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Rudolf Nurejew: „Raymonda“ – Neueinstudierung

Jakob Feyferlik als Ritter Jean de Brienne hoch zu Ross.

Nach einer Pause von mehr als 15 Jahren holt Ballettdirektor Manuel Legris Rudolf Nurejews Adaption des letzten Balletts von Marius Petipa, „Raymonda“, Musik Alexander Glasunow, aus der Mottenkiste. Fast eine Premiere. Ein schwieriger, anstrengender Abend für die Tänzer_innen, in dessen Mittelpunkt die Titelfigur steht. Nina Poláková ist nahezu drei Stunden in allen drei Akten auf der Bühne und beeindruckt durch ihre makellose Technik. Mit ihr müssen die beiden jungen Solotänzerinnen, Nina Tonoli und Natascha Mair, als Freundinnen Raymondas gleichziehen, sind sie doch ebenso gefordert. Dass dem Publikum drei Stunden reiner Tanz zu viel ist, kann man den erschöpft nach dem II. Akt Fliehenden nicht verdenken. Auch wenn das eine grobe Unhöflichkeit den Künstler_innen gegenüber ist.

Juwel oder Klamotte? „Raymonda“, in St. Petersburg 1898 uraufgeführt, gilt gemeinhin als „Juwel“ am Ende der klassischen Ära. Die Mischung aus klassischem Tanz, ungarischen, spanischen und orientalischen Charaktertänzen mag schon erfreuen, birgt auch einige Diamanten, Rubine, Saphire und Smaragde, doch der Mangel an Handlung in nahezu drei Stunden reinen Tanzes ist heute auch einem tanzinteressierten Publikum nicht mehr zuzumuten. Auch wenn das Wiener Staatsballett tänzerische Hochleistung zu bieten hat. Riiter Jean de Brienne, die mit ihm verlobte Raymonda (Jakob Feyferlik, Nina Poláková) .Alle bilder: © Wiener Staatsballett / Ashley Taylor

Für das gesamte Ensemble ist diese erste „Raymonda“-Vorstellung unter Manuel Legris ein Debüt, das vor allem die Solistinnen (Poláková, Mair, Tonoli ergänzt von Anita Manolova und Ioanna Avraam, als Sarazenin /Spanierin im II. Akt) und Solisten (Jakob Feyferlik als edler Ritter Jean de Brienne, Davide Dato als Sarazenischer Fürst Abderachman mit sexy Charme und die beiden Begleiter der Freundinnen, Masayu Kimoto und Richard Szabó) beeindruckend meistern. Die schweren, einst prächtigen jetzt nur noch staubig wirkenden Kostüme samt an Zirkuspferde erinnerndem Kopfputz (schon beim Hinschauen spüre ich Beklemmungen) und das dunkel gehaltene Bühnenbild von Nicholas Georgiadis (Wiener Premiere 1985) machen es den Tänzer_innen nicht leichter und drücken auf die Stimmung.
Sarazenenfürst Abderachman zieht in den Kampf  (Davide Dato) Wenn dann im II. Akt die beiden Pferde auf die Bühne rollen – Jean ganz in Weiß sitzt auf dem silbernen; der dunkle Abderachman auf seinem schwarzen Ross – wird die Klamotte für mich endlich zur Lachnummer. Die Lanzen stechen ins Leere, die beiden Rivalen um die Liebe der Raymonda hüpfen vom Gaul und lassen die Plastiksäbel klatschen. Dass Abderachman gleich sterben muss von diesem sanften Hieb, erschüttert auch den Ritter Jean: Der junge Solotänzer Jakob Feyferlik, der seinem schwierigen Part mit Eleganz und Verve gerecht wird, schaut sichtlich erschrocken auf den Getöteten.

Bleibt Jean de Brienne, der Bräutigam, trotz Nurejews choreografischer Einfälle als Rolle ziemlich blass, na ja edel eben, so prägt sich Nina Poláková als Raymonda nicht nur durch ihre Dauerpräsenz auf der Bühne ein. Großartig ihr exquisites Solo in Csárdás-Manier im III. Akt, das Glasunow durch ein Klavier akzentuiert und der Tänzerin die Möglichkeit gibt, eine breite Gefühlspalette zu zeigen und zurecht als Bravourstück in so mancher Gala zu sehen ist. Allein dafür zahlt es sich aus, auch den letzten Akt ununterbrochenen Tanzes im Wechsel von Solovariationen und Gruppentänzen, rasanten Pas de quatre samt dem ebenfalls bekannten Grand Pas classique hongrois (mit Dumitru Taran, James Stephens, Alexandru Tcacenco und Tristan Ridel im Quartett) abzuwarten. Das schöne junge Paar (Feyferlik, Poláková) mit dem Ensemble

Die Schwierigkeiten der Nurejewschen mit unermüdlich zappelnden Beinen bereiten Feyferlik keinerlei Mühe. Er ist ein eleganter, vornehmer Ritter, dem die Schwierigkeiten kaum Mühe bereiten, für feurige Liebe noch zu jung. Die beiden Freundinnen (Mair, Tonoli) dürfen sich, durch mangelnde Charakterisierung, in ihren vielen Solovariationen und Pas de trois mit Poláková und zu viert mit ihren glänzenden Begleitern, Szabó und Kimoto, ganz auf ihre Tanztechnik konzentrieren. Durch den I. Akt hüpfen sie als fröhliches Quartett, während im Hintergrund die Feuer des Krieges rauchen.

Abderachman umwirbt Raymonda. Dasgefällt ihr ganz gut. Dass man dem kraftvoll verführerischen Charme eines Davide Dato als Abderachman erliegen kann, ist keine Schande. So taucht im Duett mit ihm (II. Akt) durch Raymondas Verhalten (Poláková) die Vermutung auf, dass der Albtraum von ihrer Entführung (Akt I.) durch den sarazenischen Fürsten womöglich ein Wunschtraum war. Poláková ist nicht nur eine etwas gehemmte, junge Gräfin sondern auch eine begehrenswerte und begehrende junge Frau aus Fleisch und Blut. Der Hofstaat des wilden Sarazenen ist hingegen etwas schlapp und lustlos. Die Anstrengungen und Schwierigkeiten der Choreografie sind dem geforderten Corps dann doch anzumerken.

Einer der kein Debüt zu feiern hat und seine Freude an der Musik, von der er offenbar jede Note kennt, nuanciert zum Ausdruck bringt, steht am Dirigentenpult. Kevin Rhodes hat schon die neun Aufführungen der letzten Neueinstudierung von „Raymonda“ unter Ballettdirektor Renato Zanella dirigiert. Er kennt daher auch jeden Schritt, jede Hebung und Drehung oben auf der Bühne und ist so ein großartiger Begleiter des gesamten Ensembles. Der Applaus hat gezeigt, dass dies auch das Publikum zu schätzen weiß. Schöne Damen, fesche Troubadure (Nina Tonoli, Natascha Mair, Masayu Kimoto, Nina Poláková)

Trotz all der einzelnen Glitzersteine, die dieses mehr als hundert Jahre alte, von Nurejew vor 30 Jahren tänzerisch aufgezwirbelte Ballett-„Juwel“ zu bieten hat, gehört es für mich wieder zurück in die Mottenkiste. Wie gut, dass Nurejew, dessen Erbe Legris unbedingt hochhalten möchte, Petipas Schöpfung „Le Corsaire“ nicht angerührt hat und er sich so erlauben konnte, den Klassiker zu entlüften und im Bühnenbild und mit den Kostümen von Luisa Spinatelli (die auch Nurejews „Schwanensee“ mit leichter Hand ausgestattet hat) zum Erfolg zu führen. Doch zwei über Hundertjährige in einer Saison, das ist eindeutig zu viel.

Rudolf Nurejew nach Marius Petipa: „Raymonda“, Bühne und Kostüme: Nicholas Georgiadis, Neueinstudierung mit Nina Poláková, Oxana Kiyanenko, Nina Tonoli, Natascha Mair, Jakob Feyferlik, Zsolt Török, Davide Dato, Masayu Kimoto, Richard Szabó. Dirigent: Kevin Rhodes. Premiere 22.12. 2016, Wiener Staatsballett in der Staatsoper.
Weitere Vorstellungen in wechselnder Besetzung: 26.12. (Premieren-Besetzung); 27., 30.12. 3., 8., 1. 2017.