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Patrick de Bana: „Marie Antoinette“ erneuert

Marie Antoinette, vom Schicksal gebeutelt (Esina, Kaydanovskiy © Wiener Staatsballett / Ashley Taylor

Sechs Jahre nach der Uraufführung seines abendfüllenden Balletts „Marie Antoinette“ hat Patrick de Bana seiner Choreografie ein neues Gesicht und mehr Tiefgang verliehen. Gestrafft und reduziert, mit neuen Musikteilen von Carlos Pino-Quintana und Spitzentanz für die Hauptfiguren ist ein eindrucksvoller Abend gelungen, der dem Wiener Staatsballett in der Volksoper Gelegenheit gibt, Ausdruckskraft und technische Perfektion zu zeigen. Das Publikum nahm bei der Premiere die Gelegenheit zu heftigem Jubel wahr.

Wie Gespenster erscheinen anfangs Schicksal und Schatten der Marie Antoinette (Andrey Kaydanovskiy, Alice Firenze) aus dem schwarzen Nichts. Ein Vorspiel, das den Grundton angibt: Düster, dramatisch, fatal.
Selbst wenn Marie Antoinette (Olga Esina, als zierliche Tochter und verzweifelte Königin, eine Klasse für sich) anfangs in Schönbrunn noch fröhlich tänzelt. Marie Antoinette vom Liebhaber auf Händen getragen (Esina, Basílio) © Wiener Staatsballett / Ashley Taylor

Es sind keine lebensvollen Personen, die eine Geschichte erzählen, eher Geister aus der Vergangenheit, die uns besuchen. Die Geschichte ist ohnehin bekannt. Maria Theresia, die Mutter, Marie Antoinette, die Tochter und durch die arrangierte Heirat mit dem unfähigen Dauphin und späteren König von Frankreich Königin geworden, sind längst zum Mythos geworden, von dem jede und jeder sich ein eigenes Bild gemacht hat. Diese Bilder lassen die Geister, die de Bana nach der dramaturgischen Vorlage von Jaime Millás beschwört, verblassen. Sie dürfen ruhig vergessen werden, das Schicksal aber ist nicht zu ändern und unerbittlich.

Neben der Esina in der Titelrolle macht der junge Jakob Feyferlik („Ein zukünftiger Danseur noble“, sagt seine Lehrerin Evelyn Téry, einstweilen wartet er im Corps de Ballet noch auf die Ernennung zum Halbsolisten) hervorragende Figur. Ein hilfloses Königlein, das zusehen muss wie sich seine Gemahlin mit dem Liebhaber Axel von Fersen (Leonardo Basílio, ebenfalls Mitglied des Corps, der seine Solochance fesch und dynamisch nutzt) vergnügt.

Der König, ebenfalls ein Todeskandidat (Feyferlik) © Wiener Staatsballett / Ashley Taylor So sehr die auf der Spitze getanzten Pas de deux durch Perfektion und Geschwindigkeit (und ein wenig viel Gezappel) entzücken, so bedrohlich tauchen Schicksal und Schatten immer wieder auf, um an das schreckliche Ende zu erinnern. Dieses bleibt auch der Schwester des Königs, Madame Elisabeth, –wie schon bei der Premiere 2010 (doch diesmal auf Spitze) – von Ketevan Papava exzellent getanzt, nicht erspart. In einem von Kaydanovskiy nahezu fürsorglich gespielten Pas de deux wird ihr das vom Schicksal klargemacht.

Übrigens hat auch die Esina die Uraufführung in der Volksoper getanzt. Auch Firenze und Kaydanovskiy haben ihre Rollen bereits vor sechs Jahren studiert. Feyferlik, Basílio und Attila Bakó als Namenloser (Partner der Kaiserin Maria Theresia) debütierten, wie nahezu das gesamte Corps de Ballett (eindrucksvoll und mit Sonderapplaus belohnt, die Männer am Beginn des 2. Aktes als wütende Revolutionäre zur bekannten Musik aus „Les Indes galantes“ von Jean-Philippe Rameau).

De Bana hat auf die bei der Uraufführung verwendete elektronische Musik von Luis Miguel Cobo für den Schlussteil („Das Gefängnis – Einsamkeit einer Königin“) verzichtet und dem in Wien lebenden Komponisten Carlos Pino-Quintana den Auftrag gegeben, der Königin Einsamkeit und des Schicksals Unerbittlichkeit (Kaydanovskiy/Papava) musikalisch neu zu fassen. So richtig kann ich mich an die ursprünglichen Kompositionen nicht erinnern, die aktuelle erzeugt jedenfalls ddie richtige Stimmung und hätte der Choreograf nicht auch zwei tröstliche Arien von Antonio Vivaldi (deren Interpret nicht genannt wird) eingeschoben, würde ich die Vorstellung tränenüberströmt verlassen müssen.

Dass die Musik – neben Vivaldi, Rameau und Pino-Quintana sind auch Melodien der Barock-Komponisten Georg Philipp Telemann, W. A. Mozart, Johann Christian Bach und Jean-Féry Rebel zu hören – vom Band kommen muss ist verständlich. Stört mich auch nicht und erleichtert es den Tänzer_innen den Takt zu halten, erlaubt ihnen jedoch keinerlei persönliche Tempovariante. Auch Maria Theresia hat das Schicksal im Griff (Horner, Kaydanovskiy) © Wiener Staatsballett / Ashley Taylor

Das Bühnenbild, ein verspiegelter Glaskubus (Marcelo Pacheco, Alberto Estebahn / Area Espacios Efímeros) genügt, um je nach Lichteinfall (James Angot) höfisches Gepränge oder Freud- und Trostlosigkeit zu erzeugen. Zum Leuchten bringen die Swarovski-Elemente auch die luftig-leichten, bunten Kostüme von Agnes Letestu, die so gar nichts mit der Zeit des Geschehens zu tun haben und in der Neufassung des Abends erst recht zur Geltung kommen. Im Gegensatz zum gerade in der Staatsoper gezeigten Ballett rund um den Habsburger-Kronprinzen Rudolf, „Mayerling“ (Kenneth McMillan), ist de Banas „Marie Antoinette“ keineswegs ein historischer Bilderbogen. In einer kaum einzuordnenden variantenreichen, für die Tänzer_innen reichlich anstrengenden, Bewegungssprache zeigt der Choreograf das Innenleben der Gespenster aus dem Nirwana. So legt auch Maria Theresia bald ihren Reifrock ab, um zu zeigen, dass sie so eine gütige Mami nicht war. Auch mit ihr geht das Schicksal nicht gerade zärtlich um. Die Rolle hat de Bana praktisch neu geschrieben und vergrößert. Rebecca Horner, die die neue Kaiserin an der Volksoper kreiert hat, erinnert immer wieder an die böse Mutter in Stephan Thoss’ Ballett „Blaubarts Geheimnis“, eckig, auf sich selbst bezogen, die Tochter ihren Zwecken unterordnend. Horner ist eine moderne Tänzerin, deren Bewegungsrepertoire und Rollengestaltung immer wieder überrascht.

Alles in allem kann Patrick de Bana zu seiner Erneuerungsarbeit gratuliert werden, was die Ballettfreundinnen und -freunde bei der Premiere mit Vergnügen auch getan hat. Dass die Protagonist_innen Triumphe feiern durften, ist bei der Qualität des Wiener Staatsballetts keine Überraschung.

Patrick de Bana: „Marie Antoinete“, Ballett in zwei Akten. Wiederaufnahme in überarbeiteter Fassung, Wiener Staatsballett in der Volksoper. Premiere: 6. Mai 2016.
Weitere Vorstellungen: 9., 17. Mai, Premierenbesetzung.
Mit wechselnden Besetzungen: 23.Mai; 16., 21., 27. Juni.