G. Blaschke, J. Machacek: „Bodies and Accidents”
Der Choreograf und Tänzer Georg Blaschke und der Medienkünstler Jan Machacek arbeiten seit einigen Jahren gemeinsam an der Präsentation und Darstellung des menschlichen Körpers und seiner Reproduktion. Das neue Werk, „Bodies and Accidents“ ist von den Körperbildern des britischen Malers Francis Bacon (1909–1992) inspiriert und eine „künstlerische Reaktion“ auf Bacons Werk. Die Uraufführung ist im brut / Semper Depot (Atelierhaus der Akademie der Bildenden Künste) mit Begeisterung aufgenommen worden.
Bacons Körperbilder manifestieren sich in den Körpern der Tänzerin Katharina Senk und des Tänzers Tomaž Simatović, die wieder von Machacek kopiert, reproduziert, verändert werden. Es entsteht ein Trialog zwischen dem realem Körper, seinem Abbild, das sich immer wieder selbstständig macht, und den Bildern des Malers, die wir im Kopf haben oder dort entstehen lassen, falls Bacons verzerrte Gesichter, die verkrüppelten, verstümmelten Körper oder blutigen Fleischmassen nicht gespeichert sind. Nur die beiden realen Körper kommunizieren nicht miteinander.
Die rechte Seitenwand eines der großen Ateliers im Atelierhaus – Semper-Depot dient als farblich zweigeteilte Bilderwand, im rechten Winkel dazu steht eine große Staffelei, die als zweiter Bildschirm dient, auf ihr wirken Gesichter und Köper wie gemalt. Eine Trainingsstange steht vor der Seitenwand, davor liegt eine aus verschiedenfarbigen Rechtecken zusammengesetzte Matte. Rechts und links der Bühne steht je eine Live-Kamera auf einem Stativ. Bühnenbau: Leopold Kessler.
Katharina Senk turnt auf der Stange, die sich in der einen Wandhälfte elliptisch verformt. Die ersten Sequenzen wirken als Demonstration von Machaceks Arbeitsweise und Kunst. Senks Körperbild an der Wand verdoppelt, verdreifacht und vervielfacht sich. Manche Abbildungen frieren ein, andere lagern sich darüber, ein Haufen Fleisch entsteht, kopflose Torsi, einzelne Gliedmaßen sind auszunehmen. Die Tänzerin bewegt sich auf dem Boden, schaukelt und balanciert auf der Stange, rollt ab und richtet sich auf, in der linken Wandhälfte tanzt / turnt ihr oft nur schattenhaftes Abbild synchron, in der rechten läuft der Film mit den von Machacek erzeugten Körperbildern.
Tomaž Simatović tritt auf, sein Kopf (fein gestutzter Bart, helle Augen, haarlos) erscheint auf der Staffelei. Mit der mithilfe eines grünen Handschuhs (green-screen) durchscheinend gemachten Hand verschiebt er sich das Gesicht, die Stirn hat ein Auge, die Nase sitzt schief, der Mund reißt auf. „Keine Schäden“, sagt Bacon in einem Interview, „eher Ausdruck meines Lebensgefühls.“ Das Bild löst sich auf, Simatović, ein kräftiger Tänzer, bekommt die gesamte Aufmerksamkeit. In der Bewegung, mit dem Spiel seiner Muskulatur erweckt er Bacons Körperbilder zum Leben. Kopflos krümmt er sich auf der Matte, die Verdopplungen folgen ihm oder machen sich davon, agieren auf eigene Befehle.
Der Sog der sich ständig verändernden Bilder an der Wand und der gerahmten Staffelei ist gefährlich, das Gesamtkunstwerk kommt mir abhanden. So aufregend, so überraschend, so kunstvoll sind Machaceks Bilderfolgen und Körperbild-Manipulationen, dass ich Gefahr laufe, mich in der Bilderflut zu verlieren und die realen Körper, von Hanna Hollmann sparsam kostümiert, zu vergessen. Das darf nicht sein, die Körper von Senk und Simatović sind das Zentrum des doppelten Kunstwerks, Francis Bacons Bilder sind der Ausgangspunkt. Am Ende verblassen die Bilder, ziehen sich ins Nichts zurück, die Musik schweigt, die realen Körper erhalten den kräftigen Applaus.
Der Titel der Aufführung wird durch ein im Programmheft abgedrucktes Zitat Bacons deutlicher:
Ich zeichne nicht. Ich beginne mit Klecksen aller Art. Und warte auf den von mir so genannten ‚Unfall‘: den Klecks, der das Bild auslöst. Der Klecks ist der Unfall. … Der Unfall ist nicht zu verstehen.
Accident ist allerdings doppeldeutig, der „Unfall“ kann auch ein „Zufall“ sein. Doch bei beiden ist es müßig, nach Erklärungen zu forschen.
Die „künstlerische Reaktion auf das Werk Francis Bacons“ ist nicht die erste gemeinsame Arbeit von Blaschke und Machacek. Schon 2017 ist die gemeinsam realisierte Serie mit dem Titel „I don’t remember this Body“ entstanden, bei der Blaschke selbst mit seinen virtuellen Doppelgängern agiert hat. Im Frühjahr 2018 war die dritte Station im brut Studio zu sehen. Eine künstlerische Reaktion auf die Körperbilder und Objekte in Hieronymus Boschs „Weltgerichtstriptychon“ (Galerie der Akademie der Bildenden Künste) hat Blaschke, ebenfalls als Triptychon, ab 2014 in verschiedenen Räumen vorgestellt.
Jan Machacek arbeitet gern an der Schnittstelle zwischen Performance und Medienkunst. Für seine Arbeiten hat er bereits zahlreiche Preise erhalten und war sowohl im WUK als auch im brut vertreten.
Georg Blaschke & Jan Machacek: „Bodies and Accidents“, eine künstlerische Reaktion auf das Werk Bacons. Choreografische Leitung Georg Blaschke; Medienkunst Jan Machacek;
Choreografie, Performance Katharina Senk, Tomaž Simatović;
Musikgestaltung Christian Schröder; Kostümgestaltung Hanna Hollmann; Lichtgestaltung Sabine Wiesenbauer; Videoprogrammierung Oliver Stotz; Bühnenbau Leopold Kessler, fachliche Beratung Barbara Steffen. Produktion Raffaela Gras. Eine Koproduktion von M.A.P, Vienna 2018 und brut Wien. Uraufführung 21.Februar 2019, brut im Semper-Depot (Atelierhaus der Akademie der Bildenden Künste Wien).
Weitere Vorstellungen: 22., 23., 24.Februar, 19 Uhr; am 23.2. auch um 16 Uhr.