenwesen, das Zwietracht säht, aber auch Liebe entfacht, eine wichtige Rolle, für die Menschen unsichtbar, geistert sie umher, feuert den kampflustigen Tybalt an und steckt Juliette das Messer zu, damit sie ihrem Leben ein Ende setzt.
Wie Berlioz mit der Musik setzt auch Bombana mit dem Tanz auf den Ausdruck der Gefühle. Die Handlung ist ohnehin bekannt, Romeo und Julia sind Teil der westlichen Kulturgeschichte. Sowohl Vandervelde als auch die Erste Solotänzerin Yakovleva kommen mit Bombanas expressiver Tanzsprache bestens zurecht. Vandervelde zeigt eine reiche Palette von Gefühlen, flammende Liebe und beklemmende Sorge, er gehört ja nicht der richtigen Gesellschaftsschicht an, ist ein armer Montague, während Juliette eine Capulet ist, die herrschen und unterdrücken. Vandervelde ist ein hochgewachsener, athletischer junger Mann, der seinen Körper perfekt als Medium der Gefühle einsetzt. Er zeigt weniger einen verliebten Springinsfeld, als einen Jüngling, der von seinen Gefühlen überrascht wird und mit ihnen ringt. Da ist Juliette (Maria Yakovleva) ihrer Emotionen schon sicherer, sie gibt sich ihnen nahezu ungebremst hin, Yakovleva zeigt aber auch deutlich, dass Juliette sehr wohl, weiß, dass sie ein gefährliches Spiel spielt. Rührend und zugleich bedrückend ist der große Pas de deux, den Yakovleva und Vandervelde perfekt meistern, in dem sie das gesamte Gefühlsspektrum eines nahezu liebestollen Paares zeigen.
Ebenso großartig und richtig beängstigend, unheimlich und wild, zugleich verführerisch, zart und erotisch ist Ketevan Papava in ihrem Debüt als Königin Mab. Ist sie Hexe oder Fee, will sie Gutes oder Böses? Als humanoides Wesen mit kleinen Hörnern auf dem Kopf schleicht und kriecht sie schlangenartig im Dunkeln durch Park und Ballsaal, tröpfelt den Menschen unerfüllbare Träume ins Gemüt. Eine enge Verwandte des in der Sommernacht sein Unwesen treibenden Puck. Wie aus dem Traum einer Sommernacht (Felix Mendelssohn-Bartholdy hat seine Bühnenmusik erst ein paar Jahre nach Berlioz veröffentlicht) ist auch das zarte Scherzo, das der Komponist Mab zugeteilt hat.
Unsichtbar ist auch der Tod stets anwesend. Der Ball ähnelt mehr einem Totentanz als einem fröhlichen Fest, Tybalt, von Martin Winter als von Hass zerfressener Rabauke personifiziert, geht sowohl mit Juliette wie auch mit Roméo recht grob um. Zwar singt Martina Mikelić, während Juliette sich an sie schmiegt, von den Freuden der Liebe, doch Mehrzad Montazeri (Rollendebüt) erzählt von der Königin der Träume, Mab, die Roméo heimsuchen wird. Ich möchte ihn warnen – das geht nicht gut aus. Doch er ist bereits vom Affektsturm hinweggeweht, keine Warnung könnte nützen und der sanfte Bub wird zur Furie, ersticht Tybalt. Juliette nimmt ohne Zögern das Fläschchen von Père Laurence, trinkt sich in den Scheintod.
Nach der Pause wird sie unter dem Regen von Rosenblättern in die Gruft getragen. Durch die Verkettung der Umstände sind am Ende Juliette und Roméo tot und Père Laurence, der an dem Unglück nicht unbeteiligt ist, mahnt die Parteien, den Hass zu begraben und endlich Frieden zu schließen. Das Volk zeigt sich willig. Die geisterhafte Königin Mab huscht durch die Reihen.
Davide Bombana war während der Proben anwesend und hat auch kleine Retouchen vorgenommen. Mir scheint das Ballett kompakter, stringenter und aufregender geworden zu sein. Nach der Vorstellung zeigt er sich hochzufrieden und schwämrt von der "großartigen Besetzung". Niemand wird ihm widersprechen. Romantisch bunt und aufwändig ist die Ausstattung (Bühne, Kostüme, Licht) von rosalie († 2017), deren Entwürfe von Thomas Jürgens und Angelika Berger realisiert worden sind.
Mab und ihre Dubletten (Tainá Ferreira Luiz, Suzanne Kertész, Dominika Kovacs-Galavics, Mila Schmidt) sind in farbige gebauschte Röcke, einem kurzen Tutu gleich, gehüllt, Juliette hat ein weißes, wadenlanges Tutu an, tanz jedoch nicht auf Spitze. Der Spitzentanz bleibt der Königin Mab vorbehalten, sie bewegt sich nicht wie die Menschen, die sie manipuliert.
Am gar nicht guten Ende überrascht noch ein Debüt: Zsolt Török, der am Vorabend in John Neumeiers Ballett „Le Sacre“ in der Staatsoper seine Kräfte gezeigt hat, ist der tanzende Père Laurence, der mit dem Körper ausdrückt, was Andreas Daum singend in Worte fasst. Choreograf Bombana gibt den Tänzer*innen relativ viel Freiheit im Körperausdruck, so kann sich Török ganz in die Musik einfühlen und tanzt diesen reuigen Pater so eindrucksvoll, dass man zu hören und zu verstehen meint, was der Pater singt.
Erschütterung und tosender Applaus beschließen den fantastischen Abend.
Davide Bombana „Roméo et Juliette“ zur „Symphonie dramatique“ gleichen Titels von Hector Berlioz. Dirigent: Gerrit Prießnitz, Ausstattung: rosalie, Realisation: Angelika Berger/ Thomas Jürgens.
Mit Maria Yakovleva, Arne Vandervelde, Ketevan Papava; Martin Winter, Alexander Kaden, Gleb Shishov; Zsolt Török. Gesangssolos: Martina Maikelić, Mehrzad Montazeri, Andreas Daum; Chor und Zusatzchor der Volksoper; Orchester der Volksoper, Dirigent: Gerrit Prießnitz. 7. Vorstellung am 17. März 2019, Wiener Staatsballett in der Volksoper.
Reprisen: 23., 27. März 2019.
Weitere Vorstellungen mit unerschiedlicher Besetzung: 31. März, 4., 9., 12., 15. April 2019.
Fotos von Ashley Taylor, © Wiener Staatsballett / Ashley Taylor