Liquid Loft / Chris Haring: „Models of Reality”
Nicht Musik, sondern Geräusche bilden im neuen Stück von Chris Haring / Liquid Loft den Klangraum, in dem sich acht ausgezeichnete Tänzer*innen wie Automaten bewegen. Mit „Models of Reality“, am 21. Februar im Tanzquartier uraufgeführt, setzt Haring die Reihe „Foreign Tongues“ fort, bemüht nicht nur die Sprache der Dinge, wie Knirschen, Knarren, Quietschen, sondern auch Wortfetzen und ein wenig Musik, komponiert und kompiliert von Andreas Berger. Bestechend sind nicht nur die Ausführenden, sondern auch der Raum aus Licht, den Thomas Jelinek gebaut hat. Dennoch lässt mich die Vorstellung ratlos zurück, erschließt sich mir nicht wirklich.
Mit meiner Realität haben diese Modelle wenig zu tun. Sie bewegen sich auf der Guckkastenbühne, die Jelinek durch horizontale und vertikale Leuchtröhren in kleine geometrische Räume geteilt hat, ruckartig, die Körper biegen, beugen und strecken sich, bilden Duos und Trios, oder eine Skulptur aus allen acht Leibern, geleitet von den Tönen, die scheinbar aus dem Körper kommen. Beim Aussetzen der Musik erstarren die Bilder, lassen Raum für allerlei Assoziationen. Bilder von Edward Hopper kommen mir in den Sinn. Die umherirrenden Figuren, die immer wieder mit leerem Gesicht, einsam, auch verzweifelt abseitsstehen oder sitzen, strahlen eine Melancholie und Resignation aus, die mich niederdrückt. Meine anfängliche gespannte Neugierde erschöpft sich bald in Wiederholungen.
Die herausragenden Tänzer*innen, Luke Baio, Stephanie Cumming, Dong Uk Kim, Katharina Meves, Dante Murillo, Anna Maria Nowak, Arttu Palmio, Hannah Timbrell, haben nichts mehr Menschliches, sie sind nicht mehr aus Fleisch und Blut, sondern quietschende, knarrende Maschinen, zuckende und sich wiegende Avatare, die in wiederkehrenden Schleifen oder erstarrten Posen den Raum aus Licht und Klang beherrschen, funktionierende Körper, unermüdlich und empfindungslos.
In den im Vorjahr gezeigten Versionen von „Foreign Tongues / Babylon (Slang)“ durfte das Publikum mitten unter den Tänzer*innen stehen, auch am Rand sitzen, um das Geschehen unmittelbar, nahezu als Teil davon, zu beobachten. Diesmal wird es auf Distanz gehalten, schaut von außen zu – und, was mich betrifft, bleibt unbeteiligt. Hat man den Sitzplatz an den Rändern, stimmt die Perspektive des Lichtraums (um der Aktualität willen wird auf dem Programmzettel die jubilierende Bauhaus-Bewegung erwähnt) nicht mehr, was für mich das Erlebnis ausmacht. Die Kunst der Tänzer*innen und das ästhetische Erlebnis der Räume gehen verloren.
Ich sag’s nicht gern, aber nach einer guten halben Stunde ist die Langeweile hochgekrochen. Da fehlt mir eine stringente Dramaturgie und ich weiß nicht, worauf Haring hinaus will, was er mir mitteilen will. An der sich steigernden Toncollage und dem fulminanten Solo von Katharina Meves im Hintergrund der Bühne, ist zu erkennen, dass das Ende naht. Es kommt dann aber doch unvermittelt, ich weiß nur, dass es da ist, weil die Musik abbricht, das Licht erlöscht. Nur zögernd beginnt der Applaus, noch ist das Publikum nicht sicher. Wenn sich die Tänzer*innen in einer Linie formiert haben, ist klar, dass es nichts mehr zu sehen gibt. Auch Maschinen funktionieren nicht permanent. Den Tänzer*innen wird auch in der Wiederholung der Vorstellung am 22.2. mit Enthusiasmus gedankt. Zurecht.
Chris Haring / Liquid Loft: „Models of Reality”. Tanz, Choreografie: Luke Baio, Stephanie Cumming, Donk Uk Kim, Katharina Meves, Dante Murillo, Anna Maria Nowak, Arttu Palmio, Hannah Timbrell. Künstlerische Leitung, Choreografie: Chris Haring. Choreografische Assistenz: Stephanie Cumming. Komposition, Sounddesign: Andreas Berger. Lichtdesign, Szenografie: Thomas Jelinek. Kostüme: Stefan Röhrle. Dramaturgische Begleitung, Recherche: Thomas Jelinek, Marlies Pucher. Fotos: © Michael Loizenbauer.
Uraufführung: 21. Februar 2019, weitere Vorstellungen: 22., 23. Februar 2019., Tanzquartier.