John Neumeier: "Shakespeare Dances", Gastspiel
John Neumeier hat aus drei seiner zu unterschiedlichen Zeiten entstandenen Shakespeare-Ballette den Kern herausgeschält und zu einem Abend mit „Shakespeare Dances“ zusammengestellt. Umrahmt von zwei Komödien schockt die zum Tanztheater komprimierte Tragödie des Dänenprinzen Hamlet. Das Hamburg Ballett zeigte die Szenen als Gastspiel im Theater an der Wien. Neumeier und seine Compagnie durften nach der ersten Vorstellung im Applaus baden.
William Shakespeare lässt Neumeier keine Ruhe. Für ihn ist der Dramatiker „das größte Inspirationsreservoire für einen Choreografen.“ Zum 40. Geburtstag des Hamburg Balletts 2013 konzentrierte Neumeier drei seiner großen Shakespeare-Ballette, entstanden zwischen 1985 und 1996, zu einem Abend. Den bunten Faden hält der Melancholiker Jacques (Carsten Jung) in der Hand. Auch in Shakespeares Komödie „Wie es auch gefällt“ gibt Jacques seine Kommentare über Gott und die Welt zum besten. Bei Neumeier kommt er mit dem Fahrrad, erklärt ein wenig, was sich abspielt (vor allem die beiden Komödien, „Wies euch gefällt“ und „Was ihr wollt“ sind ein perfektes Verwirrspiel) und mischt sich auch tanzend unter Volk und Adel.
Heitere Turbulenz (Rokoko). Mit den Liebeswirren im Ardenner Wald, Fürstentöchtern, Schäferinnen und einem mannstollen Bauernmädchen beginnt der Abend. Jacques meint, „das funktioniert wie eine Sinfonie von Mozart.“ Und Mozart-Sinfonien begleiten auch das Vexierspiel in dem keine(r) ist, was sie / er vorgibt zu sein. Ein Maskenfest, ein Liebestaumel mit wirbelnden Drehungen und Jetés, Sprüngen und Klammern heftigen Liebeswerbens, geworfenen Hebungen, um die Zurückweisung zu zeigen. Die adeligen Damen (Silvia Azzoni ist Rosalind, Florencia Chinellato Celia) tanzen auf Spitze, Schäferinnen und Bauernmädchen (Patricia Friza ist die hinter jedem Wesen in Hosen herrennende Audrey) sind barfuss. Dazu passen Alexandre Riabko als Orlando (Jacques hat auch ein Auge auf ihn geworfen), Lennart Radtke, sein mit mit ihm um das Erbe streitender Bruder Oliver. Konstantin Tselikov ist der Narr Touchstone, ein patscherter Clown.
Das fröhliche Chaos mündet in ein ausgelassenes Fest, in dem sich Hoch und Niedrig mischen, das Geschlecht keine Rolle spielt, weil man es ohnehin nicht erkennt, und endlich zusammenfindet, was zusammengehört.
Als Nachspiel und Vorspiel zugleich, entzückt eine ganz anderes Liebesduett, das in Gesten und Musik (Michael Tippett) den Tod bereits in sich trägt. Hamlet (Edvin Revazov) verabschiedet sich tränenreich von Ophelia (ganz Kummer: Anna Laudere), um nach Wittenberg zu reisen. Innig und schön ist dieser Pas de deux, Neumeier eben. Erst nach der Pause wird der Prinz nach Dänemark zurückkehren, ein Desaster vorfinden und dieses blutig beenden.
Tödliche Rache (Moderne Zeiten). Nicht nur etwas, alles ist faul in dieser trüben Welt. Hamlet kehrt an den Hof zurück, findet die Mutter als Witwe, die schon wieder Braut ist. Der Vater (Florian Pohl) ist tot, aber als weißes Gespenst stets präsent. Ophelia ist zu Tode betrübt, Hamlet hat andere Sorgen als die Liebe, die Mutter (Leslie Heylmann) mag ihn auch nicht, sie will wieder Königin sein, der Vater will Rache und benützt den Sohn dazu, die Soldaten patrouillieren, die Hofdamen beugen sich Klageweiber, Jacques schweigt, Hamlet will schreien, hält sich aber den Mund zu. Ophelia wird aus dem Wasser gezogen.
Den Rest kennt man: Reiche Ernte für den Tod. Neumeier beruft sich übrigens in seiner Hamlet-Version auf eine auch Shakespeare bekannten Vorlage, den Büchern des dänischen Geschichtsschreibers Saxo Grammaticus. Der erzählt die Geschichte von Amletus etwas anderes und vor allem detaillierter als der Dichter.
Romantische Träumerei (Barock). Mit „Vivaldi oder Was ihr wollt“ kehrt der Abend wieder zur Komödie zurück. Auch wenn wieder ein Verwechslungsspiel die Handlung antreibt, so sind die Gefühle in dieser zwölften Nacht (Twelfth Night nennt Shakespeare das Drama) gedämpft, elegisches Sehnen, melancholisches Umherschleichen, nostalgische Poesie, nächtliches Verlangen. Nur die Stürme (das Ensemble im Tutu) brausen kräftig, lassen das Boot kentern und die Zwillinge stranden. Viola (Carolina Agüero) verdingt sich als Clown bei Herzog Orsino (Dario Franconi), Sebastian (Konstantin Tselikov) glaubt sie ertrunken. Die Liebeswirren sind kompliziert, denn die Sehnsüchte gehen ins Leere und die Liebe trifft die / den Falsche/n.
Doch am Ende ist alles gut, in einem entzückend pfiffigen Duett finden sich die Zwillinge wieder. Die Nacht ist vorbei, hell scheint die Sonne, Viola darf wieder Frau sein und Orsino von seiner Liebeskrankheit heilen, das ursprüngliche Ziel seiner Sehnsuchts-Poesie, die traurige Gräfin Viola (Hélène Bouchet), lässt sich von Sebastian beglücken und Jacques kann die Clowns zum Tanz rufen. Jetzt sind wir alle dran, wir sind die Clowns, Narren auf der Bühne, die die Welt nun mal ist.
Neumeier besticht mit seinen Choreografien nicht nur als überaus musikalischer Erzähler sondern auch durch seine Menschenführung.
Was er Shakespeare einräumt, das tiefe Erfassen der Figuren, muss auch ihm selbst zugutegehalten werden, das ist selbst in diesen auf die Hauptthemen reduzierten Stücken zu spüren und zu sehen. Dazwischen gibt es immer wieder puren Tanz, reine Pas de deux und Solos.
Auf welch hohem Niveau seine Compagnie tanzt und spielt, weiß auch das Wiener Publikum zu schätzen.
„Shakespeare Dances“ war jeglichen Jubel wert. Wenn dieser nur warten könnte, bis der Vorhang gefallen ist.
John Neumeier / Hamburg Ballett: „Shakespeare Dances“, Musik von Antonio Vivaldi, W. A. Mozart, Michael Tippett, interpretiert vom Wiener Kammerorchester unter Garrett Keast. Bühnenbild und Kostüme für den ersten und zweiten. Akt John Neumeier. Der dritte Akt, „Vivaldi oder Was ihr wollt“ wurde von Hans-Martin Scholder (Bühne) und Christina Engstrand (Kostüme) ausgestattet. Hamburg Ballett im Theater an der Wien.
Das Hamburg Ballett tanzt auch am 10 & 11. Mai im Theater an der Wien..