Walzer, seziert, diagnostiziert und gespiegelt
Mit vier Tänzerinnen und drei Musikerinnen stellt die Basler Tänzerin Choreografin Johann Heusser den Walzer, der im 19. Nicht nur in Wien Furore gemacht hat, auf den Kopf, nimmt den Dreivierteltakt auseinander und setzt ihn wieder zusammen. Valse, Valse, Valse ist im August 2024 in Basel entstanden und uraufgeführt worden. Im Rahmen von Johann Strauss 2025 ist die unterhaltsame Choreografie im Dschungel Wien zu sehen. Premiere war am 5.1.2025.
Männer sind Frauen sind Männer, tanzen zu zweit, zu viert oder allein: Valse, Valse, Valse macht auf seiner Tournee durch die Schweiz und Deutschland auch in Wien Halt. Eine Performance mit Livemusik, Esprit und hoher Tanzkunst. Schon seit einiger Zeit ist es Mode, das Tänzerinnen nicht tanzen, Choreografinnen nicht choreografieren, Performerinnen nicht aufführen – sie alle erforschen. Auch Heusser und ihr Team haben den Walzer, das Drehen im Dreivierteltakt (noch schneller im 6/8 Takt) bis zum Umfallen, die Bewegungen Hüfte an Hüfte, das Spiel der Augen und Neigen des Kopfes, die Aufforderung zum Tanz und die Ablehnung und auch den Knicks am Ende erforscht und das Ergebnis kann sich sehen lassen. Die ersten Schritte werden tatsächlich ganz konventionell von zwei Paaren im Walzertakt gedreht. Dan aber zerfetzt das musikalische Trio die Musik, baut Dissonanzen und wechselt auch den Takt. Musikerinnen. Das tanzende Quartett ist gefordert.
Der Choreografin und ihrem Team geht es nicht nur um den Takt, sondern um das Innenleben, die Idee eines Walzers. Um 1800, als der enge Paartanz so richtig populär geworden war, passte das weder der Kirche noch dem Staat. „Unsittlich aufrührerisch, gefährlich, ordnungswidrig, chaotisch und skandalös“, lauteten die Vorwürfe, Sie sind nicht wirklich aus der Luft gegriffen. Klar, dass Obrigkeiten versuchten, den skandalösen Rausch zu verbieten. Wie man heute weiß, ist das nicht gelungen. In Valse, Valse, Valse werden alle diese Verdächtigungen des Walzers genussvoll ausgespielt. Die Tänzerinnen flirten miteinander, fallen mit verdrehten Augen in Trance, sind schmiegsam wie Kätzchen und steif wie gehobelte Bretter und lassen unter ihren barocken Perücken die Kaugummiblasen platzen. Das empört die Musikerinnen, sie packen Geige, Bratsche und Cello und wandern aus. Doch der Walzer hat auch einen versöhnlichen Teil, das musikalische Trio marschiert wieder auf, die Tänzerinnen haken mit den Absätzen wieder in den Boden und die Bratschistin ist so hingerissen, dass sie mittanzen muss und auch darf.
In Valse, Valse, Valse hält der Walzer auch als Metapher her und erzählt von Lebensfreude und Genuss, von Liebe und Harmonie und Beziehungen jeglicher Art, schließlich besagt die Regel des Paartanzes, dass eine führt und die andere gehorcht. Doch im aktuellen Stück wird diese Regel natürlich ständig durchbrochen, Frau und Mann, stark und schwach sind keine Gegensätze, alle dürfen befehlen, alle müssen gehorchen oder bleiben als Solistinnen allein auf der kleinen Drehbühne. Mit einer elektrischen Installation gelingt es auch, dass sich alle Vier auf der schwarzen Scheibe, auf die gerade ein Sessel passt, zur Skulptur formieren, während sich die Scheibe immer schneller dreht. Wer aufpasst kann sich auch die Kehrseite dieses Gewalzes ansehen. Über der Bühne hängt ein geneigter Spiegel, der die Tänzerinnen, je nach Entfernung und Fokus, aus immer neuen Perspektiven zeigt.
Die Aufführung im Dschungel wird für 12-jährige empfohlen, doch den vollen Genuss haben, wie die Premierenvorstellung gezeigt hat, Erwachsene, die ja alle schon einmal Walzer getanzt haben. Hier irrt der Schweizer Text, der behauptet der Walzer sei „in der heutigen Zeit Symbol des Wohlstands und der Oberschicht“. Das ist Quatsch. Walzer getanzt wird in allen Zusammensetzungen zumindest einmal im Jahr, nämlich in der Nacht des Jahreswechsels. Nur beim Wiener Opernball, wo der Walzer den Auftakt bildet, ist das Fernsehen dabei, und dadurch entsteht ein völlig falscher Eindruck. Es gibt schon Kindergartenfeste, bei denen sich die Winzlinge umarmen und im Takt drehen. Und Vierjährige, die sich dem Schwindel hingebend so lange um sich selbst drehen, bis sie tatsächlich umfallen oder die Torte mit dem Schlagobers wieder von sich geben, sind keine Seltenheit. Also hat der traditionelle Aufruf „Alles Walzer“, schon seinen Sinn.
Johanna Heusser: Valse, Valse, Valse, Tanz mit Livemusik. Premiere des Gastspiels: 5.1.2025, Dschungel Wien. Weitere Vorstellungen: www. dschungelwien.at
Choreografie: Johanna Heusser; musikalische Leitung: Xenia Wiener
Tanz: Simea Cavelti, Neil Höhener, David Speiser & Momo Fabienne Tanner
Musik: Joachim Flüeler, Marie Jeger & Sebastian Loetscher
Bühne & Lichtdesign: Marc Vilanova; Kostüme: Diana Ammann; Dramaturgie: Fiona Schreier
Koproduktion: Johanna Heusser, give me hope production, Johann Strauss 3035 Wien, Dschungel Wien und viele andere Häuser in D und CH.
Fotos: © Simon Hitzinger.