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Ballett in der Volksoper: „Roméo et Juliette“

Ballett mit Chor und Gesangssolist*innen. © Ashley Taylor

Davide Bombana lässt zur Symphonie dramatique von Héctor Berlioz tanzen. Berlioz lässt auch singen. Als Choreograf in Wien hat Davide Bombana die Kunst der Bilokation erlernt. Er ist dort und gleich wieder da, kniet schmachtend zu Füßen der Altistin (Annely Peebo) und liegt vor dem Bass (Yasushi Hirano), als tote Julia; verliebt sich im Ballettsaal der Staatsoper in den jungen Montague und ist gleich darauf in der Volksoper, um Tybalt, Mercutio und Benvoglio in Kampfstellung zu bringen. Das Corps de Ballet muss synchronisiert werden, der riesige Chor ebenfalls. Kurz, der Italiener Davide Bombana macht seinem Landsmann Figaro Konkurrenz, ist hier und dort und gleichzeitig überall.

Doch Davide Bombana ist kein Friseur und tritt auch nicht in einer komischen Oper auf, sondern Choreograf, der ein Drama inszeniert, zu dem der Franzose Héctor Berlioz die Musik geschaffen hat. „Roméo et Juliette“, getanzt zur Symphonie dramatique von Berlioz hat am 9. Dezember Premiere. Msayu Kimoto (Roméo) probt mit Maria Yakovleva (Juliette). Alle Probenfotos © Wiener Staatsballett / Ashley Taylor

„Roméo et Juliette“ ist keine Oper, das Drama von junger Liebe und altem Hass sollte ganz allein durch die Musik dargestellt werden. Gesungen wird dennoch. Berlioz sah die vier Sätze in der Nachfolge von Beethovens 9. Symphonie und lässt deshalb auch Solisten und Chor ihre Stimmen erheben. Davide Bombana kennt das vor bald 200 Jahren entstandene Werk gut. Als ihm Ballettdirektor Manuel Legris den Auftrag für ein großes Handlungsballett zu Berlioz’ musikalischer Version der tragischen Geschichte in Auftrag gab, war er sofort begeistert: „Ich liebe diese Musik und höre sie mir zu Hause oft an. Sofort habe ich mich an die Arbeit gemacht.“ Noch bevor die vielfältigen Proben begonnen haben, war die Choreografie in Bombanas Kopf fertig gestellt und auch die Bühnenausstattung samt den Kostümen war bereit. „Darüber war ich wirklich glücklich. Ich habe die deutsche Malerin und Bühnenausstatterin rosalie, mit der ich schon öfter gearbeitet habe, eingeladen. Die Kunstlerin Rosalie Rosalie (1953-2017) Foto: Daniel Maye / www.stuttgarter-nachrichten.de/Obwohl sie schon sehr krank war, konnte sie die Arbeit noch vollenden, bevor sie heuer im Juli mit 64 gestorben ist. "Ihr Assistent Thomas Jürgens muss nur noch rosalies Entwürfe realisieren und die Feinarbeit machen.“ Versteht sich, dass Bombana seine Choreografie dem Andenken rosalies widmet.

Davide Bombana ist 1958 in Mailand geboren, dort an der Scala zum Tänzer ausgebildet und auch gleich nach Abschluss der Akademie engagiert worden. Später war er an der bayerischen Staatsoper in München Erster Solotänzer und bis 1998 als Choreograf aktiv. Seine Vorliebe für literarische Stoffe kann er nicht verleugnen. Penthesilea, Woyzek oder Lolita lässt er ebenso tanzen wie Figuren aus August Strindbergs Drama „Ein Traumspiel“ oder aus dem umfangreichen Briefroman von Choderlos de Laclos „Gefährliche Liebschaften.“ Als freier Choreograf ist Bombana mit vielen Ballettcompagnien in Europa und auch in Australien vertraut. So ist es keine Überraschung, dass er auch in Wien zu Hause ist. Mit den im Sommer gedrehten Fernsehaufnahmen für die Balletteinlagen im Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker 2018 zeigt er zum dritten Mal seine Interpretation von Wiener Tanzmusik. 2011 begeisterte er die Fans des Wiener Staatsballetts mit seiner „Carmen“. Choreograf Davide Bombana mit Maria Yakovleva, Masayu KimotoSeine spezielle Bewegungssprache mit außergewöhnlichen Schrittkombinationen und auf der Neoklassik basierendem Spitzentanz hebt Bombanas Choreografien literarischer Stoffe von den zahlreichen Vorgängern deutlich ab. Für „Roméo et Juliette“ hat er es nicht so schwer, sich durchzusetzen, verwenden doch nahezu alle Choreografen die eigens für die Geschichte von Shakespeare komponierte Musik von Sergej Prokofjew. Doch gibt ihr Davide Bombana eine neue Richtung: „Für mich ist auch der Blick auf gesellschaftliche Phänomene und Unterschiede wichtig. Es geht doch auch um Macht und Unterdrückung, um den Krieg zwischen den stolzen, mächtigen Capulets, der Familie Julias, und den sozial niedriger stehenden Montagues.“ Für die beiden verfeindeten Familien ist der zweigeteilte, durch einen Zusatzchor verstärkte Chor der Volksoper zuständig. Schon seine Anordnung, die einen stehen höher und können auf ihr Gegenüber herunterblicken, macht Bombanas Intention sichtbar.
Masayu Kimoto, Maria Xakovlava: Bühnenprobe im Kostüm.Wie im griechischen Drama kommentiert und erklärt der Chor das Geschehen. „Am Ende sind alle schockiert, dass diese beiden jungen Menschen einen so unnötigen Tod gestorben sind.“ Der Bass hat seinen großen Auftritt. Als Bruder Lorenzo zeigt er tiefe Reue, weil er das Paar getraut und damit den letalen Ausgang der jungen Liebe in Gang gesetzt hat. In seiner langen Predigt beschwört er die beiden Familien, ihre Feindschaft aufzugeben und Frieden zu schließen. „Bruder Lorenzo verkörpert die Vernunft und die Realität. Mein Ballett spielt nicht in längst vergangener Zeit in Verona, sondern hier und heute.“ Analogien im sozialen Verhalten sind nicht schwer zu erkennen. Bis zuletzt korrigiert Bombana die brandneue Choreografie.Bombana macht es keinerlei Schwierigkeit, dass er an das Libretto der Symphonie gebunden ist: „Es erlaubt mir, neben der Liebesgeschichte. Für Berlioz erstellt hat es der französische Dichter und Übersetzer Émile Deschamps. Er gibt auch Königin Mab eine Stimme, die im Sprechtheater lediglich in der oft weggelassenen Erzählung Mercutios auftaucht. Das Scherzo ist ihr gewidmet. Für Bombana ist Mab, interpretirt von Rebecca Horner, „die Fee der Träume und Illusionen. Sie verkörpert das Irrationale im Gegensatz zu Bruder Lorenzo. Gerne gießt sie Öl ins Feuer, am friedlichen Zusammenleben der Menschen liegt ihr nichts. Zwar scheint es, als würde Bruder Lorenzos Rede wirken und die Vernunft siegen. Doch Mab bleibt präsent.“ Das Ende bleibt offen: „Ob Mab wieder Zwist sät und die Unvernunft siegt, oder ob es einmal wirklich Frieden geben kann, will ich nicht voraussagen.“ Ratio versus Amentia. Zwischen dem Dilemma aber brennt die Begierde, lodern die Leidenschaften, glühen Machtgier und Hass; tanzt das Wiener Staatsballett mit italienischer Leidenschaft zur berauschenden Musik eines romantischen Franzosen.

Davide Bombana: „Roméo et Juliette“, Ballett zur Musik von Hector Berlioz. Bühnenbild und Kostüme: rosalie. Uraufführung: 9.12. Volksoper.
Weitere Vorstellungen: 12., 15., 19., 22., 27.12.